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liche Naturanschauungen das geistige frei menschliche Interesse der Heroensage verloren gehe. Nur bei einer ganz misverständlichen Auffassung, welche, wie zum Theil allerdings schon geschehen ist, in die Sage oder gar in die heroische Poesie noch das Bewustsein jener Naturanschauungen hineintragen will, kann dies mit Recht gesagt werden; in der Erkenntnis jener Umbildung dagegen zeigt sich nur um so klarer und siegreicher die Macht, mit welcher das erwachte frei geistige Bewustsein die früheren blosz natürlichen Elemente zu Trägern seines eignen Lebens umgewandelt hat. Und ebenso, wenn wir bei Thaten der Heroen als wahre geschichtliche Grundlage zum Theil die Thaten und Geschichte bestimmter Stämme und Gemeinschaften erkennen, so zeigt sich auch hierin nur um so lebendiger und vollständiger die wahre geistige Eigenthümlichkeit jener Zeiten, welche noch in substantieller Gebundenheit die waltenden und bewegenden Kräfte ihrer Geschichte nicht in dem eignen individuell menschlichen thun anzuschauen vermochten, sondern in höheren idealen, über die unmittelbar gegenwärtige menschliche Bedingtheit hinausgerückten Götter- und Heroengestalten, aus denen das Bewustsein seine Kraft schöpfte.

Dies alles soll nun, soweit es in den engen Grenzen einer kurz zu entwickelnden Grundauffassung möglich ist, besonders an dem homerischen Sagenkreise dargethan werden, wobei wir zwei Hauptseiten, die übrigens wesentlich miteinander zusammenhängen, zu unterscheiden haben, nemlich 1) den Ursprung der ganzen Sage von dem troischen Kriege, und 2) die ursprüngliche Bedeutung der in dieser Sage auftretenden Hauptpersönlichkeiten. In ersterer Hinsicht werden wir an eine schon mehrfach ausgesprochene, aber wie uns scheint bis jetzt weder in der wahren innerlichen Weise begründete, noch auch von der gegnerischen Seite richtig aufgefaszte Erklärung anknüpfen, dasz nemlich die (selbst noch in die heroische Zeit fallende) aeolische Wanderung nach Kleinasien und die mit ihr zusammenhängenden Kämpfe den allgemeinen geschichtlichen Grund der ganzen Sage bilden; was die besonderen Persönlichkeiten derselben betrifft, so versteht es sich von selbst dasz wir nur auf die hauptsächlichsten (vor allem Achilleus und Odysseus) etwas näher eingehen können.

Zunächst haben wir die Gründe in Erwägung zu ziehen, welche gegen jene hauptsächlich von K. Völcker *) und E. Rückert **) vorgetragene Erklärung des troischen Sagenkreises von F. G. Welcker ***) geltend gemacht worden sind. Diese Gründe sind theils aus besonderen örtlichen und geschichtlichen Umständen entnommen, theils beziehen sie sich auf die innere Undenkbarkeit einer solchen Gestaltung der Sage, nach welcher sie die wirklichen geschichtlichen Vorgänge

Allgem. Schulzeitung 1831 2e Abth. Nr. 39-42.

*: Trojas Ursprung, Blüte, Untergang und Wiedergeburt in Latium. 1846, und ungleich früher schon eine kurze Andeutung in der Schrift über den Dienst der Athena. 1829.

