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concret ist, um sich in solche abstracte Schemata einzwängen zu lassen. Auch braucht man zu solchen ganz allgemeinen Begriffen wie denen der ersten Ursache, der Materie usw. doch wirklich nicht die platonische Philosophie, die überdies in ihren dialektischen Abschnitten durchaus nicht ein so intimes Verhältnis zur Volksreligion und Mythologie haben möchte wie der Vf. annimmt. Im Gegentheil gerade Platon, obwol er mit mythologischen Vorstellungen und Bildern zu spielen liebt, gehört bekanntlich zu den Philosophen, welche sich der populären d. h. wesentlich auf dem Epos (Homer und Hesiod) beruhenden Mythologie am schroffsten entgegengestellt haben, wie denn auch der ganze Geist seiner Philosophie eine gröszere Verwandtschaft mit dem Christenthum und der geoffenbarten Religion als mit dem Heidenthum hat.

Insofern also möchte sich der Vf. durch seine Vorliebe für Platon, über dessen Philosophie er früher geschrieben hat (Platonis de summo bono doctrina, Berol. 1843), in eine falsche Bahn haben führen lassen. Im übrigen aber enthalten beide Abhandlungen viel schönes und förderliches, sowol über mythologische Methode im allgemeinen als über den Gott Hermes und sein Wesen und wirken insbesondere. So wird im In Theile mit vieler Einsicht über die Frage gesprochen, inwieweit die Namen der Götter und deren Etymologie, auf welche insgemein zu viel Gewicht gelegt wird, eine entscheidende Wichtigkeit habe, desgleichen über das Verhältnis der epischen, namentlich homerischen Mythologie zur localen, bei welcher Gelegenheit der Vf. erhebliche Einwendungen gegen die Müllersche Methode macht, über die physikalische Mythendeutung usw. Voran geht eine Entwicklung der Bedeutung des Hermes bei Homer, dann folgt eine Untersuchung über seinen Namen, die zu dem in den meisten Fällen giltigen Resultate führt dasz nicht in der Namenerklärung der Beweis für die Richtigkeit eines aufgestellten Begriffs liege, sondern umgekehrt aus dem anderweitig sich ergebenden Begriffe die Richtigkeit der Namendeutung sich bewähren müsse.' Darauf wird der physikalischen Mythendeutung die Richtigkeit ihrer Voraussetzung zugegeben, dasz die ältesten Mythologumena ein Ausdruck für ein wissen von der Natur seien, welches nicht das einer Wissenschaft, aber auch nicht das von ganz rohen Naturmenschen gewesen sei; sondern als ahnungsreiche, sinnige Kinder, deren eingeweihten Blicken alles eines Gottes Spur zeigte' habe man sich die Griechen in der vorhistorischen Zeit der Mythenentstehung zu denken.

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Das Wesen des Hermes wird im wesentlichen so aufgefaszt, wie der unterz. im Artikel Mercurius der stuttgarter Realencyclopaedie es aufgefaszt hatte (worauf auch verwiesen wird): Hermes sei die thätige, ausführende, demiurgische Gotteskraft im weitesten Sinne des Wortes, die durch alle Gebiete der Welt und das leibliche sowol als das geistige hindurchgeht, daher Hermes selbst mit gleicher Rüstigkeit im leiblichen wie im geistigen begabt sei und seine alles. vermittelnde Wirksamkeit nicht blosz die praktischen Bewegungen des

