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um so reicher wird der gewinn sein und um so höher die ehre, je gröszer das wagen.

Mit einer erinnerung an die ruhmvolle vergangenheit und einer mahnung an die zu kunft (καὶ τοῖς ἐπιγιγνομένοις πειρᾶςθαι αὐτὰ - die herschaft - μὴ ἐλάττω παραδοῦναι schlieszt die von èλáccw freudigem mute zeugende, aus einer gegenwart heraus gehaltene rede, welche eindringlich den Athenern nur das eine zuruft:

SALZWEDEL.

ἀνάγκη πολεμεῖν!

FRANZ MÜLLER.

68.

PARZIVAL VON WOLFRAM VON ESCHENBACH IN NEUER ÜBERTRAGUNG FÜR ALLE FREUNDE DEUTSCHER DICHTUNG ERLÄutert und zUM GEBRAUCH AN HÖHEREN LEHRANSTALTEN EINGERICHTET VON dr. GOTTHOLD BÖTTICHER, ORD. LEHRER AM ASKANISCHEN GYMNASIUM ZU BERLIN. Berlin, Friedberg u. Mode. 1885. LXXI u. 352 8.

Dasz der verfasser, welchem wir die vorliegende Parzivalbearbeitung verdanken, zu dieser arbeit berufen war, hat er durch seine verschiedenen wissenschaftlichen untersuchungen über Wolfram von Eschenbach seit jahren bekundet. wir dürfen ihm also nach dieser seite mit vertrauen entgegenkommen und dasselbe rechtfertigt sich bei näherer prüfung. sowohl die einleitung und die excurse, welche person und werk des dichters, alle einschläglichen verhältnisse der zeit und alles zum verständnis notwendige erörtern, sind aus gründlicher sachkenntnis geschöpft, als auch ist die interpretation des dichters mit umsicht gehandhabt. dasz hier und da widerspruch gegen einzelne auffassungen nicht fehlen wird, kann niemand wundern, der selbst kenner ist und weisz, welche erheblichen schwierigkeiten sich vor jedem auftürmen, der sich an die erfassung dieses dichtergenius macht.

Veranlaszt wurde Böttichers buch durch die neueren bestimmungen über den litteraturunterricht in den oberclassen unserer höheren schulen. wer ernsthaft versuchte, ihnen gerecht zu werden, der muste bald die grosze lücke empfinden, wenn er die das mittelalter bewegenden ideen seinen schülern nahe bringen wollte. das volksepos und Walther geben in der that keine auch nur annähernd ausreichende vorstellung. denn die Nibelungen gehören ja nach ihrem inhalt gar nicht in die classische periode des mittelalters, sie sind gewissermaszen die versteinerung einer vergangenen heldenzeit und haben nur aus der zeit, in welcher sie versteinerten, einzelne züge, colorit usw. angenommen. die zeit der kreuzzüge, die ritterlichen ideale der Stauffenzeit, welche durchaus von christlichen ideen getragen ist, findet in ihnen keine verkörperung. bleibt nur Walther! dieser aber ist ein lyriker und somit ein subjectiver, individueller

