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hier betrachtet werden, ohne dasz doch diese beziehung überall besonders hervorgehoben würde. aus den bloszen thatsachen wird sich meistens von selbst ergeben, wo das philanthropin als warnendes beispiel, wo es als nachahmungswürdiges muster dienen kann. auch als nachahmungswürdiges muster! die darstellung freilich, die Raumer in seiner geschichte der pädagogik gibt und die für das allgemeine urteil maszgebend geworden ist, läszt davon wenig merken; sie erscheint, wie Raumer selbst sagt, fast wie eine pädagogische carricatur. das kann in der sache liegen, kann auch die schuld des schriftstellers sein. aus lauter richtigen einzelheiten ein unrichtiges gesamtbild zu componieren, ist nicht schwer; man braucht nur alles wunderliche und verkehrte grell beleuchtet in den vordergrund zu stellen, das gute und wertvolle kurz abzufertigen. von solcher tendenziösen gruppierung der thatsachen ist auch Raumer nicht ganz freizusprechen. ihm behagte die luft der aufklärung nicht, die im philanthropin wehte; ihm ist es verdächtig, dasz juden und freimaurer das unternehmen mit geld unterstützten; am meisten aber scheint die ungünstige vorstellung, die er sich von Basedows charakter gebildet2, das werk des mannes bei ihm discreditiert zu haben.

Mit leichtigkeit liesze sich, wenn es die mühe lohnte, aus den vorhandenen quellen auch ein sehr vorteilhaftes bild des philanthropins herstellen, das ebenso wenig unwahr, aber auch ebensowenig zutreffend sein würde, wie die darstellung Raumers; denn fast alles, was von den zeitgenossen über Basedow und sein unternehmen veröffentlicht wurde, ist polemischer natur und von gunst oder hasz beeinfluszt. glücklicher weise existiert noch eine andere, bisher unbenutzte quelle, die nirgends von parteilichkeit getrübt ist, nemlich die aufzeichnungen der pädagogischen gesellschaft. im jahre 1777, in der ersten blütezeit des institutes, stiftete Basedow diese vereinigung unter den lehrern desselben, zu dem zwecke, gesellschaftlich

2 die ungünstigen vorstellungen, die über Basedow in umlauf sind, lassen sich zum guten teil zurückführen auf die berüchtigte schmähschrift von Reiche: 'getreue darstellung der umstände, unter welchen Joh. Bernh. Basedow, königlich dänischer professor, schläge bekommen und seinen rock verloren, auch mit herrn director Wolcke einen schändlichen process angehoben hat.' eine gerechtere würdigung ist Basedow durch Max Müller zu teil geworden in der allgemeinen deutschen biographie. hier wird er geschildert als ein mann, der durch sein unerschrockenes und oft rücksichtsloses auftreten sich viele feinde, durch seine groszen erfolge sich viele neider machte, der in den letzten jahren seines lebens und unmittelbar nach seinem tode, wegen seiner zerwürfnisse mit frühern mitarbeitern, auch wegen des fehlschlagens der übertriebenen erwartungen, die man vom philanthropin gehegt hatte, von vielen hart und ungerecht beurteilt worden ist, dessen wahres verdienst aber, als eines der kühnsten vorkämpfer im kampfe für menschenrechte und menschenwürde, für wahrheitstreue und geistesfreiheit, sowohl durch die stimme der besten seiner zeit als durch das unparteiische urteil der nachwelt bekräftigt worden ist.'

keit und freundschaft unter den mitgliedern zu erhalten sowie alle für das institut wichtigen fragen vertraulich3 zu besprechen. die protokolle dieser gesellschaft - sie reichen, allerdings mit einer unterbrechung von etlichen jahren, von october 1777 bis april 1793 -geben einen bessern einblick in das wesen und die entwicklung des philanthropins als die empfehlungsschriften seiner freunde oder die schmähschriften der gegner. von diesen ungeschminkten berichten wird demnach im folgenden öfters gebrauch gemacht werden, um lob wie tadel auf das rechte masz herabzusetzen.1

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Den grundgedanken seiner reformatorischen bestrebungen hat Basedow mit jener volkstümlichen rhetorik, die ihm fast immer zu gebote stand nachdrücklich in folgende worte zusammengefaszt: 'natur! schule! leben! ist freundschaft unter diesen dreien, so wird der mensch, was er werden soll und nicht alsobald sein kann: fröhlich in der kindheit, munter und wiszbegierig in der jugend, zufrieden und nützlich als mann. aber wenn die natur von der schule gepeitscht und die schule vom leben des mannes verhöhnt wird, da ist der mensch zuletzt dreifach als eine misgeburt aneinander gewachsen, drei köpfe, sechs arme, und im täglichen zanke unzertrennlich.'

