Sidebilder
PDF
ePub

währte, so reichlich es auch in anbetracht der damaligen umstände war, es reichte nicht hin, so weitaussehende pläne durchzuführen. so erlitt das unternehmen in gewissem sinne gleich anfangs schiffbruch; statt des beabsichtigten seminars trat eine erziehungsanstalt ins leben, der die notwendige vorbedingung fehlte, eine schon bewährte methode und bewährte meister der erziehungskunst.

Dennoch schien das unternehmen nicht ganz hoffnungslos; zwei seltene vorteile waren vorhanden, die einen glücklichen erfolg verhieszen: die unternehmer besaszen vollkommene freiheit der bewegung und echte begeisterung für ihren beruf. rührend ist, was wir über die verbrüderung der ersten viermänner lesen: 'Basedow, als der fürsorger des philanthropins und altbruder der gesellschaft - Wolcke, als erster lehrer Simon und Schweighäuser, als die folgenden, haben sich am 2 januar 1776, nach gegenseitiger anwünschung des göttlichen segens, über folgende punkte verabredet: wir widmen uns allesamt, so lange wir notwendiges brot und friedliches leben dabei haben können, nur dem schulwesen, und eben so gern dem niedrigsten, welches wir für den wichtigsten teil halten, als dem höchsten. titel, besoldung und menschengunst sollen uns nicht reizen, diesem zwecke zuwider oder weniger gemäsz zu handeln. so lange die viermänner an einem orte bei einander bleiben, und selbst, wenn sache oder umstände eine trennung nötig machen,

8

7 auf diese freiheit legte Basedow mit recht den grösten wert. als erfordernisse für die musterschule, von'welcher die verbesserte erziehungsund unterrichtsmethode auszugehen habe, bezeichnet er folgende: 1) sie müste in ihrer ganzen einrichtung durch keine fundationsgesetze eingeschränkt sein, sondern ihre ganze form nach gutbefinden und ohne verantwortung zu besorgen, so oftmals umschmelzen können, als es den vorstehern derselben nötig schiene. 2) diese vorsteher müsten daher in ansehung dieses ihres verhaltens von keiner gesetzgebenden macht abhangen, sondern jedesmal ihrer eignen gewissenhaften einsicht folgen dürfen, so oft sich ihnen etwas besseres darstellte, welches sie an die stelle des schlechteren setzen wollten. 3) sie müsten unabhängig von den vorurteilen der eltern und verwandten ihrer zöglinge sein, so dasz die billigung oder misbilligung derselben bei einzuführenden guten neuerungen gar nicht in betracht gezogen werden dürfte. Wie weit wir jetzt von solcher unabhängigkeit, die dem philanthropin in der that gewährt wurde, abgedrängt sind, kann man bei Wiese lesen, der nun auch zugibt, dasz die schule vor den ihrer bestimmung widerstreitenden einwirkungen des militärischen charakters des staates nicht hinlänglich behütet wird. zwar bedürfe auch die schule einer festen, die willkür ausschlieszenden ordnung und einer aufmerksamen controlle: aber eine gute schule werde nicht dadurch geschaffen, wenn beides so verstanden werde, als dürfe wie beim militär nur nach vorschriften gehandelt werden, und in den schranken der gesetzlichkeit sei kein raum gelassen für spontaneität und vertrauen. dann höre die ordnung auf eine tugend und die quelle wohlthätiger wirkungen zu sein. die eigentliche aufgabe der schule könne dabei nur unvollkommen erfüllt werden.

8 damit vergleiche man die moderne praxis, in dem momente, wo man eine neue stelle antritt, sofort wieder nach allen seiten meldungen zu schicken.

verspricht ein jeder dem andern brudertreue und bruderhilfe bei jeder krankheit, not und verlegenheit.' die verpflichtung geht sogar noch weiter; selbst bei der wahl der ehegattinnen will man darauf sehen, dasz diese das grosze werk durch mitarbeit, aufsicht und beispiel fördern können, und auch die kinder sollen zu nichts anderem erzogen werden als zu demselben zwecke wie ihre väter. diese hochfliegende begeisterung konnte sich, wie natürlich, nicht auf die dauer behaupten; dennoch wird man zugeben müssen, dasz die idee der bruderschaft, die in den corporationen des mittelalters so wirksam sich erwiesen hat, auch den ungewöhnlichen verhältnissen des philanthropins weit besser entsprach als der etwas abgeblaszte begriff der collegialität oder gar der bureaukratische begriff der beamtendisciplin.

