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sei'; auch 'importiere' niemand mehr 'geschmacklose gaselen'. dann fügt er selbstzufrieden hinzu: 'ist dem so, dann ist mehr gewonnen als verloren'; ein sätzchen, das sich recht sonderbar ausnimmt. wäre es wahr, antworten wir, so fielen die Deutschen wieder allgemein in die alte bänkelsängerei zurück. glücklicherweise aber ist 'dem nicht so'. die kunstsprache, ihrem ziele näher gerückt, behauptet einen standpunkt und wird durch neue meister auch in den folgenden festen jahrhunderten siegreich fortschreiten, ohne länger zu schwanken und auf abwege zu geraten, wie es früher geschah, als man noch suchte. wir besitzen gegenwärtig die bestimmtesten regeln, nach welchen der Deutsche zu verfahren hat; sie werden durchdringen und gelten. wie mit gezücktem schwerte dagegen ruft Weltrich an dem schlusse des obigen trostsatzes noch aus: 'wir haben das recht, Deutsche zu sein!' wer hat dies je bestritten? wer nimmt uns dieses recht? ein deutscher maler, welcher den Italiener Rafael studiert und ihm nachringt, wird dadurch nicht ein Italiener und ein Undeutscher; ebensowenig wird ein deutscher bildhauer, welcher mit dem Dänen Thorwaldsen zu wetteifern trachtet, ein Däne. sollen wir also von fremden nationen, die eine höhere stufe der sprachkunst erstiegen haben, nichts lernen, sondern immer und ewig Schwaben bleiben oder uns auf die melodien des leierkastens beschränken, die in den ohren vieler hörer als die verständlichsten und volksgemäszesten töne klingen? Richard Wagner, der neue meister, 'ist kein bedeutender componist', behauptete noch vor acht jahren ein musikfreund; denn 'Wagner mit seinen melodien, gesetzt dasz er melodien hätte, wird nie viel ausrichten', meinte dieser kenner, 'weil man bis jetzt die leierkastenmänner noch nicht ein einziges seiner stückchen spielen hörte'. dergleichen versicherte der gelehrte mann in vollem ernste.

Schiller hat vor mehr als achtzig jahren folgendes urteil ausgesprochen:

Ringe, Deutscher, nach römischer kraft, nach griechischer schönheit! beides gelang dir; doch nie glückte der gallische sprung.'

doch Schiller ist veraltet und genieszt bei den Schwaben, die ihn besagtermaszen nicht zu ihrer 'schule' rechnen, keine autorität. auch deucht ihnen der kunstweg zu schwierig; wozu die anstrengung, das ‘ringen', wenn man durch kunstlosigkeit mode werden kann? führen wir daher einen neuesten ausspruch an. Ludwig Brunier, historisch in seinem werke zurückblickend, sagt: 'die deutsche sprache glich während mehrerer jahrhunderte einem sänger mit der herlichsten stimme, der aber naturalist geblieben und dem wunderbaren, ihm zum pathengeschenke gemachten edelsteine keinen schliff zu teil werden liesz.' die französische sprache dagegen, fährt Brunier in seinem historischen vergleiche fort, 'erinnerte an eine stimme, die ursprünglich wenig ausgiebig war, auch keines hellen metallklangs sich erfreute, die aber durch grösten fleisz und

höchste kunst der Franzosen ihre mittel so zu erweitern und zu so blendenden wirkungen zu gestalten wuste, dasz die reicher ausgestattete, aber ihr besitztum nicht gehörig verwendende deutsche sprache zeitweise gänzlich durch die französische in den schatten gestellt ward.'

