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ERSTE ABTEILUNG
FÜR CLASSISCHE PHILOLOGIE

HERAUSGEGEBEN VON Alpbed FLECKEISEN.

97.

ZUM VERSTÄNDNIS DES HOMERIDENHYMNOS AUF

HERMES.

I

l'cbcr das Zeitalter des Homerischen hymnos auf Hermes sind wir jetzt, soweit die frage beantwortet werden kann, ziemlich im klaren. G. Hermann hat das gedieht aus metrischen gründen unter die jüngsten produete der epischen poésie gezählt Orph. s. 689'); Voss myth, briefe XVII und XVIII hat sichere merkmale einer vorgerückten zeit entdeckt; die neuesten Untersuchungen haben ergeben, dasz der Sprachschatz den hymnos dem zeitaller der dramatiker nahe rückt.2) die kritik aber hat noch vieles übrig gelassen, was noch zu heilen wäre oder auch nicht geheilt werden kann, es sei mir jedoch hier erlaubt auch diese bei seile zu lassen und mich mit dem eigentümlichen kunstcharak 1er des oft gelobten, oft getadelten und doch nicht immer verstandenen epos zu beschäftigen, ich setze dabei mit Sclmeidewin im philol. III s. 692 ff. voraus, dasz die verse von 507 bis zum schlusz nicht zum ursprünglichen gedieht gehören.

Den grundgedanken hat Ilgen wol richtiger als Baumeister so angegeben: 'dolus Mercurii in acquirendis honoribus' und s. 352—355 seiner ausgäbe besprochen, aber hauptsache ist uus, mit was für motiven der epiker seine personen haudeln läszt, und wie er so den mylhos mit produetiver Selbständigkeit als dichter behandelt, auf ein solches moment hat zuerst Welcker gr. götterlehre II s. 462 ff. aufmerksam gemacht, indem er behauptet, eine ironie durchziehe das ganze gedieht, so dasz Hermes unter dem schein und vorgeben ein beschülzer der herden

1) hierzu noch einiges in A. Koehns quaestiones metricae et gramraaticae de hymnis Homericis (Halle 1865). 2) Gerh. Grève de hymno in Mercurium Homérico (Münster 1867) weist auszer vielen abweichungen vom Homerischen Sprachgebrauch über zwanzig Wörter nach, die erst bei den dramatikern sich finden (§ 6 nnd 14), zählt gegen dreiszig äiraE elpr))néva auf (§ 15) und etwa ein halbes dutzend ganz späte worter, auch einige nur bei prosaikern übliche.

Jahrbücher für class, philol. 1868 hfl. 11. 48

zu sein als das gegenleil, als belrflgcr und Schädiger der menschen dargestellt werde, 'in dem Homerischen hymnos, der durchaus in ironischem oder komischem (wenig verstandenem) ton gehalten ist, besteht der kern darin dasz die inclining der líenle die hauplbestimmung und das listige stehlen die gröste kunst des Hermes sei.' dies lasse sich besonders am schlusz erkennen (denn Welcker betrachtet v. 574—580 als zum gedieht gehörig, nach 506 anzufügen): 'jener aber geht mit allen sterblichen und unsterblichen, hilft zwar wenig (ттешра цед/ oöv óvívnct, statt ein wahrer épioúvioc, vielhelfer, zu sein, wie er v. 3. 28. 145 heiszt), betrügt aber ohne unterschied durch die dunkle nacht hin der sterblichen menschen geschlechter, in diesem unvergleichlichen schlusz wirft der humor die maske ab, der herdenmehrer wird zuletzt nicht mehr begrüszt, sondern der üblichen schluszformel Kai cù uèv оотш Xa'Pe> &\àc Kai Maiáboc uîé geht allein das trügerische voraus, hatte ja doch Hermes seiner mutter, die über seinen ersten diebstahl sehr erschrocken und redlich um ihn besorgt war und ihn schalt, geantwortet, er wolle reich werden, er vermöge der Hauptmann der diebe zu sein, er wolle es noch ganz anders treiben und alle schätze des pythischen tempels stehlen (175), und bei seines vaters haupt dem Apollon (275) und dem Zeus selbst falsch geschworen (384), und Apollon ihm gesagt, das werde sein amt von Zeus sein, herscher der nächtlichen diebe zu heiszen (291).' zweideutige epitheta, als ттоХитропос, CÁfivХоцг]ТГ)С u. a. seien darum in diesem tadelnden sinne zu verstehen.

