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schen und localen Forschungen versäumt worden sei. Die meisten derjenigen, welche bis jetzt über assyrische und griechische Mythenvergleiche geschrieben haben, verstehen von den Anschauungen des Orients gar nichts und von hellenischen Ideen so erbärmlich wenig, dasz die Confusion dadurch nur noch gröszer gemacht werden musz, während die Lösung der Aufgabe immer weiter hinausgeschoben wird.”

Die historische Ausbeutung der Stammsagen hat bis jetzt ebenfalls nicht jene sicheren Ergebnisse geliefert, die man sich in dem ersten Freudenrausch über die durch Böckh veranlaszte Entdeckung der organischen Gliederung des griechischen Volks thums versprochen hatte.'

Auch von einer solchen Philosophie der Mythologie, wie sie mit oder an der comparativen Mythenbetrachtung geübt zu werden pflegt und zuletzt besonders von Schelling vertreten wurde, will der Vf. in diesem Buche absehen, mit so groszer Achtung er übrigens von dieser Schule spricht. Er bietet uns aber dafür häufige Parallelen und Winke einer tiefern Einsicht in den Zusammenhang der Natur, der Gedankenwelt, der christlichen Theologie, welche hin und wieder einen beinahe feierlichen Ton annehmen und dem Werke den Charakter einer gewissen didaktischen Praetension verleihen, die nicht gerade angenehm ist. Ueberhaupt gehört es zu den Eigenthümlichkeiten des Vf., dasz er über das nächste und einfachste hinauszustreben, sich selbst und den Gehalt der griechischen Mythen gleichsam zu überbieten und allerlei Andeutungen tiefer Wissenschaft einzuflechten liebt, mit weitreichenden Perspectiven, die sich in dem dunklen Hintergrunde einer feineren Naturwissenschaft, Heilkunde, Mathematik und Theologie verlieren.

Der wesentliche Vorzug seiner mythologischen Methode besteht in einer aesthetischen und ethischen Analyse der einzelnen Mythengebilde, durch welche sehr viel schönes und sinnreiches gewonnen wird, nur dasz im ganzen die ethische Betrachtung doch zu sehr vorherscht, der so tief bedeutsame und für die Sache ebenso wesentliche als für den Geist anziehende Hintergrund der Naturreligion zu wenig beachtet wird. Dahingegen ist das aesthetische ohne Zweifel das hervorragendste Verdienst des Werkes. Ueberall bewährt sich der feine und gebildete Sinn des Vf. für alles dichterische, und wo die griechische Mythologie auf geistvolles und eindringendes Verständnis poetischer Schöpfungen angewiesen ist, wie sie bei Homer und Hesiod, bei Pindar und den Tragikern zu finden sind, da bietet sich dem Leser immer anregendes und förderndes. Am meisten Ausbeute gewährt aber die mythologische Kunsterklärung. Durch seinen langen Aufenthalt in Rom, unausgesetzten Verkehr mit allen dort gesammelten und gehäuften Kunstdenkmälern, durch seine Vorstandschaft des archaeologischen Instituts und eben so zahlreiche wie werthvolle arehaeologische Publicationen hat Hr. Braun in dieser Hinsicht eine Kenntnis und Uebung erlangt, worin ihm nur wenige gleich kommen möchten. Wie in allen übrigen Schriften, so hat er also auch in

diesem Buche vieles schöne und wichtige aus solchem Vorrate gespendet und dadurch der sog. Kunstmythologie oder archaeologischen Mythologie, d. h. derjenigen welche sich besonders aus den alten Kunstdenkmälern, Statuen, Reliefs, Vasenbildern usw. aufbaut,

auszerordentlich genützt.