Wir können unerwähnt lassen, in welcher weise dieses thema weiter variiert wird; es ist dieselbe klage, die auch jetzt von allen seiten ertönt, die klage, dasz durch überbürdung geist und körper des schülers erschlaffe und alle freudigkeit des lernens erstickt werde. daher die forderung, dasz die physische erziehung ihr gutes recht wieder erhalten müsse, und zwar nicht blosz um der leiblichen gesundheit willen, sondern auch in rücksicht auf die moralische erziehung, die wichtigste von allen. 'die moral eines schwachnervigten menschen', sagt Basedow, hat keinen festen, bleibenden gehalt. je nachdem die luft heiter oder trübe, trocken oder feucht, elastisch oder schlaff ist, steigt oder sinkt der moralische wert eines solchen menschen mit dem quecksilber des barometers um die wette.' für beide zwecke nun, für die physische wie für die moralische erziehung, sollte raum gewonnen werden, und nicht etwa auf kosten, sondern zum nutzen des wissenschaftlichen unterrichts, da ja nichts weiter erforderlich schien, als dasz man alles unnütze und schädliche aus letzterem entfernte.

Man kann nicht sagen, dasz Basedow bei ausführung seines planes sich überstürzt hätte. schon dasz er bis in sein höheres alter

3 um den vertraulichen charakter dieser besprechungen zu sichern, war festgesetzt, dasz jeder, der auszerhalb der gesellschaft etwas erzählte oder bestätigte, was in derselben zu verschweigen beschlossen war, einen reichsthaler strafe zahlen sollte.

die acten des philanthropins galten bisher für verloren und sind erst kurz vor der philologenversammlung wieder aufgefunden worden. es befinden sich dabei briefe von Kant, Klopstock, Gleim, Claudius, Salzmann, Rochow und andern.

verhältnis bereits erreicht worden ist." wir finden sogar, dasz die praxis ungebührlich weit hinter der theorie zurückblieb. dennoch ist das, was dort geschah, in mehrfacher hinsicht beachtenswert, und einiges, wie z. b. der anschauungsunterricht, hat sich sogar dauernde geltung zu erringen gewust.

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Dasz der unterricht der früheren jahre, der die spiele der kindheit ablösen soll, selbst dem spiele noch sehr nahe stand, ist nach dem vorausgeschickten begreiflich. vor dem zwölften jahre und dieses ist ein grundsatz, dessen wahrheit sich immer aufs neue bestätigt sollte den zöglingen noch keine ernsthaftere arbeit für die schule zugemutet werden. überhaupt verspricht Basedow, der bisweilen das wünschenswerte mit dem erreichbaren verwechselt, dasz alles nötige gedächtniswerk der historie, geographie, grammatik, der rechenkunst usw. in spiele verwandelt werden solle, bis die so erworbene fertigkeit den lernenden in stand setzen würde, sich auf eine männlichere art bei anwachsendem alter zu vervollkommnen. 12 das untrügliche mittel, mühseliges lernen in frohes spiel zu verwandeln, glaubte man, wie leicht zu erraten, im anschauungsunterrichte zu besitzen. kupferstiche, ölbilder und modelle spielten demnach eine grosze rolle; zum zwecke des geographischen unterrichts waren sogar im garten des philanthropins zwei ansehnliche berge aufgeschüttet, welche, von je 360 weiszen stangen umgeben, die beiden halbkugeln der erde vorstellten. nach gleichen grundsätzen verfuhr man im mathematischen und naturwissenschaftlichen unterrichte und so überall, wo es nur irgend angieng. Basedow empfahl auch die anlegung eines educations waaren handels, damit die anschaffung eines zweckmäszig eingerichteten vorrats von lehrmitteln erleichtert würde. sein vorschlag wurde nicht beherzigt, nur bekrittelt, und erst eine spätere zeit ist diesem verlangen nachgekomob immer in der rechten weise, braucht hier nicht erörtert

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zu werden.

