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räumlich trennt'. Es gehört zu Zellers bedeutendsten Verdiensten nachgewiesen zu haben, dafs von Idee und Erscheinung als zwei nebeneinander bestehenden Welten bei Platon nicht die Rede sein kann, dafs das sie trennende nur ein un ov ist. Dafs nun aber Platon trotzdem an andern und wohl an den meisten Stellen sich genöthigt sieht, diese Trennung und diesen Gegensatz hervorzuheben und so das angebliche un ov zu einer sehr realen Macht zu erheben, ist keine weitere Entwicklung bei ihm, sondern nur der unlösbare Widerspruch seines Standpunktes. Auch macht Hr. St. hier wiederum einen zweideutigen Unterschied zwischen den urbildlichen Ideen und den Gattungsbegriffen. Wären die Ideen wirklich etwas anderes als die substanziierten Begriffe, so müste uns der Hr. Vf. wenigstens zeigen, wie sich beide voneinander unterscheiden und positiv zueinander verhalten.

das

Wenden wir uns jetzt schliefslich zur Analyse des Dialogs selbst, S. 52-77, so wird zunächst die Bedeutung der beiden Personen, gemeinsame, welches beide als begeisterte miteinander haben, und doch dabei der sich in ihnen darstellende Gegensatz des selbständigen Denkers und des unselbständigen Enthusiasten vortrefflich geschildert S. 52-57. Recht fein ist die Bemerkung S. 57-59, dafs überall, wo Platon den getadelten Richtungen andere befsere entgegenstellt, diese letztern durch Athener oder doch in Athen eingebürgerte Männer vertreten werden. Ebenso wenig wüste ich gegen die Motivierung des gewählten Schauplatzes und Zeitabschnittes etwas einzuwenden S. 59 -61. Nicht so ganz einverstanden dagegen sind wir mit den Bemerkungen über die Einkleidungsform des Gesprächs S. 61. Es dünkt uns vielmehr an sich immer als das natürlichere, dafs ein Gespräch unmittelbar dargestellt und nicht erst nacherzählt wird, und Platon selbst scheint im Eingange des Theaetetos dies anzudeuten. Dann aber bedarf es dafür, wenu diese Form festgehalten wird, gar keiner weiteren Erklärung, sondern nur, wenn Platon von ihr abweicht, müssen in jedem einzelnen Falle die besondern Gründe hiefür aufgesucht werden. Dafs dagegen diese Abweichung immer dann eintrete, wenn von einer sei es wirklichen oder erdichteten Begebenheit aus dem Leben des Sokrates ausgegangen wird, dürfte sich nicht mit Hrn. St. behaupten lassen; denn wann wäre dies wohl nicht der Fall? oder, wenn diese allgemeine Erwägung nicht überzeugt, so widerlegt sich doch diese Behauptung durch den Euthyphron. Die Gliederung des Dialogs in zwei Hauptabschnitte und jedes derselben wieder in drei Theile war nicht zu verfehlen; ihr gegenseitiges Verhältnis hat Hr. St. gebührend gewürdigt. Nur möchten wir zum Zweck einer vollständigen Genauigkeit noch hinzufügen, dafs der zweite Hauptabschnitt eigentlich zunächst nur in zwei Theile zerfällt, von welchen der erste die Rede, der zweite die Schrift behandelt, dafs dann aber der erstere wieder in zwei Unterabtheilungen sich spaltet, von denen die eine die dialektische, die andere die psychologische Seite hervorhebt, während bei der Schrift eine gleiche Berücksichtigung dieser beiden Sei

ten unmöglich ist; denn dies gerade ist der Mangel der Schrift, dafs bei ihr das psychologische Moment nicht zu seinem vollen Recht kommt.