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menschlichen Lebens, sondern auch die wechselnden Zustände des Seelenlebens betreffe. Nur dasz der Vf. dieses in seine Sprache übersetzend sich ausdrückt: Hermes sei das executive Organ des Götterkönigs, der höchten causa efficiens, welcher dessen Herschaft über das anɛiqov d. h. die causa materialis immer von neuem geltend mache. Und diese etwas zu abstracte Anschauung begegnet uns dann auch im 2n Theil, dessen Aufgabe es ist das Wesen des Hermes zunächst im Gebiete der Natur nachzuweisen; denn seine Wirksamkeit in den geistigen Verhältnissen des menschlichen Lebens musten aus Mangel an Raum einem andern Schulprogramm vorbehalten bleiben. Doch fehlt es auch hier nicht an vielen schönen und sinnreichen, ebenso eigenthümlichen wie anregenden Bemerkungen, z. B. S. 17 die Erklärung des Mythos von der Entführung der Rinder des Apollon durch Hermes, unter welchen Rindern Hr. W. die Tage versteht welche, wenn sie nach der Sommersonnenwende abnehmen, gleichsam rückwärts gehen und in das nächtliche Dunkel der Unterwelt hineingetrieben werden; denn in diese scheint zur Winterszeit das Licht allmählich immer mehr hinunterzugehen und droht darin zu verschwinden. Die Taggöttin selbst, die Hemera, hat ja nach Hesiod in derselben ihr Haus und wohnt dort jede Nacht. Dasz aber der Gott der Oberwelt, der am Morgen (elíolo vέov Enitelloμévolo) den Hermes findet und im Streite mit ihm nach der Entscheidung des Zeus siegt, also die Macht welche ihm auf eine fast unmerkliche Weise seinen Besitz (die Tage) zu stehlen versucht, zwingt, das entwendete aus der dunklen Höhle s pάos wieder herauszugeben, das scheint die Grundanschauung des alten Mythos zu sein, welche der homerische Hymnus freilich nur getrübt wiedergibt, aber in seiner anthropomorphisch ausgesponnenen Darstellung doch noch, sogar in einzelnen Wendungen und Ausdrücken, bewahrt hat.' So ist auch die Erklärung des Märchens vom Autolykos, dem Groszvater des Odysseus, S. 19 eine sehr gelungene und die Deutung des apollinischen Symbols des Wolfes sehr beachtungswerth. Derselbe scheint Hrn. W. nicht ein Symbol des Lichtes zu sein, sondern im Gegentheil das eines dem Lichte feindlichen Wesens, des Winters, der Stürme, der Finsternis, in welchem Sinne auch die Namen und Sagen vom Apollon λύκειος, λυκηγενής, λυκοκτόνος erklärt werden. Es läszt sich nicht leugnen, dasz diese Erklärung sowol den Vorzug der innern Natürlichkeit als den der mythologischen Consequenz hat, da der Wolf im Culte des lykaeischen Zeus ganz überwiegend diese Bedeutung der feindlichen und stürmischen Jahreszeit hat und auch der Thrakerkönig Lykurgos, der Feind des Dionysos, wesentlich den Winter zu bedeuten scheint. Die Naturbedeutung des Hermes aber ist sehr schwer zu erfassen und auf bestimmte Vorstellungen zurückzuführen. Es ist eine nebelnde, dämmernde, Licht und Dunkel, Sommer und Winter, Himmel und Unterwelt, Geist und Körper ausgleichende und zwischen beiden vermittelnde Thätigkeit, stets geschäftig, listig, zugleich befruchtend und rüstig: weniger eine bestimmte Naturkraft,

wie es scheint, als die daemonische und demiurgische Kraft der Veränderungen, wie sie sich im Wetter, im Verlauf der himmlischen Erscheinungen, in dem des Jahres offenbart: so dasz die Erklärung des Hermes durch den dämmernden Regen- und Wolkengott, wie ich sie in meiner griechischen Mythologie durchzuführen versucht habe, doch wol zu eng ist.

2) Ueber die Grundidee des Gottes Hermes, von Carl Friedrich Dorfmüller, k. Gymnasialprofessor. Erste Abtheilung. (Einladungsschrift zur Preisevertheilung am k. Gymnasium bei S. Anna.) Augsburg 1851. 40 S. 4.

