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18.

DER WOHLLAUT DER DEUTSCHEN SPRACHE.

I.

Wenn wir uns mit dem wohllaut der deutschen sprache beschäftigen wollen, so kann es sich vorzugsweise oder vielmehr lediglich um den wohllaut der neuhochdeutschen sprache handeln, welche durch Luther und Klopstock unsere allgemeine schriftsprache und die sprache der gebildeten geworden ist. die früheren mundarten, die alt- und mittelhochdeutschen, sind untergegangen und dem auf ihren feldern ährenlesenden eifer unserer sogenannten Germanisten anheimgefallen. die letzteren müssen am besten wissen, welchen nutzen sie stiften, wenn sie in die frühste zeit zurückgreifen, die oft verwitterten trümmer der deutschen vergangenheit ausgraben und das altfranzösische liederbuch aufrollen, das schwache vorbild, welches wohl in einzelnen zügen nachgeahmt worden ist, als die Germanen ihrerseits auch die finger rührten, um die laute zu schlagen. ein besseres vorbild schauten sie freilich in ihren tagen nicht um sich her. die frage aber ist: 'dient es uns auf heutigem standpunkte zum fortschritt oder äuszert es nachteiligen einflusz auf die ausbildung des hochdeutschen?' hat es überhaupt der seit Klopstock erwachten glanzblüte zur entfaltung verholfen durch ein tröpfchen morgenthau ? nicht durch ein einziges.

Auszerdem sind durch eine anzahl sammler und selbständiger poeten neuerdings wieder mancherlei provinzielle zungenarten aufgetaucht, plattdeutsche, sächsische, süddeutsche, schwäbische, österreichische und schweizerische; allein wirkliche mundarten sind sie keineswegs, sondern blosze halbmundarten, verdorbene oder in der ausbildung zurückgebliebene sprechweisen des hochdeutschen selbst. diese wieder durch die in ihnen versuchte abfassung neuer schriftwerke gleichsam aus seitenflüssen für die leser herauszuzerren, ist geradezu von schädlicher einwirkung auf den allgemeinen strom der nationalen fortbildung. denn was ist die folge davon? das volk greift begierig nach dieser seinem geschmack von haus aus zusagenden speise und kehrt dem hohen inhalt unserer ersten glanzepoche den rücken, sich begnügend mit dem vertrauten alltagsgerichte. nach und nach nimmt selbst das wohlgefallen an der edlen sprache jener neuhochdeutschen meisterstücke ab, nicht zum nutzen des geistigen fortschritts; wie man sich denn auch zeitweise an schlechte musik gewöhnt.

Die sprache aber ist und bleibt der vorzüglichste culturmesser. daher gibt man in verschiedenen ländern neuerdings 'sprachgesetze', welche den zweck haben, vereinzelte stämme auf mütterlichem boden zu erhalten.

Jene seitenmundarten indessen, wie ich sie nenne, äuszern sich bis heute noch auf eine ganz besonders nachteilige weise. die er

ziehung der jugend nemlich in jenen landstrichen, worin sie geredet werden, ist seither auf dem sprachgebiete sehr mangelhaft betrieben worden; ich rede hauptsächlich von der schulung der knaben und jünglinge, deren viele wissenschaftlich heranreiften und in die litterarische welt einzutreten sich berufen fühlten, auch wirklich eintraten, um an dem himmel der poesie glänzen zu wollen. warum sollten sie es auch nicht thun? waren sie doch mit talent begabt, um dasjenige in worte zu kleiden, was sie in ihrem tiefsten innern dachten, fühlten und ahnten. aber wie weit, frage ich, waren sie für die hohe aufgabe auf dem sprachgebiete vorbereitet worden? noch mehr; welche lehrer sollten sie dazu vorbereiten? alle sprachen ja selbst, mehr oder weniger, den einheimischen halbdialekt ihrer geburtsstätte fort, plattdeutsch, schwäbisch, süddeutsch, ohne sich hinreichend unterrichtet zu haben von der tonleiter der neuhochdeutschen hauptmundart. diese also in reiner weise zu lehren vermochten sie nicht, wenn sie es auch gewollt hätten. ohnehin glaubten sie meist, dasz sie schön sprächen; sie kannten und begehrten keinen bessern ton.*