9

Der schwierigste teil der aufgabe, die das philanthropin zu lösen unternommen hatte, war jedenfalls die neugestaltung des wissenschaftlichen unterrichts. man wollte dasselbe, man wollte womöglich besseres leisten als bisher, und doch sollte zeit und kraft des schülers weniger in anspruch genommen werden. daraus ergab sich die notwendigkeit, alles überflüssige aus dem unterrichte zu entfernen. es gehört nicht in das gymnasium', sagt Basedow, 'was nur dem schulmanne, nur dem professor, nur dem richter und sachwalter nützen wird. das masz der gymnasien ist das bedürfnis der studierenden insgemein.' auszer den dingen jedoch, welche durch den zweck des gymnasiums überhaupt nicht gerechtfertigt sind, ist einzelnes noch für einzelne entbehrlich, z. b. für künftige offiziere, kaufleute, künstler. sollten auch deren interessen berücksichtigung finden, so war dies nur durch das fachsystem möglich, bei welchem derselbe schüler in verschiedenen fächern verschiedenen classen angehören konnte. für die einführung dieses systems sprachen auszerdem noch andere gründe. wenn die pädagogik eine kunst ist, der pädagog ein künstler, so wird er auch jede einzelne ihm gestellte aufgabe, d. h. die erziehung jedes einzelnen zöglings, möglichst individuell behandeln; er wird sich bemühen, jedes eigen geartete talent zu erkennen und es zur entwicklung zu bringen. am leichtesten ist dies beim fachsystem zu erreichen. beim classensystem hingegen, wo alles für alle gleich wichtig ist, wo ohne gleichmäsziges fortschreiten in allen lehrgegenständen ein fortrücken in höhere classen nicht gestattet wird, wo die ausgesprochene vorliebe des schülers für einzelne fächer fast wie tadelns werte eigenmächtigkeit erscheint,

9

was Basedow über den damaligen unterricht bemerkt, ist auch jetzt beachtenswert: anstatt die ganze aufkeimende denkkraft des kindes zu beschäftigen und sowohl den verstand im eignen denken als auch das herz desselben im eignen empfinden zu üben, begnügt man sich, blosz sein gedächtnis mit demjenigen zu martern, was andere gedacht und geredet haben und zum teil nicht hätten denken oder reden sollen. und das alles auf eine für die junge sinnliche seele so beschwerliche, so erschlaffende weise, auf so viel vergeblichen umwegen und mit so verschwenderischem aufwande an zeit und menschenkraft!'

da ist das wirkliche talent, weil es fast immer als einseitigkeit auftritt, in der übelsten lage. um so besser aber gedeiht die trockene mittelmäszigkeit, die jeden wissensstoff in gleicher weise aufsaugt, weil sie keinem ein tieferes interesse entgegenbringt. aus solchen gründen hat sich neuerdings auch Wiese gegen das classensystem erklärt, oder, sagen wir lieber, gegen seine unnötigen schroffheiten. denn in wahrheit handelt es sich doch nur um die frage, ob individuelle oder allgemeine bildung 10; beides aber ist noch mehr von der handhabung des systems abhängig als vom systeme selbst.

man

In seinem bestreben, die wissenschaftliche erziehung möglichst zu entlasten, wurde Basedow auch noch durch eine andere rücksicht geleitet, die zwar sehr human aber nicht sehr pädagogisch erscheint, durch die rücksicht auf glück und wohlbefinden der jugend. man hat seine glückseligkeitstheorie nicht selten vornehm bespöttelt, obwohl es doch zugestanden werden musz, dasz eine glücklich verlebte jugend ihren erwärmenden strahl auch in das spätere alter hineinwirft, wie umgekehrt die erinnerung an achtlos zertretenes jugendglück auch reifere jahre mit ihrem schatten verdunkelt. wenn es wahr ist so etwa lautet jene theorie dasz die natur einer jeden altersstufe ihre besondere art von glück zugewiesen hat, so ist es eine versündigung gegen die natur, auch nur einen teil hiervon rauben zu wollen; die geschädigten damit zu trösten, dasz solcher raub zu gunsten einer spätern altersstufe geschehe, ist eitel täuschung, da ein ersatz für das verlorene niemals eintritt, müste denn die kinderzeit zum zweiten male leben können. und was zwingt uns überhaupt dazu, etwas zu opfern? bei der wissenschaftlichen thätigkeit des mannes wird die last der arbeit vollständig aufgewogen durch die befriedigung, welche dieselbe gewährt; warum nicht ebenso bei der thätigkeit des knaben? wenn der trieb, kenntnisse und fertigkeiten zu erwerben, lob und anerkennung zu genieszen, auch der jugend natürlich ist, so gehört alles, was zur vorbereitung auf ein späteres alter mit vernunft geschehen kann, selbst schon zum vergnügen und zur glückseligkeit desjenigen alters, in welchem diese vorbereitung geschieht. 'kennt man nur erst', sagt Basedow, 'die wahre natur des menschen und ein vernünftiges erziehungswesen, so verliert die jugend um des männlichen alters willen nicht mehr vergnügen, als sie durch vorbereitung zu demselben gewinnt.'