Was wir aber an dieser Analyse vor allem tadeln müssen, ist die allzu skizzenhafte Behandlung. Oder wenn diese vielleicht durch den beschränkten Raum geboten war, so hätte Hr. St. wenigstens einzelne Punkte durch reichlichere Anmerkungen befser ins Licht stellen sollen. Z. B. S. 172 Anm. 98 heifst es, kein aufmerksamer Leser würde das Märchen von den Cicaden für zwecklos und überflüfsig halten. Mag sein, aber selbst der aufmerksamste Leser würde es Hrn. St. gedankt haben, wenn er ihm den Zweck dieses Mythos auch wirklich zu erklären versucht hätte, denn die flüchtigen Andeutungen S. 67 genügen doch wohl kaum. Ebenso wäre doch erst zu untersuchen gewesen, ob die Unklarheiten und Widersprüche, welche der grofse Mythos der dritten Liebesrede enthält, nicht vom Platon beabsichtigt seien und ihrem bestimmten Zwecke dienen. Und wo eine solche Erklärung versucht wird, gelingt sie nicht immer. So wird z. B. S. 83 mit Unrecht daran Anstofs genommen, dafs p. 248 A f. mit éinemmale beide Rofse des Seelengespannes ungehorsam erscheinen; denn es ist dabei übersehen, dass hier auch von einer Schlechtigkeit der Wagenlenker die Rede ist. Schon deshalb ist die von Hr. St. gegebene Erklärung nicht die richtige, sondern es soll die Unvollkommenheit aller Seelentheile bei den Menschen den Göttern gegenüber auch selbst in der Praeexistenz und wiederum die Verschiedenheit der Menschenseelen voneinander in dieser Beziehung und gleichfalls auch schon in diesem Zustande geltend gemacht werden; die ganze Abweichung ist also nur eine scheinbare. Dagegen ist eine andere Stelle p. 256 C übersehen, wo gleichfalls beide Rofse zügellos heifsen, wo aber diese scheinbare Abweichung sich ebenso leicht beseitigen läfst; denn wo keine völlige Herschaft der Vernunft über die Sinnlichkeit stattfindet, da artet auch das edlere Rofs aus. Auf S. 173 Anm. 105 aber liegt jedesfalls in dem Citat p. 254 ein Irthum, sei es ein Schreib- oder Druckfehler *). Anzuerkennen, dafs überhaupt solche Widersprüche schon deshalb nöthig sind, damit man nicht alles einzelne im Mythos für baare Münze annehme, daran hinderte den Hrn. Vf. seine unrichtige Ansicht über den Charakter der mythischen Darstellung, und so hat er denn auch in der That, so wenig er den beigemischten Scherz verkennt, manches für baare Münze genommen, was Platon gar nicht dafür ausgeben will, so z. B. die neunfache Abstufung der Lebensloose in allen ihren Einzelheiten. Ja Hr. St. glaubt S. 84 in der That, dafs die echten Dichter mit den Philosophen auf eine Linie gestellt werden sollen, oder S. 65, dafs die vier Gattungen des Wahnsinns wirklich eine wifsenschaftliche Eintheilung abgäben, obwohl doch Platon hier (p. 244 f.) schon durch die eingeflochtenen abenteuerlichen

*) Ein anderer Druckfehler steht S. 75 Z. 13 v. u. Leidenschaftlichen' statt Leidenschaftslosen".

Etymologien auf das Gegentheil hindeutet. Vielmehr, wie Sokrates seine erste Rede von Dichtern herleitet, so mufs es ganz ähnlich erklärt werden, wenn er die zweite dem Stesichoros zuschreibt, nemlich wenn auch nicht mehr der Standpunkt, so ist doch die Darstellungsform noch immer eine unwifsenschaftliche, und gewis ist es nicht die richtige Deutung, wenn Hr. St. S. 54 meint, dafs Sokrates sie nicht mehr wie die frühere Rede aus fremden Quellen herleitet, sondern sie dem begeisternden Einflusse des Pan und der Nymphen zuschreibt'. Denn dies gilt p. 263 D gar nicht blofs von der zweiten, sondern auch von der ersten Rede, vgl. überdies p. 241 E; zudem steckt in p. 263 D wohl ebenso gut wie in p. 244 A ein etymologischer Scherz; die ursprüngliche Identität der Musen und Nymphen endlich (St. S. 172 Anm. 96) könnte nur dann ins Gewicht fallen, wenn sie von Platon selbst irgendwie angedeutet wäre. Wenn übrigens im Anfange des Mythos nach der Vergleichung der Seele mit einem Flügelgespann die Schilderung der Flügel und ihrer Wirksamkeit folgt, so kann ich dies nicht mit Hrn. St. S. 173 f. Anm. 113 ein Verlafsen des Bildes nennen.

