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hat, aher noch lange nicht abgeschlossen ist, die Statistik der verschiedenen an sich möglichen formen eines und desselben verses aufzuklären und festzustellen.

Von den kleineren versen der melischcn système bei Horaz, so weit sie nicht eine bestimmte cäsur haben, scheint man die meinung zu hegen, dasz es bei ihnen gleichgiltig sei, auf welche weise sie sich aus den einzelnen werten zusammensetzen, d. h. wo in die metrische reihe ein wo riendo einschneidet, jede mögliche form scheint man auch für zulässig zu hallen: wenigstens erinnere ich mich nicht irgend etwas erhebliches über diesen gegenständ gelesen zu haben, dasz diese meinung, wenn sie besteht, irrig ist, mögen einige kleine beispiele beweisen.

Ich wähle den Alcaicus enneasyllabus und decasyllabus, die schluszversc der Alcäischen strophe, angenommen ein dichter hätte in einem frühlingsgedicht folgende zwei verse gebildet: nam veré florent cuneta, turgent veré liquata fluenta rivi, so würde trotz der metrischen richtigkeit der erstere dieser beiden verse mindestens ein höchst seltenes und zweifelhaftes exemplar (Horaz hat drei sehr ähnliche, keinen ganz gleichen), der zweite vollständig unerhört und die Verbindung zweier verse dieser art auch unter der Voraussetzung der zulässigkeit des zweilen unmöglich sein, vielleicht erinnert der zweite an einen (auch von Lucian Müller s. 218 misfällig erwähnten) Horazischen hexameter (epist. 1,9, 4) dignum mente domoque legentis honesta Neronis, oder an jenen von fast gleichem falle {epist. 2, 2, 1) Flore, bono claroque fidelis amice Neroni. jener erstere ist meines wissens der einzige seiner art in der gesamten poésie des Augusteischen zcitallers, vielleicht der lateinischen poésie aller Zeitalter, und ich habe mich stets gewundert ihn in einem der kürzesten zugleich und der feinsten und gefeiltesten Horazischen briefe, in demjenigen zu finden, den er an den Stiefsohn des kaisers Augustus, den spätem kaiser Tiberius gerichtet hat. das unzweifelhaft unschöne des verses liegt in der häufung der amphibrachischen wortformen, die uns Deutschen ziemlich geläufig sind aus Bürgers 'kaiser und abt': 'ich will euch erzählen ein marchen gar schnurrig; es war mal ein kaiser, der kaiser war kurrig; es war auch ein abt' (hier erholt man sich einmal), 'ein gar stattlicher hen ; nur schade, sein schaler war klüger als er.' dieselbe unschöne Wiederholung amphibrachischer wortformen entstellt auch den oben erwähnten decasyllabus (vere liquata fluenta rivi); da aber die Wiederholung nicht eben übermäszig ist, so verdienen nicht hauptsächlich nm ihretwillen die beiden verse tadel. das fehlerhafte wird vielleicht durch seinen gegensatz deutlicher werden, gesetzt ein dichter wollte die anstrengungen der schilfcr ihr boot unter segel zu bringen durch den enneasyllabus schildern: nautae volant, ardent, laborant, so wäre dies ein vers, wie er sich unter den 317 neunsilbigen Alkaikern bei Horaz auch nicht in einziges mal findet, nicht einmal einen solchen wie ingenlium fontem laborum oder et vulturum ritu trementis hat Horaz je gebildet; der ähnlichste, aber doch noch himmelweit von diesen verschiedene ist sors exitura et nos in aeternum exilium usw., und selbst dieser hat, ganz abgesehen von der hypermetrie, sonst schon nicht mehr seinesgleichen, wie nemlich alle die zuletzt genannten verse an dem übermasz der männlichen einschnitte leiden, so war an den zuerst vorgeführten die überfülle der weiblichen wortenden tadelnswerth , die übrigens Horaz in dem zehnsilbigen Alcaicus noch mehr als in dem neunsilbigen vermieden hat. solche wie etwa membra quiete refeeta pandit hat Horaz gar nicht, und aus diesem gründe ist mir auch Meinekes Vermutung (1, 37,24) sollicitare paravit oras für classe cita reparavit oras mehr als zweifelhaft: denn audi für diesen schon um eine weibliche cäsur ¡irmern vers hat Horaz nur ein und zwar ein auch nicht ganz conformes beispiel: m cichorea levesque malvae.