Der Disposition liegt ganz vorzugsweise die hesiodische Theogonie zu Grunde, welcher §. 13 eine gleich hohe Bedeutung für die Kenntnis der mythologischen Weltanschauung zugeschrieben wird, wie den ersten beiden Capiteln der Genesis für die Fundamentalanschauung des Christenthums. Und zwar liefere dieses Gedicht uns nicht blosz die wichtigsten Bestandtheile dieser mythologischen Weltweisheit, sondern es enthalte sie zugleich in einer Zusammenstellung, die an Feinheit der Verbindungen und Uebergänge und an Groszartigkeit des Vortrags durch nichts überboten werde. Also wird die ganze

Behandlung des mythologischen Stoffs nach Anleitung dieses Gedichtes eingerichtet, was dem Werke allerdings den Vorzug einer gewissen poetischen Consequenz und eines aus alter Zeit überlieferten Zusammenhangs sichert, aber auch zu manchen Mängeln führt. Denn einmal hat das hesiodische System selbst seine ausschlieszenden Eigenthümlichkeiten, z. B. in der Lehre vom Chaos, die in ältester Zeit gar nicht so verbreitet gewesen sein kann, als sie es durch Hesiod geworden ist, so wie darin dasz Zeus nicht der älteste, sondern der jüngste Sohn, Hera nicht seine erste, sondern seine letzte Ehe ist; was wieder den allgemeineren Grund hat, dasz bei diesem Dichter überhaupt nicht das erste sondern das letzte, das Ende und Ziel einer genealogischen Reihe das vollkommenste ist. Zweitens ist die blosz genealogische Verknüpfung der einzelnen Gottheiten und Göttergeschlechter doch zu locker für eine Aufgabe, wo nicht allein die äuszerliche Verknüpfung der Glieder, sondern auch die innere und wesentliche Eigenthümlichkeit dieser ganzen Art von Religion und Weltauffassung ausgedrückt werden sollte: zu welchem Zwecke eine Eintheilung der gesamten Götterwelt nach den drei kosmischen Hauptabschnitten Himmel, Wasser, Erde weit passender scheint.

Vollends das erste Buch beruht ganz auf der hesiodischen Theogonie, deren kosmogonische Bilder und Göttergeschlechter einzeln und mitunter sehr ausführlich besprochen werden. Eine Glanzpartie ist die sehr eingehende und geistreiche Erklärung des Nereidenchors bei Hesiod und bei Homer, wo die Poesie der Namen in ihrer Zusammenstellung nach Paaren und Triaden sehr schön entwickelt wird (§. 6799); desgleichen die Analyse der hesiodischen Flüsse (§. 129-139) und der Okeaniden (§. 140-184). Es sind das im Verhältnis zum ganzen fast zu ausführlich behandelte Lieblingspartien, worüber denn weit wichtigere Gottheiten z. B. Aphrodite nur sehr kurz und oberflächlich behandelt werden konnten. Mit gröszerer Vorliebe und wieder auf Veranlassung Hesiods wird Hekate und ein kleines Erzbild derselben im capitolinischen Museum besprochen, welches Rathgeber und Braun für eine Nachbildung einer Statue des Alkamenes

halten (S. 225-229). Die Namenerklärungen sind immer sehr sinnig und feinfühlig, doch zeigt sich auch in ihnen eine Neigung zur phantasievollen Ueberschreitung des wissenschaftlich einfachen und

correcten.

Das zweite Buch beschäftigt sich mit den Göttern, speciell mit Zeus und seinen Kindern, die nach dem hesiodischen System seiner Vermählung mit Metis, Themis usw. nacheinander aufgezählt werden. Zuletzt schlieszen sich an die beiden mit sterblichen Frauen gezeugten: Dionysos und Herakles, in welchem letztern sich nach dem Vf. der wahre und endliche Abschlusz des olympischen Göttersystems darstellt. Bei den einzelnen kommt vorzugsweise ihr poetisch-symbolischer und ihr archaeologischer Kunstcharakter zur Sprache, auch ihre ethische Bedeutung für das menschliche Leben und das nationale der Griechen, weit weniger ihre Beziehungen zu dem Naturleben. Am ausführlichsten werden die Musen, Apollon und Artemis, Pallas Athene und Dionysos behandelt. Dionysos ist schon der Bote und die Darstellung einer ganz neuen Religion und Weltauffassung der Griechen, der Begründer eines höheren Culturzustandes und einer ganz neuen Aera des menschlichen Lebens: daher alle Fabeln von seiner Geburt, seinen Kämpfen und Feldzügen, dem Widerstande der ihm entgegengesetzt wird, lediglich in diesem Sinne aufgefaszt werden. Das pantheistische Leben, welches durch ihn geweckt, genährt und reich entfaltet wird, hat sich auch in der griechischen Weltanschauung erst allmählich und verhältnismäszig spät geltend gemacht. Als der Sinn dafür auch bei den Hellenen erwachte, wurde er bald zu einer alles befassenden und in Wahrheit Wunder wirkenden Begeisterung fortgerissen. Durch diese erhielt der Anthropomorphismus seine letzte Weihe, und alle jene Bildungen der griechischen Kunst in welchen auch die nicht zum Bewustsein vorgedrungenen Creaturen vermenschlicht erscheinen, stehen daher mit dem Dionysos und seinem Cult in innigster und nächster Beziehung. Auch die symbolischen und daemonischen Gestalten, von welchen Dionysos umgeben ist, samt den seinem Religionskreise entsprechenden Symbolen des Pflanzenlebens und der Thierwelt, endlich seine eignen Bilder, wie sie ihn bärtig oder jugendlich und in so auszerordentlich verschiedenen Acten und Handlungen darstellen, werden einer ausführlichen und immer sehr geistvollen und anregenden Betrachtung unterzogen.