Auch dieser gelehrte verbreitet sich ausführlich über die verschiedenen mythologischen Methoden und ihre Mängel, doch ist es weniger leicht über seine eignen Grundsätze ins klare zu kommen. Am meisten schlieszt er sich an Schelling, Creuzer und Röth an. Die vorliegende Abhandlung beschäftigt sich nur mit dem aegyptischen Hermes, wodurch der noch bevorstehenden Darstellung des Wesens und der Eigenthümlichkeit des griechischen Hermes vorgearbeitet werden soll; denn die aegyptische Mythologie sei die der griechischen in gewissem Sinne' am nächsten stehende, was auch der scharf und tief blickende Geist Herodots sogleich erkannt habe. Hermes sei in der aegyptischen Religion der Geist der die drei höchsten Gestalten (Ammon, Phthah und Kneph) in der Einheit éines Selbstbewustseins zusammenfasse und begreife, der concentrierte Ausdruck der Harmonie aller jener göttlichen Gestaltungen in éinem Bewustsein, also auch das Princip der Offenbarung, der grosze έounvɛús, und als solcher in ganz specifischer Verbindung mit der Priesterschaft, in welcher der Geist des Hermes fortlebe, der ihnen alle Erkenntnisse mittheile. Nach dieser Analogie wird der Vf. also wahrscheinlich auch den griechischen Hermes auffassen wollen, dabei aber hoffentlich auch bedenken, dasz die aegyptische und die griechische Religion, mögen sie sich sonst in ihren elementaren Anschauungen manigfach berührt haben, doch insofern gänzlich und wesentlich verschieden gewesen sein müssen, als die eine Product einer hierarchisch bevorzugten Priesterschaft und einer diesem Verhältnisse entsprechenden Bildung, die griechische dagegen wesentlich Volksreligion war und blieb. Frühere Schriften des Vf. sind eine de Graeciae primordiis und verschiedene Recensionen mythologischer Arbeiten in den münchner gelehrten Anzeigen.

3) Ueber das Wesen Apollons und die Verbreitung seines Dienstes. Ein Versuch von A. Schönborn. Berlin, Mittler u. Sohn, 1854. III u. 80 S. 8.

Diese lehrreiche und sehr gut geschriebene Abhandlung zerfällt in zwei Abschnitte, von denen der erste einen negativen, der zweite

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einen positiven Charakter hat. In jenem wird gegen K. O. Müller mit guten Gründen ausgeführt, dasz der von ihm postulierte Zusammenhang zwischen dem dorischen Stamme und dem apollinischen Cultus in der That nicht stattgefunden habe, da namentlich die alte Doriercolonie nach Kreta, welche noch vor der Heraklidenrückkehr von Thessalien ausgegangen sein soll, nur eine Fiction späterer Grammatiker zu Gunsten eines Anachronismus bei Homer zu sein scheine. Ref. kann sich mit diesen Resultaten um so unbefangener einverstanden erklären, da er für sich selbst lange eine ähnliche Ansicht gewonnen hatte. Nur scheint mir Hr. Schönborn im Eifer seiner Untersuchung zu weit zu gehen, wenn er von gar keinem ältern Zusammenhange zwischen Kreta und Delphi wissen will, für den doch so manche wichtige Umstände sprechen und den der Vf., sobald er von jener praesumierten alten Colonie der Dorier auf Kreta absieht und dafür andere nationale und Cultureinflüsse setzt, doch auch recht gut gelten lassen könnte. Ich erlaube mir in dieser Hinsicht auf einen Aufsatz über Krisa und sein Verhältnis zu Kirrha und Delphi' zu verweisen, der in den Berichten über die Verhandlungen der k. sächs. Gesellschaft d. W. zu Leipzig, phil.-hist. Classe 1854 III u. IV S. 119 ff. abgedruckt steht. - Weiter wird vom Vf. nachgewiesen, dasz auch die sehr alten apollinischen Dienste in Kleinasien nicht von dem dorisierten Kreta oder sonst von hellenischen Einflüssen abgeleitet werden können, sondern vorhellenischen Ursprungs sind, so dasz also Apollon nach Hrn. Sch. (ich habe in meiner griech. Mythologie im wesentlichen dieselbe Ansicht ausgesprochen) nicht, wie Müller wollte, von den Hellenen zu den Asiaten, sondern umgekehrt von den Asiaten zu den Hellenen gekommen wäre. Darauf versucht der Vf., um einen Schritt ins positive zu thun, das ursprüngliche Wesen Apollons zu bestimmen, dessen wichtigste Eigenschaften im natürlichen und sittlichen Leben er zunächst aus Müller, Schwartz de antiquissima Apollinis natura u. a. zusammenträgt, um darauf das etwas sehr abstracte Resultat auszusprechen, dasz Apollon eigentlich die männliche Hypostase des höchsten Gottes der alten Welt darstelle, wie Athena die weibliche; in diesem Ausdruck werde sich am besten seine machtvolle Stellung Menschen und Göttern gegenüber, die über seine ganze Persönlichkeit verbreitete Hoheit, sowie seine in den verschiedensten Sphaeren sich äuszernde Einwirkung auf die Menschen zusammenfassen lassen. Endlich glaubt er speciell von dem Orakel des didymaeischen Apollon zu Milet, einem der ältesten Dienste im griechischen Kleinasien, den asiatischen und zwar einen semitischen Ursprung nachweisen zu können, durch eine scharfsinnige und in etymologischer Hinsicht sehr ansprechende Erklärung der Erzählungen von Branchos, dem Liebling und ersten Propheten des didymaeischen Apollon. Leider finden sich diese Erzählungen erst bei den sehr späten Referenten Konon und Lutatius, dem Erklärer des Statius, welcher Umstand Hrn. Sch. selbst einigermaszen bedenklich stimmt (S. 69). Doch tröstet er sich mit der Behauptung, dasz ein mit semitischen Namen ausgestatteter

