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frommer hirtenknabe (wie der in Uhlands 'kapelle') unter freiem himmel niederkniet, weil er seine herde nicht verlassen und nicht in die kirche gehen darf, so fällt die letzte ausnahme von der kirchlichen sonntagsfeier dadurch fort. Uhland wollte gerade eine ganz kindliche und volkstümliche frömmigkeit, wenn auch nicht confessionell, doch rein menschlich in kirchlicher form schildern. dasz Kern Heines 'nach Frankreich zogen zwei grenadier' auch verwirft, musz man ihm dank wissen. er gibt beispiele zu erläuterungen von gedichten für alle classen, die im allgemeinen gewis als muster von erläuterungen dienen können. wie treffend ist die zurückweisung dessen, was von anderer seite für erläuterung von über allen wipfeln ist ruh' bemerkt ist! Kern, der jetzt auch das pädagogische seminar für die candidaten der philologie in Berlin leitet, hat, ohne dem grundsatze untreu zu werden, dasz die deutsche grammatik zunächst am besten an der lateinischen mit gelehrt werde, dem unterricht in der muttersprache durch die schriften über methodik und satzlehre in der that eine neue und fruchtbare seite abgewonnen.

BERLIN.

HEINRICH PRÖHLE.

9.

GOETHES TORQUATO TASSO. BEITRÄGE ZUR ERKLÄRUNG DES DRAMAS. VON FRANZ KERN. Berlin, Nicolai (R. Stricker). 1884. 160 s. 8.

Der geistvolle verfasser weicht von den früheren erklärern des Goetheschen Tasso wesentlich ab. ich kann nicht umhin seiner auffassung der einzelnen charaktere unbedingt beizustimmen, ganz besonders wo sie von derjenigen Eckardts abweicht. in wesentlicher übereinstimmung befindet sich Kern nur mit seinem vorgänger in der sehr leichten beurteilung der charaktere von Tasso und Alphons, dem gereizten dichter und dem fürstlichen maecen, der in den kleinlichen verhältnissen des damaligen Italiens selbst dem vaterländischen poeten gegenüber nicht von aller politischen berechnung frei zu sprechen ist. weder Antonio noch die gräfin stehen so tief als man wohl angenommen hat. jener, von den auswärtigen geschäften ermüdet und von den damen bei seiner heimkehr in der that nicht mit gebührender auszeichnung empfangen, läszt sich gegen Tasso anfänglich ohne böse absicht nur allzu sehr gehen. von der gräfin aber soll nicht angenommen werden, dasz sie in böser absicht Tasso dem hofe zu Ferrara rauben will. der plan ihn nach Antonios ankunft in andere verhältnisse zu versetzen ist den umständen angemessen und sie gedenkt sich an seinem zukünftigen aufenthaltsorte seines umgangs in gemeinschaft mit ihrem gemahl zu erfreuen.

Da das drama von der fürstengunst handelt, so läszt Goethe auch das augusteische oder vielmehr das eigentliche goldene zeitalter nicht unerwähnt. Tasso denkt dabei nur an ein arkadisches

hirtenleben, wo die hirtin jeden wunsch des jungen hirten unter überhängendem gezweige gern erfüllt. die prinzessin aber kennt nur ein goldenes zeitalter der sitte. Tasso gesteht höchstens zu, dasz die leidenschaft allein nicht herschen könnte, behauptet aber: erlaubt sei, was gefalle (nicht dem einzelnen, aber vielen, nach dem gesetze der schönheit). die prinzessin erwidert mit einem bedeutsamen pleonasmus: erlaubt ist was sich ziemt (nach der sitte). die wärme des gefühls, welche die prinzessin immer mehr gegen Tasso zeigt, um ihn zu beruhigen, verleitet ihn zu der übereilung, welche die abreise der damen und des herzogs zur folge hat. Tasso konnte zwar die prinzessin zuletzt misverstehen, aber dennoch hatte sie sich durch die sinnenliebe, welche sie wohl für ihn empfindet, nicht bestimmen lassen, ihm etwas anderes zu versprechen als einen fortdauernden geselligen verkehr, der durch die hohen geistigen genüsse des italienischen hoflebens zu der höchsten annehmlichkeit gesteigert werden konnte, sobald Tasso seinen eignen wahlspruch auch hier zur wirklichen richtschnur nahm:

Frei will ich sein im denken und im dichten:

im handeln schränkt genug die welt mich ein.

Tassos übereilung der prinzessin gegenüber ist um so schlimmer, als er trotz des ersten jener beiden verse in politischer hinsicht ganz auf dem beschränkten standpunkte eines vasallentums steht, welches ihn in demjenigen, der ihn zufolge seines eignen ausdrucks ernährt, nach einer analogie mit dem älteren mittelalterlichen lehnsverhältnisse sein unbedingtes oberhaupt erkennen läszt. einige über den herzog gesprochene übereilte worte werden denn auch sogleich in voller unterwürfigkeit zurückgenommen. der anschlusz an den geschäftskundigen Antonio allein, der sich jetzt als liebenswürdig und vorurteilsfrei zeigt, kann uns zuletzt über Tassos zukunft beruhigen.