Ein besonderes Verdienst dieses zweiten Buches ist endlich der ausführliche Abschnitt über Herakles, dessen sehr schwierige, aber auch sehr interessante Mythologie in den neueren Untersuchungen meist sehr vernachlässigt wurde, aber bei Hrn. Braun um so sorgfältiger behandelt wird, obwol man auch hier mehr Sonderung, mehr eingehen auf die Differenzen der verschiedenen Ueberlieferungen, der Culte, der landschaftlichen Gestaltungen, der verschiedenen Quellen der Dichtung und Mythographie wünschen möchte. Auch die Auffassung des H. im allgemeinen will mir, dem Referenten, nicht zusagen, wie ich selbst denn in meiner griechischen Mythologie bei

gleich eingehender Behandlung auf wesentlich andere Resultate gekommen bin, daher es mir vielleicht an der nöthigen Unparteilichkeit fehlt. Die Bedeutung des H. ist dem Vf. nemlich ganz die ethische und religiöse eines Vermittlers zwischen Gottheit und Menschheit, wobei eine Parallele mit christlichen Ideen nahe liegt, aber doch nur unter wesentlichen Beschränkungen zugelassen wird (§. 541. 544. 602. 657). Er ist der jüngste und geliebteste Sohn des Zeus, welcher den sinnlichen Bedingungen des menschlichen Lebens unterworfen wurde, aber innerhalb dieser Bedingungen sich selbst zuletzt durch ausdauernden Mut und Aufopferung die göttliche Natur und den Olymp gewinnt, und dadurch zugleich im steten Kampfe für menschliche Cultur der Heiland seines Volkes und der bedürftigen Menschheit überhaupt geworden ist. Ich leugne die Richtigkeit dieser Auffassung nicht, doch kann ich sie nur unter gewissen Beschränkungen gelten lassen, nemlich nur als Resultat des apollinischen Cultus und einer ethischen Auffassung, welche alt, aber hier und sonst in der griechischen Mythologie nicht das älteste ist. Für mich spricht dasz unter solchen Voraussetzungen vieles gar nicht oder nicht auf eine ausreichende Weise erklärt werden kann. So ist §. 559 der Widerspruch zwischen der älteren homerischen Auffassung und der späteren zwar anerkannt, aber nicht begriffen. Desgleichen kommen in der Erklärung der zwölf Thaten, wo sich der Vf., wie überhaupt bei der Behandlung der Heraklesmythen, ganz an Apollodor anschlieszt, manche Wendungen vor welche ganz der pragmatischen Mythenbehandlung entsprechen. So werden die stymphalischen Vögel für die Erinnerung an eine gefährliche Vogelinvasion' genommen, welcher H. ein Ende gemacht habe, der kretische Stier auf die Verpflanzung einer Race, vielleicht einer Büffelart gedeutet, die Rosse des Diomedes eben so, die Fahrt nach Erytheia von einer Erweiterung der Grenzen der Schiffahrt, endlich die Ueberwindung des Höllenhundes Kerberos von der Ausbeutung der Schätze der tiefen Erde verstanden.