Wundern dürfen wir uns daher nicht, dasz aus dem kreise jener provinzialisten immer und immer wieder auch ein kritischer sperling auftritt, welcher durchaus nicht befähigt ist, über den charakter der neuhochdeutschen mundart zu urteilen, aber doch sein gezwitscher geltend macht und vorschriften gibt. in guter absicht vielleicht; denn er ist von kindheit auf in seinem provinzialischen kauderwelsch befangen und hat seine zunge an die lieblingslaute desselben gleichsam festgeheftet, so dasz er die hochdeutsche betonung nach diesen regelt und dergestalt die beste weise des sanges und klanges aus unserer sprache zu erzielen meint. seine vorschriften, meint er dann, müssen zur stimmung des instruments für die gesamte nation dienen. zugleich,

ein Österreicher selbst schildert die weise des süddeutschen sprechens in den 'stimmen der zeit', einer monatsschrift von Kolatschek, im j. 1861. wir schöpfen aus dieser quelle folgende sätze: 'die sprache des Deutsch-Österreichers verhält sich zu schriftdeutsch wie das unbeholfene stammeln des kindes zur ausgebildeten ausdrucksweise des erwachsenen.' wie sieht es in Wien aus? 'die sprache des umgangs könnte noch immer eine reiche ausbeute für ein niederösterreichisches idiotikon liefern. zwar kann man in Wien und selbst von geborenen Österreichern sehr schönes und richtiges deutsch sprechen hören, aber die handvoll schriftsteller und journalisten, die sich dessen fast allein befleiszen, werden wohl verwundert angesehen, für fremde gehalten oder der affectation beschuldigt, aber von sehr wenigen nachgeahmt.' dann heiszt es: rein deutsch zu sprechen wird von vielen als eine überflüssige concession an die neuzeit und die fremde angesehen, als verleugnung der heimat betrachtet, getadelt, verhöhnt. in Tyrol belustigen sich namentlich die gebildet sein wollenden städter ungeheuer an jenen unglücklichen, die es wagen, auf offener strasze hochdeutsch hören zu lassen, ohne als reisende Norddeutsche durch mantel und Bädeker hierzu privilegiert zu sein. stadtjünglinge spielen gern grobe bauernbursche' usw. so malen österreichische federn die sprachlichen zustände vor einem vierteljahrhundert! ist es seitdem besser geworden?

und das ist auch verzeihlich, sucht er die producte aus seiner engern provinz gegen tadelsprüche zu schützen. dagegen ist es unverzeihlich, wenn er in seiner befangenheit so weit geht, dasz er die sorgfältigen bestrebungen der sämtlichen meister, die seit einem vollen jahrhundert auf die allmähliche verschönerung des neuhochdeutschen sprachlautes hingearbeitet haben, schlechtweg mit kurzen aussprüchen über den haufen zu werfen sucht: diese meister hätten schiefe wege eingeschlagen, er aber zeige die wahre richtung an. und dies wagt ein solcher kritiker keck zu versichern, ohne selbst etwas nennenswertes hervorgebracht und der nation zu deren bekehrung vorgelegt zu haben! am meisten wird Klopstock ausgepfiffen, und zwar auf die ungeschlachteste weise; denn absichtlich verschweigt man die thatsache, dasz Klopstock es war, der durch seinen genialen leiergriff die erste grosze bewegung der neuhochdeutschen sprache hervorgerufen hat, seine verse mochten noch so zweifelhaft im silbenmasz ausgefallen sein, wie man hinterdrein zu rügen pflegte. ebenso verschweigt man absichtlich die thatsache, dasz Goethe und Schiller den jugendlichen wuchs ihrer dichtung an Klopstocks masz und regel geknüpft hatten. vorzugsweise die Schwaben und ihre anhänger zerreiszen diesen litteraturhistorischen zusammenhang aus eifersucht. aber, fragt man, waren Goethe und Schiller nicht auch Süddeutsche, Goethe ein Franke, Schiller ein Schwabe? allerdings von geburt; aber sie hatten sich frühzeitig nach den sächsischen ländern gewendet! schon deshalb, wie es scheint, rechnen die Schwaben ihren landsmann Schiller nicht unter die mitglieder der sogenannten 'schwäbischen schule', die wir übrigens durchaus nicht unterschätzen wollen. nur von den heutigen kritikern, welche diesen liederbund vertreten, sei die rede. auf einen derselben, den ich auswähle, werde ich unten zu sprechen kommen. denn nicht mit bloszen träumereien beschäftigt sich diese meine darstellung, sondern mit wirklichen ausfällen und angriffen, mit weisungen, die so beschaffen sind, dasz sie den fortschritt der sprache verwerfen, die 'kunst für unkunst' erklären und die 'unkunst für kunst' ausgeben. wie kommt das? ich selbst war mit den schwäbischen meistern zeitlebens befreundet.