dichter. zwar ist er ein sohn seiner zeit, aber er überragt dieselbe aufs glänzendste, niemand ist ihm in dem höchsten, was er geleistet hat, vorbild, niemand hat ihm mit irgend welchem erfolg nachgeahmt. wie soll er nun dem schüler verständlich werden ohne hintergrund von dem er sich abhebt? der lehrer wird also doch genötigt sein, auf die entwicklung der höfischen poesie näher einzugehen, auf die lyrik, aber auch auf die epik. hierzu wird es also nach den neueren bestimmungen nötig, dasz der schüler auch ein ritterliches epos kennen lernt. eine auswahl kleinerer stücke aus verschiedenen dichtern halten wir für ungeeignet; sie kann nur da verwendung finden, wo es gilt, einen zusammenhängenden litteraturgeschichtsunterricht zu illustrieren. hier musz den schülern ein ganzes geboten werden, und da es entsprechend der dazu verwendbaren zeit nur eins sein kann, so musz es das vollendetste sein, in welchem sich die gattung am vollkommensten darstellt und in welchem sich die treibenden ideen der zeit am deutlichsten krystallisiert haben. in frage können natürlich nur die sogenannten classiker kommen, weil sie form und inhalt relativ und absolut zur höchsten vollendung erhoben, d. h. innerhalb der gegebenen grenzen, welche die entwicklung der poesie, die anschauungen der zeit und die form der höfischen erzählenden dichtung steckten; weil sie ferner allein auch im inhalt eine selbständigere ausgestaltung der aus der fremde entlehnten stoffe, eine umgestaltung im deutschen geiste versuchten. abzulehnen sind die beiden formgewandtesten epischen dichter des mittelalters: Gotfrid von Straszburg, weil er in seinem Tristan einen nach modernen anschauungen geradezu unsittlichen stoff behandelte, wenn derselbe auch getragen ist von der idee der alles überwindenden liebe; Hartmann von Aue, weil die im Erec und Iwein behandelten probleme (conflict zwischen den pflichten der ehe und der ehre des rittertums) für das verständnis der schüler nicht geeignet, weil sie zu wenig hervortretend und durchgeführt sind. die ideen dieser werke sind versteckt hinter einem wust höchst abenteuerlicher geschichten, für welche der grundgedanke selbst kaum noch einen faden abgibt, und die einzelnen abenteuer treten so sehr als hauptsache hervor, dasz ihnen die beziehung zur idee oft geradezu fehlt. die ideale des mittelalters, rittertum, minne, christentam hat allein Wolfram von Eschenbach tiefer erfaszt und darzustellen versucht, man streitet, wie viel er davon seiner quelle entlehnt habe; aber so lange diese nicht aufgefunden und besonders, da wir in keinem französischen roman jener zeit auch nur annähernd ähnliche tiefsinnige ideen ausgesprochen finden, dürfen wir sie getrost unserm dichter zurechnen.

Wie Bötticher in seiner einleitung diese grundidee des Parzival auffaszt, ist eigenartig und mehr oder weniger allem widersprechend, was man bisher darüber geschrieben; aber es ist ansprechend und empfiehlt sich besonders für das verständnis der schüler durch seine einfachheit und dadurch, dasz sich der verfasser alles speculierens und hineininterpretierens enthalten hat. es ist zugleich der beste.

beweis dafür, dasz es für die schüler nicht nur lehrreich, sondern auch förderlich ist, in diese dichtung einzudringen. sie ist nach Böttichers auffassung das 'hohelied des rittertums, nur nicht des rittertums im gewöhnlichen sinne, sondern des ritterlichen geistes als einer sittlichen lebensmacht'. Parzivals ideal von rittertum treibt ihn zur höchsten sittlichen vollkommenheit. 'diese höchste sittliche vollkommenheit ist die christliche cardinaltugend der selbstverleugnung, welche nicht möglich ist ohne den glauben an gott und das kreuz Christi, und so müssen wir schlieszlich in Parzival einen typus erkennen, in welchem das sittliche bewustsein des deutschen mittelalters nach allen seiten hin zum schönen ausdruck gekommen ist: eine schöne durchdringung des allgemein menschlichen mit dem christlichen, der abschlusz in dem verschmelzungsprocess der deutschen eigenart mit dem christentum, oder kurz der christlich-germanische held.' wir müssen es uns versagen, zu zeigen, wie Bötticher dies aus dem berühmten eingang des werkes und aus den übrigen andeutungen innerhalb desselben entwickelt. nachdem sich ihm diese auffassung des ganzen ergeben hatte, muste sie auch maszgebend sein für seine bearbeitung des gedichts.