Manigfaltigkeit in der einheil, beruhend auf der harmonie der gegensätze, ist das oberste gesetz der form in den kleinsten und unscheinbarsten wie in den groszen kunstschöpfungen. darum hat der iainbische trimeter bei seinem männlichen schlusz lauter weibliche, der hexameter, der weiblich endet, gros ten teils männliche haupteinschnitle, so dasz sie beide in zwei groszc hälften mit entgegengesetztem anfang und schlusz zerfallen; darum licht der hexameter in seinem ersten teile choriambischanapäslischen, im zweiten daetylisch-trochäischen rhylhmus, und aus demselben gründe herscht im Sapphischen verse die männliche, im elfsilbigen Alcäischen die weibliche cäsur vor. der liebliche Wechsel der männlichen und weiblichen einschnitte macht den vers schön, durch das einseitige überwuchern der einen wird er unschön, am unerträglichsten aber ist die hälftenteilung mit ganz gleichem schlusz. wenn man z. h. bei Vergilius [Aen. 9, 160) in dem verse cura datur Messapo et moenia cingere flammis die partikel et ausliesze, so zerfiele der vers mit Verlust seiner einheil in zwei gleiche teile cura datur Messapo und moenin cingere flammis; und wer in dem jambischen trimeter stets die diäresis nach dem drillen iambus anwendet (die griechischen tragiker nahen ihn ganz vereinzelt so, zu ganz bestimmten zwecken), der macht aus dem schönen vers der tragödie den unerträglichen, steifleinenen Alexandriner.

Doch bleiben wir bei den Alcäischen versen stehen, für den enncasyllabus, der im steigenden rhylhmus beginnt und im fallenden schlieszl, kann man in anwendung des eben erwähnten gcselzes л priori sagen, dasz die schönste form für ihn, einen neunsilbigen vers, die Verbindung von drei dreisilbigen füszen (amphibrachys oder palimhacchius, molossus und bacchius) sein musz {deprome quadrimum Sabina); und in der Üiat hat Horaz nach dieser norm, die sich ebensowol durch die schöne ahwechselung von weiblichen und männlichen einschnitten — man beachte auch dasz der vorangehende elfsilbige Alcaicus stets männlich schlicszl — wie durch ihre edle Symmetrie auszeichnet, wenn man die durch loslösung von präpositionen und conjunclionen entstehenden Spielarten mitrechnet (ceu flamma per laedas vel eurus), unter 317 versen 148. also fast die hälfte gebildet, und vielleicht hätte er sie noch öfter angewendet, wenn nicht auch das schönste, allzu oft wiederholt, ermüdete, ebenso sind in dem zehnsilbigen Alcaicus die beiden formen die schönsten, deren eine mil dem Choriambus beginnend zum anapästen oder dritten päon übergeht (Sardiniae segetes feraces, so 39 verse, conposila repelanlur hora, 73 verse), während die andere auf einen daetylus den Choriambus folgen läszt (flumina constilerint acuto, 34 verse), doch ist in dem decasyllabus eine gröszere manigfaltigkeit schon durch die Verschmelzung zweier verschiedener rhylhracn, des daetylischen und des trocliäischen, bedingt, nur beiläufig sei noch bemerkt, dasz die form, die den vers in seine einzelnen beslandteile auflösen und dadurch seine einheil zerstören würde, also eine form wie oeeidit Hasdrubal inter hosles, gar nicht und selbst die daraus durch die Zusammenfassung der beiden trochäen in einen ditrochäus entstandene erträglichere nur einmal und zwar unter mildernden umständen, nemlich mit elision vorkommt (notninis Hasdrubale ¡nlerempto). d i e Spielart, welche den zehnsilbigen vers in fünf zweisilbige worte zerlegt (dura fugae mala, dura belli), findet sich neunmal.

VII.

Die griechische poésie ist ein naturwüchsiges product ihres bodens, die römische eine acclimalisierte pflanze, und zwar, wie viele anzeichen beweisen, eine mit groszer mühe und arbeit gezogene, die dichtkunst ist von den Römern angelernt, und das mittel, woran sie dieselbe gelernt haben, war der hexameter, von welchem die andern in Latiura eingeführten versarten noch in ganz anderem sinne abhängig sind als bei den Griechen, denn bei diesen scheint die lyrische dichtung von der epischen ziemlich unabhängig gewesen zu sein; und wenn das drama sich mehr an das epos anlehnt und Aeschylos seine dichtungen dankbar und bescheiden nur brocken (тецахп, Alheñaos 8, 347 •) nennt von des Mäoniden reich besetzter lafel, so war sein lehrmeisler Homer der dichter und nicht der vers, von dem hexameter sind die formen der verse in drama und lyrik gleich unabhängig.