11 man kann Basedow nicht vorwerfen, dasz er in dieser beziehung übertriebene versprechungen gemacht habe; er verwahrt sich vielmehr gegen alle zu weit gehenden erwartungen. wenn auch alle von ihm gestellten bedingungen erfüllt würden was bekanntlich nicht geschehen ist so macht er sich trotzdem noch nicht anheischig, etwas bestimmtes oder gar etwas idealisch vollkommenes zu leisten. er verspricht weiter nichts, als dasz versuche und immer neue versuche zur abschaffung der allgemein zugestandenen mängel angestellt werden sollten, da die lehrer an den bestehenden schulen, weil ihnen die hände nun einmal gebunden seien, mit all ihrer einsicht, mit all ihrer gelehrsamkeit und ihrem besten eifer niemals diesen mängeln würden abhelfen können.

12 dasz man übrigens bald zu der einsicht kam, das lehren und lernen dürfe doch nicht zu spielend betrieben werden, zeigt ein beschlusz vom 3 januar 1779: es soll, als ein problem, vor ostern von uns reiflich untersucht werden, ob es ratsam sei, unsern kindern weniger und strengere lehrstunden zu geben und sie mehr durch privatarbeit zu eigner anstrengung zu gewöhnen, und ob im bejahungsfalle dies auf ostern bei uns schon möglich sei.'

Die hauptsache aber, der prüfstein für den wert der methode war ihre anwendbarkeit auf die sprachen, speciell auf das latein. hierüber äuszert sich Basedow folgendermaszen: 'die wesentlichen vorzüge, die das institut hat und erwerben wird, können es nicht erhalten, aber latein, latein, wenn man erst sehen wird, dasz das ende unseres sehr gebahnten und kurzen weges auch zur richtigkeit und zierlichkeit dieser sprache hinführt, das allein kann uns sichern. o wohl dir, du liebe junge nachwelt! du lernst latein, latein, ohne ruthe und stock!"

Die methode, welche hier zur anwendung gebracht wurde, hat in der that viel verlockendes. der lehrer redet mit den kindern von vorn herein in der fremden sprache, indem er ihren augen alle die gegenstände und handlungen vorführt, von denen geredet wird; er läszt sie nachsprechen, er läszt sie in derselben naturwüchsigen und spielenden weise latein lernen, wie das kind seine muttersprache lernt. ist auf diese weise fertigkeit im gebrauch erlangt, ist zugleich die zeit eingetreten, wo dem schon reiferen schüler eine gröszere geistige anstrengung zugemutet werden kann, so wird dann auch für das grammatische verständnis gesorgt. dies alles scheint so einleuchtend und beifallswürdig, dasz die eifrigste zustimmung nicht ausbleiben konnte, wie sich denn auch noch Böckh in seinen vorlesungen über encyklopädie der philologie in gleichem sinne aussprach. indessen fehlte es auch an bedenklichkeiten und einwendungen nicht; man warf Basedow vor, er wolle Polen und Ungarn nach Deutschland verpflanzen. dieser spott machte auf ihn wenig eindruck; wenn er mit plaudern anfieng und nachher sich zur grammatik wendete, so war dies in seinen augen vernünftiger, als wenn andere erst zehn jahre lang grammatik trieben und mit dem plaudern aufhörten.

