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masze in den letzten decennien gemacht hat. von dem freudigen schaffen der lehrer, von ihrer steten fortentwicklung geben die fachzeitschriften, die programmarbeiten, die berichte der schüler ein deutliches bild, an dem sich jeder erfreuen musz, der für die fortentwicklung der menschheit gerade auf diesem gebiete herz und sinn hat. die zahl der höheren unterrichtsanstalten hat sich in hohem masze vermehrt, stattliche gebäude sind vielfach an stelle alter unzulänglicher aufenthaltsräume für lehrer und schüler getreten, eine grosze menge derselben tritt ausgerüstet mit berechtigungszeugnissen und reifezeugnissen in das leben; - vieles bleibt noch zu wünschen, denn wann hört der mensch zu wünschen auf? aber besser ist es geworden, wer wollte das leugnen?

Nun ja, gewisse fortschritte erkennt man wohl überall an. aber zufrieden ist man darum doch nicht mit den schulmeistern. sie geben jetzt zwar der abfälligen kritik des publicums in ihrem auftreten innerhalb und auszerhalb der schule weniger blöszen und willkommene angriffspunkte, die schüler müssen überall gleichmäszig arbeiten, aber die pädagogische kunst läszt sehr viel zu wünschen übrig, die knaben haben jetzt so viel zu arbeiten, dasz sie ihrer last erliegen, die arbeitsbürde, die ihnen der unverständige lehrer aufbürdet, wird immer gröszer, er gefährdet gesundheit und leben unserer kinder; wenn sie nicht gleich erliegen, verfallen sie körperlichem und geistigem siechtum, werden unfähig, ihre pflichten als dereinstige staatsbürger zu erfüllen.

Dies sind stimmen, wie sie seit einigen jahren in versammlungen, in landtagssitzungen ertönten, von der presse, namentlich der liberalen, begierig aufgefangen, verstärkt und verbreitet wurden und die gebildete bevölkerung mit mistrauen und antipathie gegen unsere mit recht gerühmten höheren bildungsanstalten zu erfüllen begannen. eine broschürenlitteratur begann sich aufzuhäufen über 'die überbürdung unserer schüler', eine neue 'frage' war fertig. ἔρδοι τις ἣν ἕκαστος εἰδείη τέχνην. dies alte proverb mag seine richtigkeit haben, aber über die kunst der schule kann Hinz und Kunz mitreden. warum denn auch nicht? jeder dieser scribenten ist ja einmal durch die hände dieser vielgescholtenen gegangen, die an ihm gearbeitet, vielleicht fruchtlos, die ihn geärgert, seine schwächen erkannten, aufdeckten und in strenge zucht nahmen. jetzt ist er ihnen über, er weisz ja, wie schlecht sie es verstanden haben, mit ihm umzugehen, er weisz, wie sie es machten, wie sie es schlecht machten, die pauker der toten sprachen, die er statt des englischen und italienischen tractieren muste, also ist er zur entscheidung jeder 'frage' auf diesem gebiete competent. indessen irrtum pflegt mit wahrheit gemischt zu sein. es ist wohlgethan, dasz unsere unterrichtsverwaltung die untersuchung dieser frage mit energie und stetigkeit in die hand genommen hat, um die wolken des irrtums und der übertreibung zu zerstören, die wahrheit zu constatieren und womöglich abhilfe eintreten zu lassen. was das hohe ministerium