Nicht zugeben kann ich endlich, dafs auch die erste sokratische Rede sich schon in einem höhern Gedankenkreise als die des Lysias bewegen soll (S. 64); es treten vielmehr nur die Gedanken derselben Situation klarer hervor. So mufs doch wahrlich auch schon für die lysianische Rede vorausgesetzt werden, dafs der Bittsteller nur schlau die Miene eines nichtliebenden annimmt, wenn das ganze einen Sinn haben soll, und diesen Sinn enthält eben der kurze erzählende Prolog der ersten sokratischen Rede p. 237 B. Es ist auch nicht richtig, dafs hier die Berechtigung der Liebe ausdrücklich anerkannt werde. Im Gegentheil, Liebe heifst hier lediglich die verwerfliche, unverständige Begierde nach dem schönen; eine angeblich erlaubte Begierde nach demselben hat aber der nichtliebende des lysianischen Vortrags ebenso gut, denn er begehrt ja des Knaben. Nur in éinem Sinn ist die Schilderung wesentlich im Geiste des Sokrates selbst, sofern er nemlich auch so Charakteristik und Tadel des leidenschaftlich-sinnlichen Liebhabers aussprechen kann.

Sehr gefreut hat es mich, dafs meine Forschungen über des Gastmahl bei dem Hrn. Vf. eine so warme Anerkennung gefunden haben, und ich kann ihm meinerseits wieder die nicht versagen, dafs er zu den Aufhellungen, welche diesem unvergleichlichen Kunstwerk neuerdings von so vielen Seiten zu Theil wurden, doch noch eine nicht unbeträchtliche Nachlese gehalten hat. Nur mufs ich trotzdem erinnern, dafs Hr. St. mich nicht ganz richtig versteht, wenn er mir S. 205 die Ansicht unterlegt, dafs der Gegensatz der fünf ersten Reden gegen die beiden letzten hauptsächlich der der prunkenden Theorie gegen die praktische Weisheit sei, und mich daher belehrt, dafs doch der Standpunkt der fünf ersten Redner nur der der gewöhnlichen Lebensansicht und nicht der tiefer eindringenden Theorie sei. Denn dies letztere habe ich so wenig verkannt, dafs ich vielmehr ausdrücklich

Prodr. S. 59 ausspreche, wie die fünf Eingangsreden, nach ihrer negativen Seite gegen die sokratische betrachtet, den Contrast zwischen dem gemeinen, sophistisch gebildeten und dem philosophischen Bewustsein' herausheben. Was ich über jenen andern Gegensatz zwischen einseitiger Theorie und allseitiger Praxis erinnert habe, bezieht sich vielmehr gar nicht auf die Rede des Sokrates, sondern allein auf die des Alkibiades. Ich wiederhole zur Verständigung hierüber meine eignen Worte S. 60: die Urheber (jener fünf ersten Reden) musten als Theoretiker auftreten, während ihnen gegenüber das ganze Leben des Sokrates (durch Alkibiades) geschildert wurde. Sie musten als Theoretiker auftreten' sagt aber doch wahrlich nicht, dafs ich sie damit auch schon zu philosophischen Theoretikern gemacht hätte. Dafs im Eros Theorie und Praxis sich verschmelzen, habe ich dabei ebenso wenig, wie Hr. St. glaubt, übersehen, vielmehr gleichfalls ausdrücklich gesagt S. 58. Im Gegentheil, gerade hierauf fufste ich, denn was ich geltend machen wollte, war eben dies, dafs gerade deshalb bei den fünf ersten Rednern in ihrer Auffafsung der Liebe auch praktisch

diejenige Liebe sich charakterisiert, welche sie leitet' (S. 58), während beim Sokrates vielmehr beide Momente in die beiden Schlufsreden auseinander treten. Teuffel hob zuerst die praktische Seite der fünf Eingangsvorträge, nur zu einseitig, hervor; dagegen freue ich mich bei M. Lindemann: de prima quae in convivio Platonico legitur oratione (Dresden 1853) S. 35-41 völlige Uebereinstimmung und genauere Durchführung dieser Ansicht gefunden zu haben. Gerade bei Hrn. St. dagegen scheint dieser wichtige Punkt nicht zu seinem vollen Rechte zu kommen. Nun könnte man freilich einwenden, dass nothwendig aber auch Sokrates in seiner Rede sich selbst charakterisiere, und dies wäre auch durchaus zutreffend, wenn er nicht dieselbe zum grofsen Theile nicht im eignen Namen, sondern in dem der Diotima vortrüge. Dies alles wirkt denn auch bei dem Hrn. Vf. S. 192 auf eine nicht ganz richtige Auffassung der von mir aufgestellten Grundidee zurück, obwohl ich gern zugebe, dafs ich mich hier hätte bestimmter ausdrücken sollen. Wie weit ich davon entfernt bin, die Charakteristik zur Hauptsache machen zu wollen, geht aus dem eben erörterten hervor; ich finde auch keineswegs, wie Hr. St. annimmt, in der Rede des Alkibiades, sondern in der des Sokrates den Mittelpunkt des ganzen, wie ausdrücklich S. 59 im ersten Absatze zu lesen steht. Was ich S. 63 von Sokrates als praktischem Ideal des philosophischen Wirkens sage, bezieht sich wiederum nur auf die Schlufsrede, wie Hr. St. wohl schon daraus, dafs ich hinzufüge wenn auch nur in bedingter Weise', hätte entnehmen können; ausdrücklich setze ich ja auch noch bei, man dürfe auf diese Schilderung des Sokrates nicht einseitig das Hauptgewicht legen, und nur insofern man eben dies von der Auffafsung Schleiermachers abzieht, fand ich in ihr viel haltbares. Wenn ich im Dialog die Darstellung des Philosophen nach allen seinen praktischen Entwicklungsmomenten finde, so suche ich diese in dem Abschnitt vor allen, welcher in den Erörterungen der N. Jahrb. f. Phil. u. Paed. Bd. LXX. Hft. 1.