Der leser sieht, dasz ich mich an fremde urteile halte; denn es ist, wie Weltrich erklärt, am vorteilhaftesten, wenn niemand meine litteraturhistorischen ansichten erfährt. meiner halbhundertjährigen unausgesetzten praxis zu gedenken, wäre offenbar noch schädlicher von seiner seite gewesen. daher schliesze ich mit den trefflichen worten Biedermanns: 'kann man sich in fragen der kunst auf das beispiel der Griechen berufen, so ist schon viel gewonnen.' (welch ein gegensatz zu dem oben mitgeteilten kategorischen ausspruche Weltrichs!) 'waren sie doch dasjenige volk, durch welches der höchste begriff der kunst erst zur welt gebracht worden ist. betrachten wir nun ihre metrik, so finden wir, dasz sie nirgends unter ein starres ungelenkes gesetz gebeugt wurde: die füglichkeit, zwei kurze silben durch eine lange zu ersetzen, sogar lange und kurze (im trimeter sowie am ende der verszeilen) zu vertauschen gibt den versen der Griechen eine freiheit und beweglichkeit, die weder dem Homer noch seinen vorgängern und nachfolgern durchgelassen worden wäre, wenn ein deutscher ästhetiker von der stricten observanz darüber zu entscheiden gehabt hätte.'

LEIPZIG.

JOHANNES MINCKWITZ.

23.

SCHILLERS MÄDCHEN AUS DER FREMDE.

(ein beitrag zur erklärung des gedichts.)

Schillers poesie ist im gegensatze zu der seines freundes Goethe fast ausschlieszlich ideenpoesie. kein anderer deutscher dichter hat die treibenden kräfte, die das weltall durchdringen, die höchsten probleme, die die menschheit beschäftigen, alles, was den menschen aus seiner irdischen beschränktheit herauszuheben und ihn zu adeln und zu befreien geeignet ist, tiefer erfaszt und vollendeter dargestellt und kein anderer ist in so eminentem sinne wie dieser erhabene dichterfürst ein lehrer und erzieher seines volkes geworden. die dichtungen Schillers sind gemeingut der ganzen nation. auch das mädchen aus der fremde hat sich von anfang an einer auszerordentlichen und wohl verdienten beliebtheit erfreut und kaum gibt es eine gedichtsammlung, ein lesebuch, in welchem es nicht eine stätte gefunden hätte. die liebliche anmut und zartheit, sowie die plastische anschaulichkeit und objectivität der schilderung sichert selbst dann noch einen reinen genusz, wenn der eigentliche kern

und die tiefere bedeutung des ganzen nicht völlig erkannt ist. der dichter ist nämlich in diesem gedichte von seiner sonstigen gewohnheit insofern abgewichen, als er weder die zu grunde liegende leitende idee offen ausgesprochen, wie in seinen culturhistorischen gedichten, noch sie zum träger einer bestimmten handlung gemacht, wie in den balladen und romanzen, sondern sie unter der form der allegorie verborgen hat, die deutung dem leser selbst überlassend (nur die teilung der erde' und 'Pegasus im joche' sind ähnliche, wenn auch leichter verständliche allegorien). eine volle befriedigung und richtige würdigung ist jedoch erst möglich, wenn der frage nach der persönlichkeit des fremden mädchens und nach den einzelnen beziehungen, welche der phantasie des dichters vorschwebten, befriedigend beantwortet und so das liebliche rätsel gelöst ist. dasz dies keineswegs so ganz leicht ist, beweisen die verschiedenen, zum teil weit auseinandergehenden versuche, welche nach dieser richtung hin mehrfach gemacht sind.

1

Die vermutung, der dichter habe in der erscheinung des mädchens den frühling verkörpern wollen, ist jetzt wohl allseitig aufgegeben. sie läszt sich in der that nicht ohne widersprüche durchführen. die mehrzahl der erklärer bekennt sich zu der ansicht, das mädchen aus der fremde sei eine personification der poesie. dem gegenüber ist in neuerer zeit Leimbach in seinem bekannten buche: ausgewählte deutsche dichtungen bd. IV s. 171 ff. mit aller entschiedenheit für die erklärung von K. Bormann eingetreten, wonach das mädchen die muse des almanachs vom jahre 1797 sei. nach Bormann-Leimbach ist der gedankengang des gedichts, des bildlichen ausdrucks entkleidet, folgender: 'in der Mecklenburger tiefebene unter armen bauern erscheint alljährlich mit den ersten frühlingsboten ein musenalmanach. sein inhalt ist dort nicht entstanden, die meisten kennen seine verfasser nicht und diese gedichte wollen nur als kinder des augenblicks, was sie sind, freude und lust des augenblicks wecken. längere wirkung beanspruchen sie nicht. und doch erquickt den dichter die neue beschäftigung mit der dichtkunst nach so langer unterbrechung und beschäftigung mit rein philosophischen, zwar wertvollen, aber sehr undankbaren studien, und so erquickt, wie gehofft werden darf, der inhalt dieses almanachs auch alle leser. zugleich aber ist die erhabenheit der