des unterrichts hierin ermittelt hat, finden wir verzeichnet im märzaprilheft 1884 seines centralblattes. es wird vorausgesetzt, dasz jeder fachmann die belehrende und tröstende 'dénkschrift' (s. 202-222) und das 'gutachten der k. medicinaldeputation' gelesen hat. wenn nun eine wiederholte erörterung dieser frage in den lehrerkreisen selbst gewünscht wird, so werden die referenten jedenfalls verpflichtet sein, auf diesen boden sich zu stützen und aus ihren erfahrungen heraus teils bestätigend teils ergänzend zur lösung derselben ihr scherflein beizutragen. warum ertönten die überbürdungsklagen früher weder so zahlreich noch so stark? wir wissen es, und gebildete, umsichtige eltern, mit denen referent häufig über diesen punkt gesprochen, bestätigen es, dasz, wenn überhaupt, früher viel eher von einer überbürdung hätte die rede sein können. die lehrbücher waren meist auszerordentlich umfangreich, der lehrstoff wurde wenig gesichtet und den bedürfnissen der einzelnen classenstufen nach auffassungsvermögen und gleichartigen beziehungen angepasst, seite für seite wurde ohne vorausgehende erläuterungen zum auswendiglernen aufgegeben, schriftliche häusliche arbeiten häuften sich, mechanische strafarbeiten fesselten den delinquenten stundenlang an den arbeitstisch, lateinische aufsatzthemata wie litterarum radices amarae, fructus laetiores, wurden dem in die prima eingetretenen neuling ohne jeden zusammenhang mit dem unterricht, ohne jede erläuterung zur bearbeitung bestimmt, weltgeschichte wurde aus voluminösen compendien gelernt, eine unzahl römischer leges sollte dem wortlaut nach gewust werden, französische, türkische, russische geschichte muste ebenso wie die deutsche tractiert werden. jetzt haben wir die gesichtetsten, kürzesten lehrbücher, in der gruppierung und sichtung des lehrstoffes wird mit peinlichster gewissenhaftigkeit vorgegangen, jeder classe das denkbar kleinste pensum zurechtgeschnitten, die häuslichen arbeiten werden auf das kleinste masz beschränkt, straf- und ferienarbeiten sind verpönt, die schriftlichen und alle andern häuslichen arbeiten werden in der classe sorgfältig vorbereitet, der geschichtsunterricht beschränkt sich auf die griechisch römische und vaterländische geschichte, und früher keine überbürdungsfrage, und jetzt vorwürfe über vorwürfe betreffs der belastung der schüler. was soll die schule dem gegenüber thun? offenbar das publicum über die wahre sachlage durch wort und schrift aufklären. denn αἰσχρὸν σιωπάν, βαρβάρους δ ̓ ἐᾶν λέγειν. die presse ist eine macht, die nicht nur von den unberufenen benutzt werden darf, indem die berufenen sich in vornehmes schweigen hüllen. die unberufenen haben in der erregung der antipathien gegen das bestehende gymnasialwesen um so leichteres feld, als, wunderbar genug, über die inneren verhältnisse desselben, stellung, berechtigungen der lehrer, verfassung, ziele und methoden des unterrichtswesens selbst unter den gebildeten, welche durch unsere anstalten als schüler gegangen sind, oft genug die verkehrtesten und wunderbarsten vorstellungen herschen.

