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86.

ZU DEN LETZTEN BÜCHERN DER ILIAS.

Lachmann s. 80 seiner betrachtungen erklärt C-X, indem er sie gegen die Patroklie oder gegen die noch edleren teile der Ilias hält, für ärmlich und kühl und beruft sich dabei auf das gänzliche verschwinden der griechischen heroen auszer Achilleus, auf die masse der erscheinungen und wirkungen der götter, auf die vielen mythen und die dürftigkeit der bilder und gleichnisse. dieses allerdings harte urteil Lachmanns hat KAJHoffmann zum gegenstande einer programmabhandlung gemacht (prüfung des von Lachmann über die letzten gesänge der Ilias gefällten urteils, Lüneburg 1850), die dem gewöhnlichen lose der programmabhandlungen verfallen zu sein scheint, da wir auszer einigen anführungen in übersichten der Hom. litteratur sie nirgends berücksichtigt gefunden haben, wie denn überhaupt gerade die letzten teile der Ilias von der gelehrten welt ziemlich stiefmütterlich behandelt worden sind. Köchlys kritik ist nicht so weit vorgeschritten; Düntzer macht nur einige oberflächliche bemerkungen über diese teile; daneben kommt in betracht FRSachse: de carmine Iliadis quod CLachmannus XVI esse voluit (Leipzig 1869), dann die bemerkungen von Bernhardy im grundrisz der griech. litt. und Bergks behandlung dieser teile im ersten bande der gr. litt.gesch.; für den götterkampf in Y auch EKammer: zur Homerischen frage (Königsberg 1870) II. es sei uns erlaubt nach Hoffmann und Düntzer das oben erwähnte urteil Lachmanns näher zu prüfen.

Dem ersten grunde Lachmanns, dasz hier nur Achilleus und immer wieder Achilleus hervortrete, alle anderen heroen verschwinden, sprechen Hoffmann und Düntzer die beweiskraft ab. Hoffmanns einwendungen aber treffen die sache nicht. er geht davon aus, dasz dem ganzen der Ilias die absicht zu grunde liege, den haupthelden der Achaier zu feiern, diese verherlichung aber zuerst negativ, indem in A-P die fruchtlosigkeit der anstrengungen der anderen beroen dargethan werde, dann positiv durch vorführung der gewaltigen thaten des Achilleus in den letzten büchern durchgeführt sei. wir glauben, Lachmann würde dieser meinung mit keiner silbe widersprochen haben: denn sie erweist nur dasz unsere Iliasredactoren nicht unbegabte dichter waren, was wol noch niemand geleugnet hat. aber Lachmann hatte vor seiner oben angeführten bemerkung die früheren teile unserer Ilias als 15 einzellieder erkannt und aufgewiesen; die Ilias war ihm als ein ganzes nicht mehr da, und auch C-X erschienen ihm als ein einzellied. dieses einzellied stellte er, ohne rücksicht darauf ob es, wie es nun einmal vorliegt, in dem uns überlieferten ganzen der Ilias einen richtigen oder falschen platz einnimt, in vergleich zu anderen von ihm als solche erkannten einzelliedern, und diese vergleichung der einzellieder mit einander erweckte in ihm das gefühl, als sei es nicht hinlänglich künstlerisch