An dieser krilik fällt erstens auf, dasz Welcker bald von ironie, bald von humor, bald allgemein von komik spricht, ironie hat meistens einen ernsthaften hintergrund, schlieszt einen tadel in sich, während das leichte spiel des humors sich ganz wol mit dem griechischen götterglauben vertrüge. Welcker scheint aber diesen ernst des tadeis in dem gedieht zu finden, wenn er s. 464 vom schlusz (507—573) sagt, dasz er 'in geist und ton mit dem dem Hermes nicht günstigen hymnos übereinstimme', und I s. 334 anin. 3 nennt er den hymnos einen 'salyrischen'. dann ist aber wieder (s. 466) von der 'scherzhaften darstellung' die rede 'die bis auf die stelle wo das kind sich aus dem arm des Apollon los macht und den schlusz sehr gehalten' sei. es verräth dies, wie mir scheint, ein schwanken der beurteilung, worüber man sollte ins klare zu kommen suchen.')

Setzen wir den fall, es solle wirklich der mythos vom rinderraub und der Volksglaube in bezug auf Hermes ironisch dargestellt werden, so uniste sich wenigstens in den hauptmomenten diese ironie deutlich zeigen, wenn vielleicht auch, wie Welcker annimt, in nebensachen hin

8) natürlich denkt Welcker hier nicht an jene höhere ironie oder den weltvcrachtenden humor; dieses gefühl unterscheidet er deutlich von dem hier gemeinten a. o. II s. 72 f. dort, wo er топ dem unterschied der gutter im eultus und bei Homer handelt, charakterisiert er fein das scherzhafte in der dichterischen darstellnng der gutter and wendet darauf das wort ironie an. in diesem uneigentlichen sinne könnte ich es mir auch hier gefallen lassen.

und wieder ein epilheton übungsgemäsz ohne ironischen sinn gestattet wäre, nun sind aber die hauptmomente nach Welcker selbst das mehren der líenle und die diebskunst. diese müsten so in gegensatz treten, dasz das ersten: das ausgesprochene, das letztere das gedachte wäre, jenes schlieszlich als schein, dieses als die wahre wirklichkeil sich erwiese. ironie wäre es also, wenn durch die ganze erzählung Hermes als meiner des herdenreichtums geschildert und gepriesen würde, während er durch seine listen denselben schädigte, der schlusz wüste dann etwa lauten: 'viel nützt er also, denn er hütet die heule und läszl rinder und schale umkommen, er ersinnt listen und bringt dadurch alles in schaden.' indessen, will der dichter die ironie nicht bis zu ende festhalten, sondern hier seine wahre raeinung aufdecken, so kann er auch mit Welcker schlieszen: nctOpct jaèv ouv óvívr|Ct usw., obgleich das kein sonderliches zeichen davon ist Mer dichter sei zu gewis, dasz seine scherzhafte darstcllung nur als solche könne verstanden werden.' es musz aber jedenfalls die ganze erzählung von dem ironischen tone durchdrungen sein, nicht erst der schlusz denselben vermuten lassen, da ohnedies die Zusammengehörigkeit der schluszverse 574—580 mit dem echten hyinnos mindestens unbewiesen und nach meiner ansieht unstatthaft ist.

In der erzählung des hymnos zeigt sich nun folgendes. Hermes haupteigenschaft ist in der that die herdenmehrung: er ist begierig sich herdenreichtum zu verschallen, darum raubt er Apollons rinder, er vollbringt alle geschäfte des birlen mit einsieht und behagen, nimt mit (Venden die geisel aus den hunden Apollons, wird kuhhirt und verheiszt der herde seinen segen (v. 492—495).