in groszen städten sind von hervorragenden schulmännern belehrende, berichtigende und beschwichtigende vorträge über die überbürdungsfrage gehalten worden, auf diesem wege ist fortzuschreiten. im abgeordnetenhause, wo oft und leidenschaftlich die übertriebensten klagen erschallen, wäre ebenfalls die staatsregierung durch tüchtige fachmänner in ihren belehrungen zu unterstützen. wichtiger noch ist der verkehr mit dem elternhaus. sehr treffend ist das wort dés oberpräsidenten, welcher darauf aufmerksam macht, dasz der ruf der überbürdung vorzüglich in den sogenannten bessern kreisen der gesellschaft und viel weniger in den familien laut werde, wo die ernste ausdauernde arbeit und das mit schweisz verbundene ringen nach einem festen ziele als ein anerkanntes und gern getragenes lebensgesetz gilt. mit den vertretern solcher familien sich in verbindung zu setzen, sie zu unterrichten über ziele und methoden der gymnasien, ihre irrtümer zu zerstreuen, ihre berechtigten klagen und wünsche entgegenzunehmen, scheint durchaus ratsam, ja heutzutage unerläszlich. wohl wird man nicht überall freundliches entgegenkommen und williges ohr finden, allein es gibt vernünftige eltern genug, die gern sich belehren lassen und belehren. denn auch von ihnen hat der lehrer für die behandlung ihrer kinder zu lernen. sie kennen den charakter, die sitten und gewohnheiten, die körperlichen und geistigen anlagen ihrer kinder in vieler beziehung besser als der lehrer, vor dem jabr aus, jahr ein viele jugendliche seelen vorüberziehen, die alle gleiches interesse heischen und doch nicht immer in genügendem masze finden können. freilich ist die beurteilung des eignen kindes keine unparteiische, eine erfahrung, die man selbst an lehrern bei der beurteilung der eignen kinder machen kann. der lehrer erfährt von aufrichtigen und wahrheitsliebenden eltern am besten, ob eine überbürdung eines schülers stattfindet. referent kann allerdings aus seinen unterhaltungen mit vernünftigen eltern nur hervorheben, dasz klagen über arbeitshäufung selten oder nie an ihn herangetreten sind, wohl aber haben ihm eltern oft betont, dasz sie selbst einst auf der schule viel mehr arbeiten und leisten musten. namentlich betonten sie immer den unterschied in der methode, die alte strengte die kräfte der schüler weit mehr an, die jetzige bereitet alles im unterricht vor und reduciert die eigne thätigkeit des schülers in der häuslichen arbeit auf ein minimum. und in der that liegt in der an uns gestellten forderung, den schwerpunkt der arbeit in die unterrichtsstunden zu verlegen, dem schüler sit venia verbo was er beiszen soll erst vorzukauen, für die bildung der guten köpfe eine grosze gefahr. dadurch, dasz die zahl der schüler und die höheren lehranstalten sich rapid vermehrt haben, dasz eine grosze anzahl von schülern in die gymnasien gebracht wird, welche sich ihren anlagen nach mit einer tüchtigen elementarbildung begnügen müsten, werden die lehrer gezwungen, ihre beste kraft einer vielfach unfruchtbaren arbeit zu opfern, immer mehr nimmt die mittelmäszigkeit überhand und die förderung der tüchtigen köpfe wird

zurückgestellt. die alten gelehrtenschulen kommen in gefahr sich in elementarschulen zu verwandeln. daher der ruf nach methode und wieder nach methode und die klagen über überbürdung. die anstalten, welche in der glücklichen lage sind, ihren alten charakter als gelehrtenschulen festhalten zu können, haben nur tüchtige, echt wissenschaftliche lehrer nötig, die durch die fülle ihres wissens, durch den reichtum ihres geistes das feuer der begeisterung und der nacheiferung in den gemütern ihrer schüler entzünden. die fülle der anstalten in orten, in welchen der geistige gesichtskreis ein recht beschränkter ist, deren bewohner ihre höheren lehranstalten nur als mittel ansehen, um ihre söhne mit zeugnissen auszustatten, die ihnen ein versorgungspöstchen mit pension und witwenversorgung sichern, drückt auch den standpunkt des lehrers herunter und zwingt ihn aus der wissenschaftlichen höhe, welche ihm die universitätsbildung gegeben, herabzusteigen und elementarlehrer zu werden, darum genügte früher die rein wissenschaftliche vorbildung der gymnasiallehrer für ihren beruf, sie genügt nach der jetzigen sachlage nicht mehr, eine sorgfältige methodisch-didaktische vorbildung ist jetzt fast wichtiger. das ist aber kein wünschenswerter, sondern ein notzustand. überbürdet sind immer und werden es bleiben die unfähigen und mittelmäszigen geister. darum ist es pflicht der schule diese lasten abzunehmen den schülern und den lehrern und den nicht überbürdeten und ausreichend und gut veranlagten köpfen luft und licht zu schaffen. also musz bei der aufnahme der schüler grosze strenge walten. schlüpft bei der aufnahmeprüfung ein unbegabter, unfähiger schüler durch, so ist er und die eltern, sobald sich seine überbürdung im laufe des schuljahres herausstellt, zum aufgeben der fruchtlosen arbeit zu veranlassen und von dem recht der entfernung nach zweimal vergebens vorgenommener durcharbeitung des classenpensums im interesse des schülers, der anstalt, der gesellschaft unnachsichtig gebrauch zu machen. voraussetzung ist dabei eine strenge versetzung, welche jeden auch nur in einem hauptgegenstande unfähigen schüler von der promotion ausschlieszt. der unreif versetzte schüler ist selbstverständlich überbürdet, aber auch der unbegabte fleiszige schüler, welcher nach zweimaliger durchnahme des classenpensums scheinbar reif geworden ist. den ansprüchen der nächst höheren classe ist er nicht gewachsen, er müht sich vergebens mit schwächung und aufopferung seiner kräfte. durch sorgfältige, unausgesetzte arbeit der lehrer gelingt es, solch einen schüler durch die classen in die höhe zu schrauben, er macht, oft⚫ schon recht bejahrt, endlich sein abiturientenexamen und vermehrt das immer bedenklicher wuchernde proletariat auf unsern hochschulen. die akademischen lehrer klagen viel über abnahme des wissenschaftlichen sinnes und der leistungskraft. die masse der studierenden nimmt angsterregend überhand*, die leistungsfähig