Man wird nicht erwarten, dasz in dem philanthropin, wo das vernünftige erziehungswesen erst gesucht werden sollte, jenes ideale

10 wenn es wahr ist, dasz eine wahnvorstellung um so gefährlicher sich erweist, je ansprechender ihr name klingt, so gehört jedenfalls der begriff der allgemeinen bildung zu den schlimmsten plagen der gegenwart. dasz alle gebildeten im lesen, schreiben und rechnen gleich tüchtig sind, hat man nie erreicht und auch nie beansprucht; was aber in diesen leichtern und unentbehrlichen dingen unmöglich ist, das verlangt man bei den schwereren und für viele völlig entbehrlichen.

[ocr errors][ocr errors][merged small][ocr errors][merged small][merged small][merged small][graphic][ocr errors][subsumed]

3

keit und freundschaft unter den mitgliedern zu erhalten sowie alle für das institut wichtigen fragen vertraulich zu besprechen. die protokolle dieser gesellschaft - sie reichen, allerdings mit einer unterbrechung von etlichen jahren, von october 1777 bis april 1793

geben einen bessern einblick in das wesen und die entwicklung des philanthropins als die empfehlungsschriften seiner freunde oder die schmähschriften der gegner. von diesen ungeschminkten berichten wird demnach im folgenden öfters gebrauch gemacht werden, um lob wie tadel auf das rechte masz herabzusetzen.1

[ocr errors]

Den grundgedanken seiner reformatorischen bestrebungen hat Basedow mit jener volkstümlichen rhetorik, die ihm fast immer zu gebote stand nachdrücklich in folgende worte zusammengefaszt: 'natur! schule! leben! ist freundschaft unter diesen dreien, so wird der mensch, was er werden soll und nicht alsobald sein kann: fröhlich in der kindheit, munter und wiszbegierig in der jugend, zufrieden und nützlich als mann. aber wenn die natur von der schule gepeitscht und die schule vom leben des mannes verhöhnt wird, da ist der mensch zuletzt dreifach als eine misgeburt aneinander gewachsen, drei köpfe, sechs arme, und im täglichen zanke unzertrennlich.'

Wir können unerwähnt lassen, in welcher weise dieses thema weiter variiert wird; es ist dieselbe klage, die auch jetzt von allen seiten ertönt, die klage, dasz durch überbürdung geist und körper des schülers erschlaffe und alle freudigkeit des lernens erstickt werde. daher die forderung, dasz die physische erziehung ihr gutes recht wieder erhalten müsse, und zwar nicht blosz um der leiblichen gesundheit willen, sondern auch in rücksicht auf die moralische erziehung, die wichtigste von allen. 'die moral eines schwachnervigten menschen', sagt Basedow, 'hat keinen festen, bleibenden gehalt. je nachdem die luft heiter oder trübe, trocken oder feucht, elastisch oder schlaff ist, steigt oder sinkt der moralische wert eines solchen menschen mit dem quecksilber des barometers um die wette.' für beide zwecke nun, für die physische wie für die moralische erziehung, sollte raum gewonnen werden, und nicht etwa auf kosten, sondern zum nutzen des wissenschaftlichen unterrichts, da ja nichts weiter erforderlich schien, als dasz man alles unnütze und schädliche aus letzterem entfernte.

Man kann nicht sagen, dasz Basedow bei ausführung seines planes sich überstürzt hatte, schon dasz er bis in sein höheres alter

[graphic]

tar di besprechungen zu sichern, or gesellschaft etwas erVerschweigen beschlossen

or für verloren und sind Mer aufgefunden worden. stock, Gleim, Claudius,

« ForrigeFortsett »