Bekanntlich ist die composition die schwächste seite aller mittelalterlichen dichter; bei erwähnung Hartmanns haben wir darauf hingewiesen. auch Wolfram ist von diesen schwächen nicht frei. sie haben ihren grund zum groszen teil darin, dasz die dichter ihren stoff nicht frei erfanden oder auch nur frei gestalteten, wie Goethe etwa in der Iphigenie, sondern dasz sie ihn fertig aus der fremde übernahmen, durch den geschmack der zeit an die überlieferung fest gebunden. so muste Wolfram aus treue gegen seine quelle vielfach züge übernehmen, welche der ausgestaltung seiner idee hinderlich waren und welche nach unserm geschmack die entwicklung unnötig hemmen. solche dinge, ja ganze bücher wie die Gawan-episode schied Bötticher mit recht aus und machte sie nur dem inhalt nach bekannt. dadurch verlor das gedicht seinen unüberwindlichen umfang und wurde für die schule erst verwendbar. wir würden es sogar für wünschenswert halten, dasz er denselben noch mehr reducierte, es würde der verbreitung des buches entschieden förderlich sein; besonders aber, dasz alle irgendwie anstöszigen oder anzüglichen stellen noch sorgfältiger ausgemerzt würden. ein deutsches gedicht darf sich in dieser beziehung nicht mit Homer vergleichen. Der verf. vermutet wohl richtig (vorrede s. VI), in dieser beziehung weniger widerspruch zu finden, als in bezug auf die form seiner übertragung. hier ist derselbe von dem bisherigen gebrauch abgewichen, und das hat immer sein bedenkliches: er hat das versmasz des originals beibehalten, den reim aber aufgegeben. unleugbar ist dies ein mangel; denn der übersetzer hat im allgemeinen die aufgabe, auch die form getreulich zu wahren. aber wir sehen in diesem verfahren anderseits so erhebliche vorteile, dasz wir es nur billigen können. denn es ist unstreitig das wichtigste bei der übertragung mittelhochdeut

scher gedichte, dasz man sich dem gedanken des dichters möglichst anschmiegt; jede einmischung fremder züge ist störend, weil sie das colorit ändert. die anwendung des reims aber nötigt gerade beständig zu einer umgestaltung der gedanken, da eine wörtliche übersetzung, womöglich mit benutzung der reimworte unmöglich ist. ich werde nachher zeigen, zu welchen geschmacklosigkeiten die modernen übersetzer sich allein aus diesem grunde haben verleiten lassen, weil sie fortgesetzt im kampfe zwischen reim und gedanken standen. hat man also hier die wahl, so kann die entscheidung nicht schwer sein, zumal wenn man anerkennt, dasz für unser modernes ohr das reimgeklapper in einem groszen epos bei drei- oder vierhebigen versen entsetzlich ermüdend wirkt. bei den mhd. dichtern lag die sache wesentlich anders: sie hatten nicht das regelmäszige gleichmasz von hebung und senkung, sie hatten mehrsilbigen auftact und endlich durch die stumpfen zweisilbigen reime und den scharfen unterschied langer und kurzer silben eine viel gröszere manigfaltigkeit des klanges. also, da der verf. im übrigen die poetische form gewahrt hat, welche sehr wohl auch ohne reim besteht (vgl. Lessing, das neuste aus d. reiche des witzes s. 48 ed. Hempel), so lassen wir es uns gern gefallen. nur im wechsel des trochäischen und iambischen rhythmus, der dem original entsprechend behalten ist, musz sich der verf. mehr schranken auferlegen; innerhalb einzelner kleinerer complexe können wir modernen das gleichmasz nicht entbehren, ohne beim lesen fortgesetzt anzustoszen.

Zum beweise, welche not dem umdichter die beibehaltung des reims bereitet und zu welchen geschmacklosigkeiten er sich dadurch hinreiszen läszt, und im gegensatz dazu, zugleich als proben der übertragung Böttichers, mögen folgende beispiele dienen.

Simrock 151, 21.