alle anderen helden auszer dem einen zurücktreten zu lassen. die Patroklie, das fünfzehnte, das dreizehnte, das zwölfte, das elfte, das sechste, das vierte und dritte lied, auch das zweite und erste zeigten ihm einen andern charakter, ein geringeres hervortreten eines einzelnen helden. und darum urteilte er so wie er geurteilt. hätten wir in unserer Ilias ein gedicht éines dichters, dann hätte es allerdings kaum anders sein können als dasz Achilleus allein gegen ende der dichtung hervortrat; ein lied aber, in dem ein einzelner held so besonders hervortritt, verglichen mit anderen liedern, in welchen ein solches hervortreten einer person nicht bemerkt wird, musz sich kühl und ärmlich ausnehmen. für das einzellied hat weder Hoffmann noch Düntzer das hervortreten des Achilleus gerechtfertigt. doch Hoffmann hebt noch etwas anderes hervor. er meint, wenn auch ein grund für das nichtauftreten der drei verwundeten in ihrer verwundung liege, so hätte der dichter, wenn er richtiges gefühl besasz, die helden, auch wenn sie unverwundet gewesen wären, nicht neben Achilleus dürfen auftreten lassen: denn sie wären dadurch zu handlangern geworden. dasselbe meint wol Düntzer, wenn er sagt dasz es kaum habe anders sein können, als es sei. allein auch in den anderen aristeien, in der des fünften, des elften, des siebzehnten buches, in dem ersten teile der Patroklie, in der μáxn ἐπὶ ταῖς ναυσίν, der aristeia des Aias, kämpfen neben den besonders in den betreffenden liedern gefeierten helden die anderen, grosze wie kleine, und noch nie ist es jemandem eingefallen den Meges, Idomeneus, Meriones, Eurypylos, den Antilochos, Aias, Thoas, die im fünften liede neben Diomedes kämpfen, für dessen handlanger zu erklären. auch Odysseus und Diomedes, die in A nach Agamemnons weggange noch das verderben aufhalten, und Aias, der an Odysseus stelle tritt, dürfen nicht handlanger des Agamemnon heiszen, und wer wird in N den Teukros, Idomeneus, Meriones handlanger des Aias schelten, obschon letzterer das meiste thut? auch in P ist Menelaos nicht der einzige handelnde, ja vielleicht nicht einmal der vornehmste, und doch heiszt das buch Meveλάou àpicтeía. sollte aber Aias, den Menelaos zu hilfe ruft, mit recht dessen handlanger heiszen? treffliche dichter, denen man richtiges gefühl für das notwendige nicht absprechen wird, führen in aristeien einzelner helden. neben den besonders gefeierten andere im kampfe vor. warum hätte das der sänger der 'Axıλλnic nicht auch thun dürfen, ohne befürchten zu müssen, er verkleinere seinen haupthelden? dasz er es nicht gethan, beweist dasz er nicht mehr genug poetisches geschick besasz, die sage, die gewis auch unmittelbar vor der katastrophe nicht den. Achilleus allein, sondern auch andere helden neben ihm nicht als handlanger, aber als wenn auch geringere doch sicher treffliche und wol nennenswerte mitkämpfer kannte, recht zu gestalten. Lachmanns erster grund wäre so gegen Hoffmanns einwendungen sicher gestellt.