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Diotima selbst den Höhenpunkt ausmacht, von p. 209 E ab, also in der wifsenschaftlichen Entwicklung, nicht in der künstlerischen Charakterzeichnung. Wenn ich diese Entwicklungsmomente die praktischen nenne, so glaube ich damit im guten Recht zu sein, um hiedurch die Bedeutung davon hervorzuheben, wenn der Philosoph hier nicht als rein theoretischer, nur für sich und in sich sinnender und forschender Dialektiker, sondern vielmehr als ein an das praktisch und empirisch gegebene anknüpfender Erotiker erscheint, nur dafs eben dabei auch seine eigne innere dialektische Erkenntnis so wenig zu kurz kommt, dafs sie vielmehr als das endliche Ziel dieses ganzen Processes sich geltend macht. Und in der That gerade wenn man, wie auch Hr. St. thut, die sokratische Rede zum Mittelpunkte erhebt, so mufs dies noch gar viel mehr von demjenigen Theile derselben gelten, in welchem sie selbst culminiert, und dann muss man auch wirklich Ernst aus der Sache machen und von hier aus alles zu begreifen suchen, d. h. man mufs zugeben, dafs die Darstellung der philosophischen Liebe und ihres Entwicklungsgangs den eigentlichen letzten Zweck des Dialogs ausmacht, und dafs nur deshalb trotzdem das ganze Gebiet der Liebe überhaupt und aller ihrer Arten und Formen beschrieben wird, weil die philosophische nicht blofs ohne die Unterordnung unter den allgemeineren Oberbegriff, sondern auch ohne die Vergleichung und Beziehung mit den übrigen Arten gar nicht in ihrer vollen eigenthümlichen Bedeutung erkannt werden kann.

So glaube ich, dafs die von mir ausgesprochene Auffassungsweise, richtig verstanden, die beiden Klippen, vor welchen Hr. St. warnt, in der That bereits vermieden, dafs sie weder die künstlerische Charakteristik noch auch das begriffliche Element des Dialogs einseitig hervorgehoben hat. Ich fehlte nur darin, dafs ich einen wichtigen Punkt nicht heraustreten liefs, welchen Hr. St. S. 197 ff. richtiger andeutet, aber bei seiner unrichtigen Auffassung des platonischen Mythos überhaupt auch hier in ein schiefes Licht stellen muste. Nemlich streng begrifflich ist die ganze Behandlungsweise keineswegs, sondern eine mythische Auffafsung zieht sich durch das gesammte Werk hindurch, wenn dieselbe auch immerhin nur zweimal sich zu einem vollständigen Mythos ausprägt. Eine andere Betrachtungsweise der Liebe ist auch in der That dem Platon unmöglich, um in der mythischen Sprache des Dialogs zu reden, weil Eros nicht ein Gott, sondern ein Daemon ist, d. h. nicht dem Gebiete des reinen, sondern nur des aus dem Werden sich emporarbeitenden Seins angehört. Daher wird denn auch gerade der engere Begriff der Liebe als des Zeugungstriebes im schönen nicht mehr methodisch entwickelt, sondern im Prophetentone von der Diotima dogmatisch vorgetragen. Man sieht hier noch einen weitern, bisher unbeachteten Grund für die Einführung dieser weisen Mantineerin; nicht blofs weil der Inhalt ihrer Worte über den Standpunkt des Sokrates hinausgeht, sondern auch weil die Form derselben hinter ihm zurückbleibt, wird Diotima nothwendig für den Dialog. Nur so erklärt sich die ausdrückliche,

wenn

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