Aber dieser auffassung des gottes scheint gerade zu widersprechen, wie Apollon seinen kleinen feind prädiciert als àpxôc mijXrrré'wv, der den besilzcrn einst in die häuser einbrechen und die birlen bestehlen werde, v. 282 ff. fj ce u.ctX' они | ттоХХсдас avTiTopoûvTa Ьощоис eu vmeTÓovTac | ¿vvuxov oùx é'va p.oûvov en' oubeï ершта xaGíccat usw. Ttoxxoùc b' атраиХоис акахпеек uriXoßoTripac | oöpeoc èv ßnccric, óirÓTav îcpetûiv épaiíZujv | ávTtjtc ßouKoXioict ка1 eîpoTtÓkcuc ¿îecctv. wie reimt sich dies mit der fürsorge für die rinder und ihre birlen?

Welcker vereinigt beides so, dasz er annimt, jenes sei nicht ernst, sondern ironisch gemeint, allein das wäre eine schlechte ironie, die so undeutlich den gegensalz des gesagten und des gedachten hervorhebt, denn wer ironisch tadeln will, der musz entweder das schlechte so loben, dasz jedermann die Unwahrheit des lobes erkennt, oder er musz dem tadelnswerthen die guten eigenschaften unterlegen, die es nicht hat.4) es geschieht aber hier weder das eine noch das andere, soll in Apollons oben angeführten worten die wahre meinung des (Hehlers enthalten sein, so würde er durch diesen offen ausgesprochenen tadel die ironie auf

4) vgl. Viecher ästhetik I s. 437 'die ironie ist eine scheinbar lobende, in Wahrheit tadelnde darstelHmg eines in bäszlichkeit verstrickten, verirrten subjeetes' usw.

helien. aber gerade die art wie Apollon den trotz des kleinen feindes aufnimt, und an einein andern orte die antwort des Hermes auf ähnliche vorwürfe der mutter (162—182) beweisen dasz der dichter gar nicht die ihm von Welcker untergelegte absieht des tadeis hat. Apollon lächelt ja, da er Hermes den àpxôc (priXtyreuuv nennt, und mit offenbarem behagen wird die Zuversicht geschildert, womit der ungezogene junge erklärt diebsliauplmaun werden zu wollen, ebenso lacht Zeus nachher laut auf v. 389 îbùjv какоц^Ьеа naîba | eu ка\ етстаи.еЧ'ШС ápveúnevov ájicpl ßoecciv. der dichter, der wol gar nicht darüber nachgedacht hat, dasz der rinderdieb und der herdenbeschützer Hermes als Widerspruch könnten aufgefaszt werden, würde uns auf unsere frage antworten: 'der liebste besitz ist ihm die líenle; wie er für sich die kühe stiehlt, so wird er auch andern zu diesem besitz helfen, geschähe es selbst durch stehlen; so bleibt er in der that èpiouvioc.' allerdings wird er dabei zum gott des gewinnes durch listige dieberei. es wird dies aber hier als etwas so natürliches, lustiges betrachtet, dasz ein tadel dieser eigenschaft gar nicht laut wird.

Wenn somit von ironie keine rede sein kann, so darf doch das humoristische in der auffassung des mythos nicht geleugnet werden. denn eine gottheit, die zugleich den segen des herdenreichturas spendet und doch die denselben gefährdenden diebe beschützt, kann im ernsten sinne des Wortes nicht zugleich gedacht werden, wenn auch Welckcrs erinnerung a. o. II s. 461 ganz triftig ist: 'gegen fremde oder auszer der genossenschaft stehende, gegen die unterdrückende classe, gegen den feind geübt, war das entwenden, vervorteilen, überlisten nichts böses. den Griechen lag die Wahrheit an sich so wenig am herzen, dasz selbst Orestes bei Sophokles sagt, keine rede wobei gewinn sei scheine ihm schlecht (El. 62). der trügliche und diebische Hermes ¡st etwas mehr als das bild einer in der gesellschaft unter andern auch nicht zu übersehenden erscheinung, aus welchem nachteilige folgerungeu zu ziehen masz und gesunder sinn das volk hinlänglich abgehalten hätte: aber er sagte nur zu sehr dem geisle des gewandten, beweglichen, verschlagenen volkes zu.' im ernst genommen ist also auch dies keine gottheit (wenn ihr schon die Samier als dem Hermes Charidotes ein fest feierten, wo zu stehlen erlaubt war, vgl. Welcker a. o.), sondern eine poetische flgur des volksgeisles. so auch im hymnos. wäre religiöser oder moralischer ernst der standpunet des dichters oder lesers, so niüslen stellen wie v. 294 cùv b' ара <ppotccáu.evoc (?) тоте br) кратис 'ApYeimovrric Oîujvôv Tipoérpcev, aeipójuevoc цета x^pcí, | тАгцаоуа уастрос Ipi9ov, атасбаХоУ áYY€\iujTr|V oder v. 130 wo Hermes nach dem opferOeisch lüstern ist, oder 274 und 384, wo er einen meineid schwört, nicht spaszhaft, sondern anstöszig sein, der humor liegt aber gerade in der freien, poetischen art den gott als menschliches wesen, als kecken dieb zu behandeln, ohne dasz dabei der gedanke an die macht des wirklich geglaubten gotles aufkommt; um so weniger da Hermes als unmündiges kind dargestellt und diese Vorstellung consequent gewahrt ist. darin steht der hymnos dem auf Aphrodite (IV) am nächsten, wo auch die göltin einen ganz weltlichen, wenn auch nicht humoristischen Charakter angenommen hat.