universitäten, die vor zehn jahren kaum 400 studierende zählten, überschreiten bereits die frequenzzahl 1000! so z. b. Marburg, Freiburg.

keit steht in keinem verhältnis damit. die kleinen anstalten in kleinen städten mühen sich ab, die ihnen anvertrauten schüler zu fördern; unter schwerer arbeit von beiden seiten gelingt endlich die erreichung des ersehnten zieles. die universität hat an solchen besuchern keine freunde, sie waren überbürdet und sind überbürdet, sie haben keine kraft und keine lust zum krafterfordernden wissenschaftlichen arbeiten. und dabei erfordert die überfüllung in den wissenschaftlichen berufsarten eine scharfe auswahl, damit das mittelmasz und die unfähigkeit die guten kräfte nicht überwuchert. überbürdung tritt auf der schule auch dort ein, wenn zwar die geistigen kräfte den gymnasialstudien gewachsen sind, die körperlichen aber dieselben als eine last empfinden. es wird nichts übrig bleiben als derartigen schwächlingen, wenn die mittel zur kräftigung nicht anschlagen oder nicht vorhanden sind, den betrieb jener studien zu widerraten und sie auf beschäftigungen und berufsarten hinzuweisen, welche ihren körperverhältnissen günstiger sind. kommen derartige junge leute endlich doch zu den hochschulen, dann weist man auf diese jammergestalten hin als auf redende 'beweise von der überbürdung' der gymnasien. gewis greift das ansetzen der kräfte beim geistigen arbeiten an; das ist aber gar nicht zu vermeiden. die alten haben vor diesen arbeiten sich nicht so gefürchtet. ihre xpucâ eπη sprechen überall die erkenntnis aus, dasz nichts groszes ohne grosze arbeit gelingt. wir kommen, wie es scheint, immer mehr in die gefahr, einem weichlichen humanismus zu verfallen, der jede feste berührung, jede strenge zucht fürchtet. der satz, den Goethe seinem lebensbericht vorangestellt hat, δ μὴ δαρεὶς ἄνθρωπος οὐ παιδεύεται, darf er bei uns noch in die praxis übertragen werden? diese weichlichkeit, mit der jetzt unsere jugend behandelt wird, die mit entsetzen vor jedem kräftigen wort, von strengeren strafen zu schweigen, zurückbebt, könnte wirklich einmal, um uns scherzhaft auszudrücken, dahin führen, dasz man vor einer gesunden prügelstrafe. unter annahme mildernder umstände den delinquenten chloroformiert. wir waren ein abgehärtetes geschlecht und haben, was sehr nötig war, tüchtig prügel bekommen, von überbürdung haben wir nicht geredet. heute soll der lehrer ohne kräftige zuchtmittel nur durch seine persönlichkeit wirken, der schüler wird mit sanftmut und milde behandelt, er verweichlicht unter dieser behandlung und schreit bei jeder belastung über überlastung. eine rückkehr zu der strengeren zucht früherer tage wird dem schüler das bewustsein stärken und befestigen, dasz das leben köstlich ist, wenn es arbeit ist. das bewustsein von der notwendigkeit der arbeit in der schule musz lebendiger werden, dann werden die überbürdungskläger mehr und mehr verstummen.

Freilich sind die körperlichen schwächlinge nicht unter allen umständen von den gymnasialstudien zurückzuweisen; sobald aussicht vorhanden ist, dasz ihre sanitären verhältnisse sich bessern, ihr körper sich kräftigen kann durch einrichtungen und mittel, welche

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