Die erklärung dieser erscheinung ist sehr einfach. aus der praktischen und nicht blosz theoretischen erfahrung eines halben jahrhunderts heraus, also auf wohlgepflegtem boden stehend, behaupte ich ohne jedes vorurteil, dasz beinahe alle jene kritiker und poeten, die aus den schranken ihrer provinzen heraustreten, nichts als wasser in das fasz der Danaiden tragen, wenn sie über das hochdeutsch richten; dasz sie nemlich einseitig am jargon ihrer jugendtage hängend, völlig auszer stande sind, den gewonnenen standpunkt des neuhochdeutschen zu begreifen, geschweige denn ein maszgebendes urteil über ihn zu fällen und das ideal, dem fort und fort nachzuringen ist, anzuerkennen und zu fördern. mit andern worten: sie sind unfähig, den strom der musik in vollem umfange aufzufassen

und zu schildern, welcher durch unsere schriftsprache zu rauschen angefangen hat. sie horchen zwar, an dem ufer stehend, dem wogenzuge des gewässers, aber mit halbempfänglichen ohren und misvergnügt; sie nehmen anstosz an einem jeglichen tone, der ihnen nicht von kindesbeinen an vertraut ist, stutzen über den klang und erklären ihn für widerwärtig, fremdartig, undeutsch, antik, erkünstelt. am liebsten möchten sie vers und strophe auf einen niederen, alltäglichen und unvollkommenen volksliederstil beschränkt wissen, der ihnen, wofern er nur mit dem endreim geschmückt ist, so vollkommen deucht, dasz er nicht weiter vervollkommt zu werden braucht. sie sind überzeugt, dasz die gattung der volkslieder nicht auf die kunststufe erhoben werden dürfe!

Die alten Hellenen dachten anders, wie die gesänge des Homer beweisen, die im volkston gehalten sind, natur und kunst vereinigend. wenn die modernen philologen begreifen werden, dasz diese gesänge ihren ursprung nicht am schreibtisch gefunden haben, so wird der glaube an éinen verfasser derselben oder an éinen Homer keiner anfechtung mehr unterliegen; und dann wird das wahre verständnis dieser volkslieder endlich für uns wieder gewonnen sein. dieselben erhielten sich wenigstens teilweise; denn sie wurden spät gesammelt und durch die schrift fixiert, viele derselben waren schon verschollen, als dies geschah; und ein künstlerisches ganze hatte der grosze sänger, Homer oder wie er sonst heiszen mochte, von allem anfang an niemals in das auge gefaszt. die epischen gedichte, die auf Homer folgten, sind trotz des schreibtisches zu grunde gegangen, wie die werke heutiger modeschriftsteller untersinken werden; namentlich haben die letzteren mit ihren breiten und gehaltlosen romanen seit den letzten jahrzehnten eine überschwemmung angerichtet, die für die nation schlimmer ist, als die überschwemmung durch den Rhein, den Main und die Donau. eine unzahl zeitschriften erhöhen die flut.