Folgen wir Welcker, so müssen wir ein unsicheres schwanken zwischen ernst und komik, zwischen offenem tadel und versteckter ironie annehmen neben allen gleichgültigen epitheta, die mit unterlaufen, es fehlt dann alle einheit der behandlung, und doch spricht der hymnüs gerade durch einen bestimmten eindruck des spaszhaften uns au. wir müssen eben die Ursache dieses eindrucks da suchen wo sie wirklich ist: im rein komischen, das von allem lob oder tadel der Wirklichkeit frei ist, sich auf dem rein poetischen Schauplatz der lebendigen epischen plastik bewegt.

Betrachten wir zuerst die handelnde hauptperson: den kleinen Hermes und seinen Charakter, er ¡st durchaus als kind dargestellt und dies bild durch viel feine zöge genrehaft ausgemalt, so v. 150—153, wo der knabe flink in die windeln schlüpft, behaglich sich einwickelt und das neue eigentum, die schildkrötenleier im versteck hält; so verkriecht er sich v. 237 ff. tief in die windeln und stellt sich schlafend wie ein kind; ja vor Zeus richterstuhl steht er in das leintuch gehüllt da v. 388 vgl. 305, er beruft sich gegen Apollon auf seine kindheit v. 265 ff. und ebenso vor Zeus 376 ff., und Apollon wundert sich über Hermes kunst im spielen, da er doch so klein sei v. 456.

Diese kleine person nun aber handelt nicht nur gleich einer erwachsenen verständig, erfindungsreich, sondern behauptet auch die ansprüche eines vollkommenen gotles zu haben, behauptet ihr göttliches recht auch im lügen und betrügen und will mit ihrem zugestandenen unrecht, der dieberei, zu den ehren und der macht eines Olympiers gelangen.

Das erhabene also, das diesem kleinen gegenübersteht, ist das in der göttergesellschaft geltende recht, die Wahrheit, der anstand. Hermes leugnet dies alles, indem er es ohne gewissensbisse verletzt und dazu doch ein gott und in seinem vollen rechte zu sein behauptet, wir legen ihm aber unter, dasz er sich seiner Unverschämtheit wol bewust sei; dennoch übt er immer von neuem seine un.irt aus. so haben wir den ganzen process des komischen vor uns. es sei erlaubt dies an der hand des gedichlcs noch im einzelnen nachzuweisen.

Gleich beim auffinden der Schildkröte macht sich der humor geltend, das thier wackelt zierlich einher, dem Hermes entgegen, sofort entsteht in diesem der gedanke der nutzbarkeit desselben und das begehren des besitzes. er redet sie an5), indem er witzig x¿Auc in dem doppelten sinne von 'Schildkröte' und Heier' nimt: ХаФе) Ч>Щ\ épóecca, x°P°tтипе, batTÔc éiaípr), | áciracír] rcpoqpaveîca usw. die anrede läszt uns das thier als belebt erscheinen, und so entsteht in uns bei dem loh, das ihr gespendet wird aus dem munde ihres murders, das gefühl, es

6) ich stimme hier durchaus nicht mit Hermann praef. s. XI.VII lind Grève, welche die 'simplicitas' vermissen und von dem humor gar nichts verstanden haben, auf den zuerst Schneidewin im philol. Ill s. 663 aufmerksam machte.

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