1 gerade auf Schillers gedicht treffen die worte Goethes in 'Alexis und Dora' zu:

so legt der dichter ein rätsel, künstlich mit worten verschränkt, oft der versammlung ins ohr. jeden freuet die seltne, der zierlichen bilder verknüpfung; aber noch fehlet das wort, das die bedeutung verwahrt. ist es endlich entdeckt, so heitert sich jedes gemüt auf und erblickt im gedicht doppelt erfreulichen sinn.

2 K. Bormann das mädchen aus der fremde'. 1872. auch in der jüngsten auflage seines buches (Cassel 1885) hält Leimbach an der Bormannschen deutung fest.

poesie derart, dasz zwischen dem leser und den dichtern eine schranke bleibt. der inhalt des almanachs sind lyrische gedichte (blumen) für die freunde und xenien (früchte, küchenpräsente, spanischer pfeffer) für die zahlreichen anfeinder der dichter Schiller und Goethe. sie sind zu Weimar und Jena unter einem angenehmeren himmelsstriche und in der umgebung glücklicherer menschen entstanden. die gaben sind zum verteilen bestimmt, für jung und alt, für freund und feind; es sind eben gastgeschenke. das schönste gedicht aber in dem musenalmanach von 1797 ist den liebenden geboten in der idylle «Alexis und Dora» von Goethe.' diese lösung ist überraschend, wohl auch eben wegen ihrer eigenartigkeit für den ersten augenblick bestechend; ob sie sich aber infolge der energischen verteidigung Leimbachs dauernde freunde erworben hat, möchte noch zu bezweifeln sein. immerhin dürfte mit rücksicht auf die weite verbreitung des sonst vortrefflichen Leimbachschen buches sowohl als im interesse der sache selbst eine erneute prüfung um so mehr am orte sein, als eine in allen punkten befriedigende und allseitig gebilligte interpretation noch nicht gegeben worden ist. denn darin kann man Leimbach recht geben, wenn er behauptet, das, was Düntzer und Viehoff gegen Bormann eingewandt, betreffe nur ziemlich unwesentliche und untergeordnete punkte. auch darüber läszt sich schwerlich mit ihm rechten, ob das gedicht in dieser weise aufgefaszt an poetischem reiz verloren habe, oder nicht.

'Wir freuen uns', sagt Leimbach, 'des dichters, der in so lieblicher weise die prosaischen gedanken idealisiert, sie kunstvoll in einem liede verhüllt hat, welchem seine erklärer anmutvolle Goethesche klarheit und einfachheit der sprache mit vollem rechte nachrühmen.' zugegeben, dasz eine solche idealisierung des allerdings höchst prosaischen stoffes dem dichter wohl gelungen sei, wenngleich das gefühl der enttäuschung sich kaum wird verdrängen lassen und auch der dichter ganz wider seine gewohnheit hier nicht das individuelle verallgemeinert und der idee genähert, sondern es nur versteckt hätte, ohne ihm eine bleibende gestalt zu geben: geht auch wirklich die Bormannsche auffassung so ohne rest in dem gedichte auf, dasz wir uns, so sehr sich auch unser poetisches gewissen dagegen sträubte, bescheiden müsten? ich bestreite dies auf das bestimmteste. mit dem thale, in welchem das fremde mädchen alljährlich erscheint, soll also Mecklenburg, und mit den armen hirten sollen die leibeigenen Mecklenburger landleute gemeint sein. wohl ist Mecklenburg eine flache thalsenkung, aber doch nur für den geographen, in keinem falle für die phantasie, worauf doch alles ankommt, und dasz der musenalmanach für Mecklenburg, speziell für die dortigen bauern bestimmt gewesen, ist eine noch wunderlichere behauptung. vielmehr ganz Deutschland wurde er dargeboten und die gebildeten sollten sich daran erfreuen, nicht blosz oder auch nur vorwiegend die hirten und landleute. ferner ist es nicht richtig, dasz der musenalmanach im frühlinge erschien. dies hatte schon