So glaube ich Kerns auffassung der charaktere, nachdem ich auch Goethes drama wieder gelesen, frei reproducieren zu dürfen. auch darin stimme ich, jedoch nur in einem gewissen sinne, mit Kern überein, dasz es an handlung in Goethes Tasso gar nicht fehlt. aber natürlich folgt die handlung genau aus den charakteren und diese sind so temperiert, dasz auch die handlung etwas gedämpftes behält. das duell ist ja da, aber es kommt doch nicht zur ausführung, und der verzweifelnde dichter rettet sich notdürftig durch den weltklugen Antonio. die ingredienzien zu einem an handlung noch viel reicheren stücke sind ja in Goethes Tasso wohl vorhanden. wäre Antonio wirklich ein intriguant, wären Tassos damen so leidenschaftlich als er selbst, so müste das blut in strömen flieszen.

Es wird wohl niemand von uns einen so abgefaszten Goetheschen Tasso wünschen. aber im allgemeinen ist es doch unverkennbar, dasz Goethes dichterische anlagen denen der alten griechischen dramatiker, oder denen Shakespeares nicht nachstanden, dasz er

aber immer im persönlichen verharrt und zu keinen gleich künstlerisch gestalteten schöpfungen wie jene gelangte. so erreichte er das höchste in der lyrik, aber selbst in seinen gedichten ist manches so persönlich, dasz man sich hie und da einmal dadurch befremdet fühlen kann. aus Kerns büchlein ersehe ich, dasz Goethe erklärt hat: Tassos und Iphigenien hätte er noch viele schreiben können, wenn das publicum sie nicht (anfänglich) so hingenommen hätte, als ob sie nichts wären. wirklich scheint mir der Tasso ein so einfaches bild seines hoflebens zu sein, dasz ich an der richtigkeit dieser Goetheschen worte in bezug auf Tasso nicht zweifle. es konnte aber Goethe nicht einfallen aus seinem leben so zu sagen eine mordgeschichte zu machen. der vergleich zwischen Ferrara und Weimar lag zu nahe als dasz er die charaktere anders denn in der von Kern bezeichneten weise und das hofleben selbst anders als sehr idealisiert schildern konnte. allerdings sagt Alphons:

So mag der schwarm dann kommen, dasz es lustig
in unsern gärten werde, dasz auch mir,
wie billig, eine schönheit in dem kühlen
wie ich sie suche gern begegnen mag.

Allein nur die gräfin antwortet: 'wir wollen freundlich durch die finger sehen.' wenn Alphons dann noch einmal sagt: 'dagegen wiszt ihr, dasz ich schonen kann', so meint er damit nur den geistigen verkehr der damen, insbesondere der prinzessin, seiner schwester, den er sich gerade zu seinem eignen treiben in einem gegensatze denkt.

Wenn Kern sagt, es habe für ihn gar keine bedeutung, dasz Goethe bei der Iphigenie frau von Stein vor augen gehabt haben solle, so hat er sehr recht. aber beim Tasso liegt die sache doch etwas anders, und ich glaube auch, dasz Kern dies nach abfassung der arbeit über Tasso, die fast ganz so gedruckt ist wie sie früher in diesen jahrbüchern erschien, später selbst empfunden hat. wenn mich mein gedächtnis nicht täuscht, so hat er nemlich sogar in der später geschriebenen schrift 'zur methodik des deutschen unterrichts' gesagt, dasz Goethe sich nicht blosz in einem teile des Tasso, sondern auch in einem teile des Antonio geschildert hätte. wäre es nötig gewesen, die abhandlung umzuarbeiten, so hätte Kern doch wohl jetzt erwähnt, dasz Lenz am hofe zu Weimar eine albernheit begangen hatte, die der thorheit, welche Tasso zuletzt begeht, sehr ähnlich gewesen sein musz. doch diese geschichte beweist eben, dasz die erläuterung deutscher dichtungen in der schule nur nach ästhetischen, philosophischen und welthistorischen gesichtspunkten geschehen, auf das leben des dichters aber in gewisser beziehung gar keine rücksicht nehmen darf. HEINRICH PRÖHLE,

BERLIN.

10. PERSONALNOTIZEN.

Ernennungen, beförderungen, versetzungen, auszeichnungen. Büsgen, dr., oberlehrer am gymn. in Wiesbaden, zum director des gymn. in Rinteln ernannt.

Contzen, dr., oberlehrer am städt. realgymn. in Cöln, zum director des gymn. in Essen ernannt.

Friedersdorff, dr., director des gymn. zu Allenstein, zum director des gymn. in Tilsit ernannt.

Gandtner, dr., geh. oberregierungsrat in Berlin, zum curator der univ. Bonn ernannt.