Nicht so bei den Römern, da diese an dem hexameter nicht blosz ihren poetischen geschmack bilden, sondern auch ihre silben scharf ausmessen und ihr ohr an den rhythmus gewöhnen lernten, so sind seine normen und formen ihrem gefühl so tief eingeprägt worden, dasz sie dieselben unwillkürlich auch auf die behandlung anderer verse von sehr verschiedener art übertrugen.

Dazu kommt noch eine andere eigentümlichkeit der römischen dichtkunst, die auch als eine folge des lernens anzusehen ist: die beschränkung der formen und die befesligung des technischen gebrauches durch heseitigung der licenzen. ich meine hier nicht die beschränkung der slrophenformen, von welchen die lateinischen dichter nur sehr wenige, und zwar die kürzeren, aus dem griechischen herübernahmen — die noch weniger zahlreichen neu gebildeten sind poetisch nicht sehr werthvoll — sondern ich meine die beschränkung der formen in den herübergenommenen versen selbst, also die spoudeische feststellung der basen in den Asclepiadeischen, Glyconeischen und Pherecrateischen versen, die Verlängerung der mittelzeiligen silben in dem Sapphischen und Alcäischeu verse, die einführung regelmäsziger cäsiiren da wo sie bei den griechischen dichtem fehlen, und andere gleichfalls allgemein bekannte Änderungen, wie sehr die manigfaltigkeit in der versbildung dadurch abgenommen hat, erhellt unter auderm aus der lhatsache, dasz allein in den heute erhaltenen, doch nicht eben sehr zahlreichen fragmenten der Solischen lyriker, wenn ich recht gezahlt habe, gegen 20 formen des Sapphischen hendecasyllabus sich erhalten haben, zu denen in den 615 Sapphischen versen des Horaz auch nicht ein einziges beispiel sich findet.

Beides, die neigung zur beschr3nkung der formen und der einftusz des hexameters, hat auf die geslaltung etlicher der kleineren verse merkwürdig eingewirkt, wovon einige beispiele folgen mögen.

Der Adonius ist bekanntlich identisch mit dem schlusz des hexameters von der bukolischen diuresis ab. gerade dieser teil ist, wie wir oben gesehen haben, bei den Römern anders gebildet als bei den Griechen; und so auch der Adonius. bei Horaz finden sich unter 205 Adonischen versen nur 18, welche von den drei allergewöhnlichsten ausgangsformen des hexameters (terruit urbem, rara iuventus, voltus in hosiem) abweichen, von der Sappho sind uns 22 sichere Adonische verse erhalten, und von diesen 22 haben nur 10, also weniger als die liälfte, diese bei Horaz üblichsten drei formen.

Die drei angegebenen arten der schluszbildung (terruií urbem, rara inventus, voltus in hosten) sind in dem lateinischen hexameter deswegen die gewöhnlichsten, weil in ihm die Übereinstimmung von accent und ictus in den beiden letzten füszen vorherseht, aus diesem gründe hat Horaz auch da, wo er den Sapphicus mit dem Adonius durch hinübergreifen eines wortes aus dem erstem in den letztern enger verbindet, stets dafür gesorgt, dasz diese Übereinstimmung (des accenles und ictus) erhalten blieb, d. h. er hat stets mehr als eine silbe in den Adonius hinübergezogen, so 1, 2, 20 love non probante uxorias amnis; 1, 25, 12 Thracio bacchante mugis sub inlerlunia vento; 2, 16, 8 non gemmis ñeque purpura vénale пес auro, wozu noch 3, 27, 59 kommen würde, wenn dort elidere Collum statt laedere zu lesen ist. ganz im gegenteil hat Sappho, die in 22 Adonien diese engere Verbindung fünfmal anwendet, stets nur eine silbe des letzten wortes von dem Sapphischen verse abgezweigt (cpuuveícac úirciKOÚei), was im lateinischen einen mit dem gewöhnlichen schlusz des hexameters nicht übereinstimmenden Adonius ergeben würde.