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Einer Andeutung des §. 574 zufolge sollten ursprünglich auch die andern Kreise der heroischen Mythologie behandelt werden. Dagegen wird am Schlusse des §. 660 auf einen im 2n Theil von Gerhards hyperboreisch - römischen Studien (archaeologischer Nachlasz aus Rom) mitgetheilten Aufsatz verwiesen, wo die idealen Charaktere und Gestalten der übrigen Heroen, aber nur auf eine sehr übersichtliche Weise behandelt sind. Ein wichtigeres Complement, durch welches das vorliegende Buch in manchen Punkten ergänzt und erläutert wird, ist das vor kurzem von demselben Vf. über die Ruinen und Museen Roms erschienene (Braunschweig, F. Vieweg u. Sohn. 1854. XXXIII u. 860 S. gr. 12), welches zunächst für Reisende, Künstler und Alterthumsfreunde bestimmt ist, aber auch für das mythologische und archaeologische Studium überhaupt viel Anregung und Ausbeute gewährt. Auf eine kurze topographische Uebersicht der ewigen Stadt folgt eine weit ausführlichere Uebersicht der in den verschiedenen Museen Roms aufgehäuften Antikenschätze, wobei der Vf. nach

seiner Weise sich nicht auf die einfache Periegese und Erklärung beschränkt, sondern allerlei archaeologische, mythologische, methodologische und aesthetische Winke und Erörterungen mit einflieszen läszt, welche den Umfang des Buches sehr vergröszert, aber demselben dafür auch ein allgemeines und höheres Interesse als das des nächsten praktischen Nutzens verliehen haben.

Noch wichtiger, ja ein unmittelbarer Anhang des mythologischen Handbuches von Braun ist die ziemlich gleichzeitig erschienene:

11) Vorschule der Kunstmythologie von D. Emil Braun. Verlag yon Justus Perthes in Gotha. 1854. 65 S. gr. 4.

Hundert Umrisse in Kupferstich und dazu ein Text von 65 Groszquartseiten, zu einem Preise von nur fünf Thalern. Eine schöne und lehrreiche Auswahl der besten Götterbilder (leider mit Ausschlusz des Dionysos und Herakles), wenn anders die Zeichnungen ganz zuverlässig sind, da der Herausgeber selbst sagt dasz er den Zeichner die für den charakteristischen Ausdruck nach seiner Ansicht wichtigsten Momente besonders stark habe hervorheben lassen. Auch hätten wol die angesetzten Theile nach der herkömmlichen Weise durch Punkte abgesondert werden sollen. Das erste Blatt ist ein auch von R. Rochette Choix de peintures de Pompéi Pl. 1 und von Welcker zu Ternite N. F. T. 22 besprochenes pompejanisches Gemälde, welches nach Braun u. a. die Verbindung des Kronos mit der Rhea darstellt, aber von R. Rochette und Welcker mit gröszerer Wahrscheinlichkeit von der Begegnung des Zeus und der Hera auf dem Ida verstanden wird. Weiterhin folgen Reliefs, Büsten, Statuen usw. zur Kunstmythologie des Zeus und der übrigen Götter, groszentheils aus den Museen in Rom, manches aber auch aus dem britischen Museum, dem Louvre und aus andern Sammlungen entlehnt, namentlich auch viele herculanensische und pompejanische Gemälde und Bronzen aus Neapel. So T. 11 ein pompejanisches Gemälde des thronenden Zeus und T. 14 das neuerdings in der Zahnschen Sammlung III 14 in farbigem Druck publicierte, wo Zeus von einer aus dem Hintergrunde heranschwebenden Nike gekrönt wird, und T. 15 das auch aus der Sammlung von Ternite N. F. T. 23. 25 bekannt gewordene, wo Zeus in den Wolken lagernd durch Eros auf eine schöne dieser Erde aufmerksam gemacht wird: eine Vorstellung welche ganz im Sinne der pompejanischen Wandmalerei ist, aber in eine kunstmythologische Sammlung wie diese doch nicht recht passen will. Dann folgen Bilder des Poseidon T. 16— 20, des Pluton T. 21. 22, der Hera T. 23—26, der Demeter und Kora T. 27—32, der Hestia T. 33, des Kronos T. 34. 35, der Rhea T. 36, eine sehr vollständige und lehrreiche Zusammenstellung von Bildern des Apollon und der Artemis T. 37-55 und eine gleichfalls sehr dankenswerthe und lehrreiche über Athena T. 56-70. Endlich noch die Bilder der Aphrodite T. 71-82, des Ares T. 83-86, des Hermes T. 87 -97 und des Hephaestos T. 98-100. Auszer den Sculpturen und

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