Mythos nicht wol nach, sondern nur vor der hellenischen Colonisation von Milet habe entstehen können, da einem hellenischen Gotte doch nicht eine durchweg orientalische Genealogie gegeben sein würde. Indessen lassen sich dagegen doch einige Bedenken erheben. Auch ich bin der Meinung dasz der milesische Apollon nicht hellenischen Ursprungs ist, doch möchte ich diesen Ursprung lieber bei der älteren karischen oder lykischen Bevölkerung von Kleinasien suchen, wohin namentlich die Mythen vom Miletos oder Atymnos und vom Sarpedon deuten, die mir in diesen Gegenden weit älter und ursprünglicher als die Erzählungen von Branchos zu sein scheinen. Sind diese, wie der Vf. es erwiesen, semitischen Ursprungs, so stammten sie höchst wahrscheinlich aus Kilikien, welches auf das hellenische Orakelwesen in Kleinasien auch sonst manchen Einflusz ausgeübt haben musz, wie man dieses namentlich aus den Erzählungen von der Auswanderung der Propheten Mopsos und Amphilochos nach Kilikien folgern darf, s. Stiehle im Philologus VIII S. 69 ff. Berichteten von diesen Sagen nun auch schon die hesiodische Melampodie und der Dichter der Nosten, so möchte ich sie doch für beträchtlich später als die Hellenisierung von Milet halten, da solche Städte wie Milet und Ephesos durch Vermittlung des lydischen Reiches und vollends unter der persischen Herschaft mit dem tiefern Asien ohnehin einen lebhaften Verkehr hatten. Das alles bedarf einer eingehenderen Untersuchung. Hrn. Sch. aber gebührt jedenfalls das Verdienst, die unbegründeten Voraussetzungen Müllers ausführlich beleuchtet und zugleich, was speciell das Märchen von Branchos und den Branchiden betrifft, eine in mehr als éiner Hinsicht sehr interessante Erklärung gegeben zu haben.

4) Ueber die Philaenensage, mit Berücksichtigung ähnlicher Erzählungen aus älterer und neuerer Zeit, von Dr. Hermann Middendorf. (Jahresbericht über das k. Gymnasium zu Münster.) Münster, bei Coppenrath. 1853. 25 S. 4.

Eine gute Probe der comparativen Behandlung von Sagen, welche immer viel anregendes hat. Der gemeinschaftliche Stoff dieser Sagen sind Grenzstreitigkeiten, die dadurch beigelegt werden dasz man zu gleicher Zeit zwei Männer von bestimmten Punkten ausgehen läszt, so dasz der Ort ihres zusammentreffens als Grenze angesehen werden soll; eine Gelegenheit der List und der patriotischen Aufopferung, welche die Sage dann besonders hervorhebt. Der Vf. führt zuerst eine schöne Schweizersage über die Entscheidung eines Grenzstreits zwischen Uri und Glarus an, dann eine gleichartige aus dem griechischen Alterthum, wo es einen Grenzstreit zwischen den Städten Lampsakos und Parion in Kleinasien zu schlichten galt. Darauf kommt er zu der von Sallust u. a. erzählten Geschichte von den Philaenen, durch welche die Grenze zwischen Kyrene und Karthago bestimmt sein soll: welche Erzählung er gleichfalls nur als eine Sage

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