Neben den genannten drei häufigsten ausgingen des hexameters gibt es noch einen verhallnismäszig nicht gerade seltenen, nemlich den in welchem die arsis des fünften fuszes aus einem einsilbigen, die thesis desselben aus einem zweisilbigen worte besteht, im ersten buche der geórgica (514 verse) ist dieser ausgaug fünfmal angewendet (29 ac tua nautae; 63. 150. 356 aul fréta ponti; 380). solcher Adonii {te duce Caesar, cum lare fundus) hat Horaz 12, darunter zwei im carmen saeculare: 32 et Iovis aurae, 48 et decus omne, Sappho anszer einem iinsichern (Sc öact' ищдес) nur dann, wenn der Adonius mit dem p Sjjus verbunden ist: cdôépoc bià ц^ссш, Aúbtov KáXov ípTOV, seltenen, im ersten buch der geórgica (80) nur einmal cnlhaltenen hexameterschlusz entsprechen würde: pingui pudeat sola neve. dagegen die von Sappho unter 22 sechsmal gebrauchte form, auf ein einsilbiges (langes) wort ein viersilbiges (ionicus a minore) folgen zu lassen ("Párrq'' ödukñe, oö dióueutrrov) hat Horaz unter 205 Adonien nur ein einziges mal, in dem carmen saeculare, das mit den gedichten des vierten buches auch sonst im versbau von denen der drei ersten erheblich abweicht, und zwar in einem worte, das an der stelle fast nomen proprium ist, seu genitalis. einmal besteht bei Sappho der ganze Adonius aus éinem worte (oivoxoEÜca); ein solcher schlusz ist auch im lateinischen hexameter namentlich in namen nicht ganz unerhört, und so hat auch Horaz vier solche Adonier, dreimal in namen Bellerophontem (4, 11, 28) und mit que Fabriciumque (1, 12, 40), Mercuriusque (1,30, 8); einmal militiaeque (2, 6, 8). ganz vereinsamt endlich steht der keinesweges schöne vers (4, 11, 4) est ederae vis, höchstens mit imbriferum ver (georg. 1, 313) zu vergleichen.

VIII.

Der Pherecrateus hat zwar seinen standort nur in choriambischen systemen, wird aber von Horaz, bei dem die basis stets spondeisch ist, ganz wie die zweite hälfte eines hexameters behandelt (grato Pyrrha sub antro = lamentabile regnum, duri miles Ulixi, iam noa umida caelo). die 35 Pherecrateen, die bei ihm vorkommen, variieren in zehn verschiedenen formen; darunter ist nicht eine, die nicht unverändert und vollkommen passend in jeden wolgebildeten hexameter eingeschoben werden könnte. dies gilt nicht blosz von Persas atque Britannos, nigris aequora ventis, viac durare carinae, cras donaberis haedo, suspendisse potenti, sondern auch von casto Bellerophonti, von fidit, tu nisi ventis, über welchen versschlusz schon gesprochen wurde, und von nigris aut Erymanthi, obwol ein einsilbiges wort vor dem ionicus im schlusz des hexameters, wie in an Meliboei, o Hymenaee, selten ist (in den vier büchern der georgica meines wissens gar nicht). auch nec quisquam citus aeque (nur éinmal) wird durch non puppis tua, Tarchon (Aen. 10, 302) und endlich portum: nonne vides ut (auch nur éinmal) durch furor additus, inde lupi ceu (Aen. 2, 355) gerechtfertigt (vgl. L. Müller de re metr. s. 220 ff. Fröhde im philol. XI s. 539 ff. Crain ebd. Xs. 256 ff.). aber noch zwingender fast als dieser positive beweis ist der negative. ich habe von griechischen Pherecrateen 28 gesammelt (Horaz hat nur sieben mehr), aus Anakreon, den komikern Krates, Pherekrates, Eupolis und endlich aus Kallimachos. darunter sind, ganz abgesehen von den differenzen der basis, sechs formen, die bei Horaz nicht vorkommen, zum teil vielleicht zufällig, die häufigste aber sicherlich, weil sie dem hexametrischen bau widersprach. der molossus nemlich mit dem ionicus aminore verbunden (Tropaivenc TroMuñrac, EüXu Afc étrakoüEv, XEuüvec karáToucuv) findet sich bei Anakreon in 14 versen siebenmal, in den 14 nicht Anakreontischen noch viermal, bei Horaz dagegen auch nicht ein einziges mal. der ionicus nemlich am versschlusse ist im hexameter in griechischen wörtern nicht sehr selten,

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