***) Der epische Cyclus. 2r Theil. (1849) S. 21 ff.

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auf die früheren glänzenden Heroen der Nationalgeschichte hinaufgerückt' hätte. Unter den Gründen der erstern Art steht voran die Verschiedenheit des aeolischen Ilion von dem Troja der homerischen Dichtung, die Nichtigkeit der Ansprüche jenes aeolischen Ilion und die aus dem allem folgende Verschiedenheit des aeolischen Zuges und seiner Ueberlieferung von dem troischen Kriege Homers. So wenig es uns nun einfällt an diesem ersten Grunde die Praemissen, nemlich die Verschiedenheit des aeolischen Ilion und des alten Troja usw. bestreiten zu wollen, so sehr müssen wir uns gegen die allzu rasche Schluszfolgerung wenden. Die Hauptfrage nemlich, von welcher aus erst die Richtigkeit jener Folgerung beurtheilt werden kann, ist offenbar die, in welche Zeit denn die Gründung jenes aeolischen Ilion und die Entstehung des an dasselbe geknüpften Anspruchs (an die Stelle des alten Troja getreten zu sein) zu setzen ist? Auf diese Frage fehlt es an einer bestimmten Antwort aus dem Alterthum; allein wenn Welcker a. a. O. S. 23, ohne genauer zu unterscheiden, die Gründung Neuilions und die an dasselbe geknüpfte Meinung von der Identität desselben mit dem alten Troja den aeolischen Colonisten zuschreibt, in der Zeit als sie sich nach und nach in Troas festgesetzt hatten, so ist dies eine durchaus ungerechtfertigte Hinaufschiebung einer Thatsache, von welcher wir in Wahrheit erst aus ungleich späteren Zeiten wissen; und was wir noch aus den erhaltenen wenigen Nachrichten sowie den Umständen selbst schlieszen können, ist weit mehr gegen diese Ansicht. Ist auch die Angabe bei Strabo XIII p. 601, dasz έñì tăv Avdov das neue Ilion gegründet worden sei, eine sehr unbestimmte, so wird doch schon durch sie die erste Entstehung dieses Neuilion in eine Zeit herabgesetzt, die mehrere Jahrhunderte später ist als die der aeolischen Colonien und ihrer Kämpfe, und zugleich wird es wiederholt als ein in seiner ersten Zeit ganz unbedeutender Ort, als bloszes Dorf bezeichnet (p. 593), so dasz auch hieraus ersichtlich ist dasz seine Gründung kein Act von Bedeutung war. Noch viel mehr aber fragt es sich, welcher Zeit die Entstehung jener Meinung angehört, welche dies neue Ilion an die Stelle des alten setzte, denn der blosze Name lion ist doch wahrlich noch kein Beweis dasz etwa schon von Anfang diese Meinung sich angeknüpft hätte; auch spricht im Gegentheil eine Erwägung der übrigen Umstände durchaus dagegen dasz diese Meinung schon in einer frühen Zeit aufgekommen wäre. Welcker selbst findet bei der ganzen Sachlage, wie er sie darstellt, nur den Umstand verwunderungswerth, dasz eine zur Festung und zur Hauptstadt von Troas so günstige Lage wie die des alten Ilion niemals benutzt worden sei.' Woher aber dieser auffallende Umstand? Ohne Zweifel aus dem einfachen halb religiösen Grunde, dasz den Aeolern selbst der Grund und Boden einer feindlich zerstörten Stadt, gegen welche so der Wille der Götter selbst sich erklärt hatte, nicht geeignet erschien für eine eigne Niederlassung (vgl. dieselbe ganz natürliche Reflexion schon bei Strabo p. 601). Dies aber spricht dann jedenfalls dagegen, dasz schon

durch die älteren Aeoler selbst die Meinung aufgekommen sein sollte, als stünde das neue Ilion an der Stelle des alten. Und wie in der That erst aus viel späterer Zeit diese Meinung überliefert wird und zwar als eine immer zugleich auch bestrittene, so läszt sich auch nicht einsehen, wie im Gegensatz gegen die homerische Dichtung gerade in jener ältern Zeit und in jener Gegend, in welcher die Sage ihren Hauptsitz hatte, eine abweichende Meinung hätte aufkommen und sich befestigen können. Die Entstehung der Gesänge der Ilias ist ja doch wol jedenfalls jünger als jene aeolische Wanderung und als die Kämpfe die sie begleiteten; ja sie würde ungefähr in eben die Zeit fallen, in welcher nach jener Welckerschen (freilich ziemlich unbestimmt gehaltenen) Auffassung der Anspruch Neuilions auf der Stätte des alten zu stehen aufgekommen sein müste. Wie aber sollen wir uns dies zusammendenken, dasz in eben der Zeit, in welcher die sich ausbreitende epische Dichtung an der wirklich geschichtlichen Lage des alten Troja festhielt, eine entgegengesetzte Meinung gerade im Mittelpunkt der Gegenden, in welchen die Dichtung ihre lebendigste Wurzel hatte, sich hätte ausbilden können? Kurz, jene Meinung gehört allen Anzeichen nach einer Zeit an, die sowol von der Entstehung der homerischen Gesänge als von der ältern Geschichte der aeolischen Colonien durch einen weiten Zwischenraum, durch Jahrhunderte, getrennt ist; sie beweist also nichts dagegen, dasz die alten aeolischen Colonisten mit dem wirklichen alten Troerstaate zu kämpfen hatten. Aehnlich verhält es sich mit einem zweiten Gegengrunde, dasz nemlich die homerische Vorstellung, zufolge welcher Aeneas und sein Geschlecht nach dem Falle Trojas noch über die Troer fortherschen sollen, mit den Verhältnissen der spätern aeolischen Zeit, in welcher jenes Geschlecht unterlegen sei, nicht stimme. Es fragt sich hier nur, in welche Zeit denn dieses unterliegen des Aeneadengeschlecht gesetzt werden müste, zumal da ohnedies darüber durchaus keine directe Nachricht vorhanden ist. Nach Strabo p. 607 sollen in Skepsis das Geschlecht des Askanios und das des Skamandrios (Hektors Sohn) lange Zeit regiert haben, ja noch in später Zeit, als diese Gegend mit Milet zu einer Gemeinde vereinigt wurde, sollen die Abkömmlinge jenes Geschlechts besondere Auszeichnung genossen haben; und ebenso ist noch in der Erzählung Xenophons (Hellen. III 1, 8 ff.) von einem dardanischen Geschlecht die Rede, das gleichfalls eben in Skepsis, und Gergis, festen Städten', in der Eigenschaft von Satrapen fortherschte. Bei Herodot V 122 werden in der Zeit des ionischen Befreiungskampfes die Gergithier als die übrig gebliebenen alten Troer aufgeführt. Bei diesen Angaben hat man wol volles Recht anzunehmen, dasz auch gegenüber von den aeolischen Ansiedlern sich jener an das Geschlecht der Aeneaden geknüpfte troische Gebirgsstaat lange Zeit, noch Jahrhunderte, behauptet haben mag, und es ist nicht einzusehn, warum die Auschauung des homerischen Epos sich nicht aus den Verhältnissen in der ältern Zeit der aeolischen Colonien soll erklären lassen können. Müssen wir vielmehr der ungleich wahrscheinlichsten Annahme nach