In Griechenland pflegte späterhin eine reihe dichter, die dem Homer an geist ebenbürtig waren, die kunst des gesanges, nicht blosz das singen. auch die volkslyrik, die dem Homer längst vorausgegangen war, entfaltete ihre schwingen kunstgemäsz. ebenso das drama, tragödie, schauspiel und lustspiel. gesetzt nun, die Hellenen hätten in ihrer kaum hundertjährigen glanzepoche sich mit dem gleichniedrigen standpunkte der poesie begnügt, welchen der heutige volksgeist des rauheren nordens anempfiehlt, so würden alle ihre producte schon vor Christi geburt, ohne auf die Römer vorteilhaft eingewirkt zu haben, untergegangen sein, nicht einmal fragmente hinterlassend. denn was zeigt die litteraturgeschichte? selbst von den beispielen der höchsten kunst, die je ein volk der erde ausgeprägt hat und die schwerlich wieder durch ein zweites volk erreichbar sein wird, vermochten äuszerst wenige trümmer über den strom der zeit nach dem langsam zur cultur erwachenden Europa zu schwimmen. die lyrischen gedichte einer Sappho, eines Alkman, Alkäos und Simonides sehen wir bis auf einzelne halme vernichtet,

ihre formen nur durch vermittlung der Römer gerettet; die reichen gesänge des Pindar, des grösten lautenschlägers, sind zu einem kleinen rest zusammengeschmolzen. und die dramatiker? aus der zahl von mindestens tausend vorzüglichen theaterstücken der Athenischen glanzepoche ist nicht einmal der zwanzigste teil glücklich in unsere hände übergegangen, nur fünfund vierzig von gröszerem und kleinerem umfange, allerdings fast lauter schöpfungen ersten ranges, welche einen tiefen einblick in diese gattung der poesie gestatten. die ungeheuere mehrzahl der dramen, darunter viele, die von den nemlichen oder von ziemlich ebenbürtigen meistern geschaffen worden, müssen wir als hingewelkt bedauern. und gleichwohl sind die Hellenen auf dem gebiete der lyrik und des drama die vornehmsten muster, vorbilder und lehrer der modernen culturvölker geworden. denn die geringen trümmer, die ihre erhaltung vorzugsweise dem ruhme ihrer künstlerischen vollendung verdanken, reichten hin, die flamme der poesie von neuem in Europa anzufachen, die nachfolger zu leiten und zu schulen. unausgearbeitete nach form und inhalt an plumpheit streifende volkslieder dagegen, auch wenn ein ganzer haufe derselben zur nachwelt gelangt wäre, hätten nichts gefruchtet. von ihnen hätte man nichts lernen können. getrieben durch geist und phantasie, musten die mittelalterlichen sänger diesseits und jenseits des Rheines, da sie keine vorbilder hatten, von vorn anfangen. welche höhe der darstellung konnten sie durch eigne kraft erklimmen? warten wir die aufschlüsse ab, die uns die Germanisten geben werden.

II.

Aber ist denn, höre ich fragen, der wohllaut der sprache eine so überaus wichtige sache, dasz es der mühe lohnt, sich so ernstlich um ihn zu bekümmern? unbedingt müssen wir es thun; denn die ganze menschliche sprache ist ton und musik. je schöner ton und musik derselben ausfällt, desto tiefer wird der eindruck der laute auf die seele des hörers sein; und das ziel des machtvollsten eindrucks beabsichtigt doch wohl ein jeder tüchtige autor zu erreichen, der nicht für den augenblick, nicht für den rasch verflieszenden tag arbeitet, dichtet und schreibt, er mag in prosa oder in versen seine gedanken niederlegen. ein autor aber, der auf die dauer seiner darstellung achtet, musz aus der tiefe der sprachquelle schöpfen, um aus ihr seinen trank so frisch als möglich darzubieten: er musz die schlammigen bestandteile des brunnens meiden, er musz sie ausscheiden und das getränk abgeklärt haben, wenn er es vorsetzt. sonst verduftet es über nacht.

Wodurch soll diese forderung für die neuhochdeutsche sprache, die wir ausschlieszlich in das auge fassen, zu erfüllen möglich sein? wie uns scheint, zunächst und vor allem durch die sorgfältige berücksichtigung folgender punkte. es handelt sich 1) um die consonanten, die unser wörterschatz hat, 2) um die vocale und

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