Düntzer bemerkt, Leimbach erwidert ihm nun: dasz man aber das erscheinen eines jahrbuchs oder kalenders in das junge jahr verlegt, ist doch begreiflich, da ein solcher kalender die neue jahreszahl trägt. wenn um der concurrenz willen die schrift im buchhandel eher zu haben ist, und zu haben sein soll, so ist das für diese frage gleichgültig.' so ganz, meine ich, wohl nicht, denn dann konnte Schiller vielleicht sagen 'mit jedem jungen jahre' sei die muse des almanachs wiedergekehrt, nimmermehr aber sobald die ersten lerchen schwirrten', d. h. im april. die anonymität der einzelnen beiträge ferner, auf welche sich die interpretation der zweiten strophe stützt, erstreckt sich nur auf einen geringen bruchteil der gedichte Goethes und Schillers (Düntzer). dasz die gedichte als kinder des augenblicks nur vorübergehend freude und lust erwecken wollen, soll in der zweiten hälfte dieser strophe ausgesprochen sein. das wäre zum mindesten sehr künstlich und unklar ausgedrückt. man übersehe auch nicht, dasz bei Schiller das mädchen abschied nimmt, d. h. doch wohl nach eigener freier entschlieszung sich entfernt. und erst gar die dritte strophe! was soll nicht alles Schiller in dieselbe bineingeheimnisst haben: dasz er sich nach langer unterbrechung und beschäftigung mit philosophischen gegenständen wieder der poesie zugewandt und sich daran erfrischt habe, und dasz er dieselbe wirkung auch von seinen lesern erwarte. hier leisten Bormann und Leimbach wahrlich mehr, als der beste amerikanische pfadfinder, nur schade, dasz sie einer durchaus trügerischen spur folgen, denn von alledem sagt Schiller kein wort und konnte er nichts sagen, ohne den gesetzen der logik und gesunden rede ins gesicht zu schlagen. oder darf man es ihm zutrauen, er habe in demselben satze sich selbst und seine leser im sinne gehabt? noch mehr! wäre nicht auf diesem wege die so energisch verwiesene göttin poesie doch wieder unvermerkt hereingeschlüpft? nicht besser steht es mit der vierten strophe. die gaben, welche die muse des almanachs verteilt, sind nach Bormann teils lyrische gedichte (blumen), teils xenien (früchte, gastgeschenke). etwas verfehlteres läszt sich kaum denken. als ob nicht die blumen ebensogut gastgeschenke wären, als die früchte. und nicht genug: 'unter dem scheine völliger seelenruhe', sagt Leimbach, 'heiszt man die gäste willkommen, gibt ihnen, sie bewirtend, küchengeschenke, aber es ist kein braten, gemüse oder wein (das sind doch keine früchte!), sondern spanischer pfeffer.' in der that eine vortreffliche empfehlung des almanachs! die göttin ist also gar nicht so gutmütig, wie sie sich den anschein giebt, unter der maske der freundlichkeit täuscht sie die gutmütigen leute! dann bleibt nur zu verwundern, warum sie die dummen bauern nicht ins pfefferland wünschen, anstatt ibrer jährlichen wiederkehr mit sehnsucht entgegenzusehen!

Ob Weimar und Jena (dies soll die glücklichere natur sein, aus der die muse kommt) wirklich ein so überaus heiterer himmelsstrich sei, der im vergleich mit Mecklenburg beinahe eine andere

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