Bötticher III 1000.

der seneschall, herr Keye, nahm
die jungfrau bei dem blonden haar.
ihre langen lichten zöpfe
wand er sich um seine hand;
es spängt sie ohne spangen.
er brachte
freilich nicht zum
eid!
dem rücken einen stab so nah,
dasz es durch kleid und haut ihr drang,
eh noch sein sausen ganz verklang.
III 972.

da faszte Kei der seneschant frau Kunnewaren de Lalant bei ihrem lockigen haar. ihre langen zöpfe klar wand er sich um seine hand: er spängte sie ohne spängelband. ihrem rücken ward kein eid gestabt; doch ward ein stab so dran gehabt bis sein sausen ganz verklang, dasz es kleid und haut durchdrang. 150, 15. wollt ihr zurück den goldnen kopf soll jemand uns den becher bringen: becher) die peitsche hier will dort zum hier ist die geisel, dort der topf kreisel!*

(! kreisel) laszt doch das kind ihn treiben: gönnts dem kind ihn umzutreiben; so wird man's vor den frauen preisen. man wird es fraun mit ruhm be

schreiben.

er vergleicht die kampflust Parzivals mit dem kindlichen gelüsten nach dem kreiselspiel.

Simrock 165, 8.

sein unterwand sich Gurnemans.
der war solch ein unterwinder (!),
dasz ein vater seine kinder,
an treue teil zu haben,
nicht besser könnte laben.

:

Bötticher III 1253.

seiner nahm der wirt sich an.
traun, besser kann ein vater nicht
an seinen kindern treue üben,
als Gurnemanz dem knappen that.

Man vgl. zur fortsetzung reime wie 'unbezwungen: umrungen' (umringt), hosen dem nimmer kraft- noch mutlosen', 'verzieren: sich affischieren einen fürspann' usw. usw. und das sind nicht etwa wenige verunglückte stellen eines dilettanten, zu hunderten lassen sich solche beispiele anhäufen, welche aus der feder des vielgeübten übersetzers Simrock stammen.

Böttichers Parzival ist nicht weniger wertvoll durch seine einleitung und seine ausgiebigen excurse, diese wie jene etwa 70 seiten umfassend. manchem von dem, was sie enthalten, wird man nicht beistimmen (es ist hier leider nicht raum, darauf einzugehen), aber im allgemeinen ist uns kein populär gehaltenes buch bekannt, welches so umfassend und mit tüchtiger sachkenntnis in die litteraturund culturgeschichte jener zeit einführte. wer nicht auf grund eigner studien mit den verhältnissen des 13n jahrhunderts vertraut ist, der wird bei dem deutschen unterricht in prima das buch mit gutem erfolg verwerten können. von dem reichtum des inhalts mag zum schlusz eine kurze übersicht eine vorstellung geben. die einleitung behandelt Wolframs leben und heimat, letztere auf grund eigner anschauung, die der verf. durch eine reise nach Eschenbach gewann; dann Wolframs werke und seine dichterische persönlichkeit, insbesondere den Parzival und seine quellen. im anschlusz daran geht der verf. genauer auf die Artus- und Gralsage ein und zeigt zum schlusz Wolframs verhältnis zur litteratur seiner zeit und die geschichte des dichters in der folgezeit bis auf unsere tage. geht Bötticher in dieser einleitung im allgemeinen ausgetretenere bahnen, so folgen wir ihm um so lieber auf den heimlicheren pfaden der excurse, in welchen er den spuren der cultur- und sittengeschichte jener zeit nachgeht. was er andernfalls in zerstreuten anmerkungen unter dem text hätte bringen müssen, weil es zum verständnis der lebensauffassung nötig, aus der das wunderbare gedicht geboren, das stellt er hier im zusammenhange dar. in sechs abschnitten behandelt er die sittlichen ideen der zeit, das rittertum, die burg, das lager, den höfischen verkehr, die rechtsverhältnisse. an manchen stellen möchten wir eine lanze mit ihm brechen; doch genüge es hier auf einen gefährlichen satz aufmerksam zu machen, der die sittlichen ideen betrifft. es ist undenkbar', sagt Bötticher, 'dasz sich die dichter jener zeit im widerspruch befunden haben sollten mit den allgemeinen sittlichen ideen der gesellschaft, in der sie sich bewegten und für welche allein sie dichteten, denn von ihr hiengen sie ab.' der verf. zieht hieraus zum glück nur den schlusz auf die idealen lebensanschauungen, welche sich bei Wolfram und Walther N. jahrb. f. phil. u. päd. II. abt. 1885 hft. 10 u. 11.

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