Gemoll, dr., rector des realprogymn. in Striegau, zum director des gymn. in Creuzburg ernannt.

Goldschmidt, dr., oberlehrer am Friedrichs-` erhielten das prädicat

gymn. zu Berlin,

Hetzer, oberlehrer am realgymn. zu Hagen,

'professor'.

Hölscher, dr. prof. emer. in Münster, erhielt den k. pr. roten adlerorden IV cl.

Lücking, dr., oberlehrer an der Luisenstädt.

oberrealschule zu Berlin,

Lüttje, dr., oberlehrer am gymn. zu Charlotten

erhielten das prädicat

burg,

'professor'.

Marburg, dr., oberlehrer am realgymn, zu

Stettin,

Marthe, dr., oberlehrer am Dorotheenstädt. realgymn, zu Berlin,

Müller, dr. Rich., oberlehrer am kön. gymn. in Dresden, als prof. der mathem. an das polytechnicum in Braunschweig berufen. Pallmann, dr., oberlehrer an der Luisenstädt.

oberrealschule zu Berlin,

Paul, dr., oberlehrer am gymn. zu Kiel,

erhielten das prädicat

'professor'.

Richter, dr., prof. am gymn. Carolinum in Osnabrück, zum director desselben ernannt.

Schütze, dr., prof. am kön. gymn. in Dresden, zum restor des realgymn. in Zittau ernannt.

Schütz, oberlehrer am gymn, zu Burgsteinfurt, Szelinski, dr., oberlehrer am gymn. zu Straszburg i. E.,

erhielten das prädicat

'professor'.

Vockeradt, dr., oberlehrer am gymn. zu Münster, zum director des gymn. in Recklinghausen ernannt.

Wellmann, dr., oberlehrer am kön. gymn. zu

Berlin,

Werther, dr., oberlehrer an der latein, haupt

schule zu Halle,

In ruhestand getreten:

erhielten das prädicat

'professor'.

Bredow, dr., prorector am gymn, zu Treptow) und erhielten dieselben den

a. d. R.,

Dumas, dr., prof. am gymn. znm grauen

kloster in Berlin,

k. pr. roten adlerorden

IV cl.

Kambly, dr. prof., prorector am Elisabethgymn. zu Breslau, und er-
hielt derselbe den k. pr. kronenorden III cl.
Meister, prof. am gymn. zu Hadamar,
Peters, conrector am gymn. Carolinum zu
Osnabrück,

Schürmann, dr., dir. des gymn. zu Kempen,

und erhielten dieselben den
k. pr.
roten adlerorden
IV el.

ZWEITE ABTEILUNG

FÜR GYMNASIALPÄDAGOGIK UND DIE ÜBRIGEN

LEHRFÄCHER

MIT AUSSCHLUSZ DER CLASSISCHEN PHILOLOGIE

HERAUSGEGEBEN VON PROF. DR. HERMANN MASIUS.

11.

WIE IST DEN IMMER WIEDER ERHOBENEN KLAGEN ÜBER ÜBERBÜRDUNG DER SCHÜLER SEITENS DER

SCHULE ZU BEGEGNEN?

"Es gibt kein constantes masz, wonach die grenze zwischen überbürdung und zulässiger belastung bestimmt werden kann.' gutachten d. k. pr. wiss. deputation f. d. medicinalwesen.

'Auch aus einer etwas spätern zeit wissen wir selbst uns sicher noch dankbar eines und des andern lehrers zu erinnern, welcher mit ganz anderm maszstabe als seine umgebung gemessen sein wollte. denn der mehrzahl der damaligen lehrer gieng der innere beruf für das lehramt ab, wie viele fanden sich unter ihnen von unzulänglicher wissenschaftlicher bildung und empfindlichem mangel an unterrichtsgeschick geschweige an bewuster methode! ja auch von sehr seltsamen erscheinungen und selbst von sittlich unwürdigen wissen nicht wenige unserer schulen zu erzählen. dies hat sich allmählich und zwar in wachsendem verhältnis gebessert: eine angemessen und nach den fächern gegliederte wissenschaftliche bildung, welche sich den fortschritten der fachwissenschaft anzuschlieszen hat, wird nicht nur gesetzlich gefordert, sondern auch als selbstverständlich und als ehrensache betrachtet. das lehramt bildet die lebensaufgabe. das bewustsein des lehrerberufs und das selbstbewustsein des lehrers ist soweit durchgedrungen, dasz der mangel desselben als seltene ausnahme gelten darf; die idealität der wahren lehrer ist nicht stärker als früher, aber sie ist weit verbreiteter, das pflichtgefühl ist schärfer und fruchtbarer geworden.'

Mit diesen worten constatiert Schrader (verf. d. h. schulen s. 152) den fortschritt, den das höhere unterrichtswesen in erfreulichstem N. jahrb. f. phil. u. päd. II. abt. 1885 hft. 2.

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