die Ausbildung jenes Epos eben in die älteren Zeiten der aeolischen Colonien setzen *), so wird wol mit mehr Recht der umgekehrte Schlusz erlaubt sein, dasz auch durch die homerische Anschauung die (durch nichts umgestoszene) Annahme bekräftigt wird dasz jener troische Gebirgsstaat sich gegenüber von den Aeolern noch lange behauptet habe.

Die beiden so eben besprochenen Gegengründe Welckers stehenauf so schwachen Stützen, dasz man glauben musz, der Widerspruch gegen jene Erklärung rühre weit mehr von ihrer vermeintlichen innern Undenkbarkeit her; und in der That wird diese von Welcker in den stärksten Ausdrücken hervorgehoben: etwas gedichtetes und früheres von solchem Umfang und Zusammenhang an die Stelle von etwas wirklichem und späterem, das doch selbst grosz und denkwürdig war, zu setzen, alle eignen Helden und deren Thaten und Geschicke gänzlich fallen zu lassen und völlig verschiedene zu erfinden, konnte niemand einfallen.' Kein Beispiel möchte sein, dasz die Sage eine Begebenheit in die Zeiten der Urväter der wirklichen Helden hinaufrückte, diese mit ihren eignen, weit entfernten Wohnsitzen angehörigen Ahnherren vertauschte' usw. Allein in Wahrheit ist auch eine solche Auffassung der Sache nur ein gänzliches Misverständnis (wobei wir freilich von der Art wie bei Völcker u. a. jene Erklärung begründet und ausgedrückt sein mag, ganz absehen und uns nur an die Sache selbst halten). Nicht im mindesten davon ist bei jener Erklärung, wenn sie anders richtig gefaszt wird, die Rede, dasz die Sage die eignen Kämpfe der aeolischen Ansiedler in eine frühere Zeit, auf frühere Helden habe hinaufrücken wollen; was wir vielmehr behaupten ist das, dasz die Sage von den siegreichen Kämpfen der homerischen Helden ursprünglich nichts anderes als der (aus der Anschauungsweise jener Zeit) innerlich nothwendige und ganz natürliche Ausdruck für die eignen Kämpfe jener aeolischen Einwanderer selbst gewesen sei und dasz erst durch diese (in Folge des ganzen Zeitbewustseins) noch nothwendig mythische Darstellungsform jener Kämpfe allmählich jene Auffassung entstehen muste, welche dem wirklichen

*) Ohnedies gerade jene Ausführung im 20n Buch der Ilias, welche am meisten und offenkundigsten auf Verherlichung des Aeneas und seines Geschlechts berechnet ist, gehört wol zu den wenigst ursprünglichen Bestandtheilen der Dichtung; denn die man kann nicht anders sagen als geschwätzige und gerade auf dem erwartungsvollen Punkte, wo der Felide zum erstenmal wieder auftritt, gewis sehr störende Breite, mit welcher namentlich von Vs. 200 an die Abstammung des Aeneas entwickelt wird und von welcher auch der Dichter selbst ein sehr naives Bewustsein zeigt (vgl. besonders Vs. 244-254), dies nebst der ganzen überall hervortretenden Absicht, die Gestalt des Aeneas (und also in ihm den Ruhm des Aeneadengeschlechts) möglichst zu heben, so dasz Vs. 261 ff. selbst der Pelide in einer Weise, die uns zu seiner sonstigen Charakteristik wenig zu passen scheint, vor dem Gegner erschrickt, weist gewis darauf hin, dasz wir hier ein von dem unbefangenen und echt poetischen Geiste der ältern Dichtung schon ziemlich abweichendes späteres Element vor uns haben.

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