Doch über wert oder unwert der methode muste schlieszlich der erfolg entscheiden. dieser schien anfangs vorhanden zu sein, ja sogar in wunderbarem masze vorhanden. Basedows tochter Emilie, an der Wolcke die neue methode erprobte, sprach mit neun jahren, wenn der bericht nicht übertreibt, schon fertig latein; die erste öffentliche prüfung 13 im philanthropin selbst, wo auch die kleineren schüler schon lateinisch examiniert wurden, setzte die zuhörer in erstaunen und erfüllte die lehrer mit der frohen zuversicht, dasz sie auf dem richtigen wege sich befänden. dieser lebhaften freude, diesem stolze über das geleistete entsprang dann jene unbedachte äuszerung: was können wir nun einmal dafür, dasz selbst unsere jüngern eleven schon lateinisch sprechen!' auch ein beschlusz vom

13 für die examina war anfangs grosze vorliebe vorhanden. beim 7 december 1777 findet sich bemerkt: es ist einmütig der vorschlag des herrn Rogge gebilligt worden, dasz alle vierteljahr ein examen angestellt werden soll in gegenwart des durchlauchtigsten fürsten, wenn er dabei sein will, und der sämtlichen lehrer, auch fremder, wenn welche da sind.'

6 november 1778 atmet noch das gleiche siegesbewustsein. es heiszt da im protokollbuche: 'alle pedanterien der grammatik sollen gesammelt und auf dem theater vorgestellt werden. herr Steinacker will dabei den Orbil vorstellen.' dieser übermut konnte aber nur so lange sich behaupten, bis die erste schülergeneration nach der obersten lateinclasse gelangt war und nun das gesamtresultat sich überblicken liesz. bei dem ersten examen, über welches ein genauerer bericht vorliegt, wird der elementarclasse zwar vocabelkenntnis zugestanden, aber als ein bedenklicher umstand wird hervorgehoben, dasz die antworten stets im nominativ des substantivs erfolgten, auch wo die frage einen andern casus erfordert hätte, und dasz ebenso bei den zeitwörtern keine rücksicht auf tempus und numerus genommen wurde. vom modus ist nicht die rede; er scheint gar nicht in betracht gekommen zu sein." 14 weit ungünstiger noch ist das urteil über die zweite classe, wo ein stück aus Campes liber de moribus gelesen und übersetzt wurde; beides gieng sehr unvollkommen, langsam und unteilnehmend. die ursachen glaubt der berichterstatter in dem geringen interesse der zöglinge für die lateinische sprache zu finden, in ihrem ekel vor dem lesebuche, in der methode und in noch andern umständen, über die er sich nicht weiter ausspricht. etwas anerkennender klingt zwar, was über die erste lateinclasse gesagt wird; aber wenn man berücksichtigt, dasz hier das gesamtresultat des unterrichts zu tage trat, so erscheint auch dieses urteil als eine verurteilung. das übersetzen aus Ciceros schrift de senectute, die in der classe vorher gelesen war, geht zwar befriedigend, auch wird von einigen schülern die bekannte geschichte vom sklaven Androclus ziemlich richtig erzählt; was aber das übersetzen aus dem deutschen ins lateinische betrifft, so bemerkt der berichterstatter, dasz die schüler wohl vocabeln wüsten, es aber nicht verständen, dieselben syntaktisch zu verbinden, und dasz sie ferner auch in der schreibung der vocabeln unsicher seien. so übersetzt ein schüler 'reine luft' mit aër puera. dies also ist die richtigkeit und zierlichkeit des latein, die Basedow in aussicht gestellt hatte. merkwürdig ist, dasz selbst das einzige lob, die gerühmte vocabelkenntnis, sich späterhin noch in tadel verwandelt. so wird bei einem examen des jahres 1791 in betreff der zweiten lateinclasse bemerkt: 'die classe hat noch zu wenig wörtervorrat, der gar groszen unwissenheit in der grammatik nicht zu gedenken.' beim letzten examen endlich, das am 22 april 1793 stattfand, heiszt es sogar von der ersten classe, welche was auch charakteristisch ist

jetzt den Justin liest, es fehle ihr an copia verborum. bei der zwei

14 hinzugefügt wird ferner, dasz die schüler sich oft durch raten zu helfen suchten, wenn sie die frage des lehrers nicht verstanden hatten. so wird dem professor Feder, der über die in flüssen befindlichen fische examiniert hatte und nun frug: ubi sunt praeterea pisces? von dem schüler acipenses geantwortet, weil dieser sich einbildete, der lehrer frage noch nach mehreren fischarten.

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