Lachmann tadelte weiter die masse von erscheinungen und wir

kungen der götter. dasz hier die scenen nicht in betracht kommen, welche lediglich im bereiche der götterwelt spielen, brauchte Hoffmann gar nicht erst zu bemerken: es versteht sich das ganz von selbst, dasz an die scenen, in denen übrigens wol auch des guten in diesen büchern etwas zu viel geschieht (vgl. C 35 ff. 240 ff. 356 f. 369 ff. Y 4 ff. 113 ff. 291 ff. 284 ff. 330 ff. 282 ff.), hier bei Lachmanns bemerkung nicht zu denken ist. nur von solchen scenen kann die rede sein, wo die götter in menschliche begebenheiten eingreifen. dasz man aber hier das eingreifen der Thetis anders ansehen dürfe als dasjenige anderer götter, können wir nicht durch den hinweis auf der Thetis verhältnis zu Achilleus hinreichend begründet finden. warum lüszt denn der dichter eines andern liedes den Ares nicht zu gunsten seines sohnes Askalaphos eingreifen? wenn das eingreifen der Thetis, weil in der sage liegend und in ihrem verhältnis zu Achilleus begründet, als nicht auffallend bezeichnet wird, so darf man wol fragen: stand nicht Here in einem besondern verhältnis zu den Achaiern und vornehmlich zu Agamemnon, und Athene zu Odysseus, und lagen nicht auch diese verhältnisse in der sage? und doch, wie verhältnismäszig selten greifen diese gottheiten sonst in den gang der handlung ein! Athene in A und B bei äuszerster gefahr, in ▲ auf ausdrücklichen befehl des Zeus, in ^ nur dadurch dasz sie ein donnerähnliches getöse erregen. wenn Hoffmann dann mit unserm liede ein aus г—€ 450 gebildetes stück vergleicht und ihm sich die wage zu gunsten der letzten bücher neigt, so darf wol nach der berechtigung dieser verbindung so disparater stücke gefragt werden. unsere arbeiten über Homer haben erwiesen und widerlegt sind wir noch nicht dasz 16-461 mit ausschlusz groszer interpolationen, ▲ 1-421, dann ▲ 422-E 406, abermals mit ausschlusz umfänglicher interpolationen, je ein echt Homerisches lied bilden, das in vergleich zu einem andern gesetzt werden darf. Hoffmanns vergleichung bleibt willkürlich, und wir dürfen auf sie keine schlüsse bauen, um so weniger als er auch nicht einmal die interpolierten stellen aussondert, noch weniger anerkennt dasz €, weil ein auch von Lachmann als späteren ursprunges anerkanntes lied, nicht mit gemeint sein kann, wenn er von edleren teilen der Ilias redete. was Hoffmann weiter wider Lachmann sagt, gründet sich auf die längst abgethane meinung, wir hätten in unserer Ilias die arbeit éines dichters. nur von diesem standpunct aus kann man davon reden, dasz hier die äuszerste erscheinung desjenigen liege, was früher nur vorbereitet sei, dasz hier sich alle kräfte concentrieren müsten, hier die vermehrte einwirkung der götter nicht blosz natürlich, sondern notwendig sei. uns erscheint dieselbe vielmehr, wie im drama des Euripides, nur herbeigezogen, weil der dichter nicht ohne sie fertig werden konnte. das sechzehnte lied, wie es uns vorliegt, hat ebenso wie das zwanzigste von den Nibelungen eine sonderstellung: es ist gleichsam die brücke von der einfachern volksdichtung zur kunstdichtung, die ältere einzellieder zu gröszeren gan

zen verarbeitet, die jene gröszeren liedergruppen darstellt, die vielleicht zwischen der echten alten volksdichtung und der endlichen zusammenstellung der epopõe liegt. man hat hier und da versucht die alten einzellieder auch aus diesem complex herauszulösen: wir erinnern an AHolm in der Lübecker programmabhandlung von 1853. wie weit dies gelingen kann, werden wir später im laufe unserer weiteren arbeiten zur Homerischen kritik erst auf grund der gesamten einschlägigen litteratur entscheiden können.

Lachmann hob wider die bücher auch die vielen mythen hervor. allerdings hat er diesen grund nicht weiter ausgeführt, aber tadel verdient er darum nicht: er hat eben kein buch über die Ilias geschrieben, sondern resultate seiner forschung zu betrachtungen für mitforscher zusammengestellt. übrigens gibt Hoffmann hier Lachmann halb recht, wenn er sagt, eine reihe von stellen, in denen auffallend viel mythen vorkommen, sei als später entstanden nachweisbar, in den übrigen stücken der bücher zeige sich eine auffallend grosze anzahl von mythen nicht. aber heiszt das eine einwendung widerlegen, wenn man die stellen, auf welche sich dieselbe gründet, wegnimt? Lachmann hat sich bei diesem teile der Ilias auf scheidung des frühern und spätern nicht einlassen mögen, seine bemerkungen beziehen sich auf das ganze jener bücher. die überfülle der vorgebrachten mythen innerhalb des complexes ist einfach anzuerkennen, und wir fragen: läszt dieselbe nicht darauf schlieszen, dasz wir hier die arbeit eines kunstdichters vor uns haben, dem schon das stoffliche interesse von wichtigkeit war, der darauf ausgieng, seinen zuhörern eine fülle von dingen mitzuteilen, die ihnen wenn auch nicht absolut, doch in dieser verbindung neu waren?

Endlich begründete Lachmann sein urteil noch durch hinweisung auf die dürftigkeit der bilder und gleichnisse. Hoffmann spricht hier eingehend über die Homerischen gleichnisse, und gewis dürfen wir nicht leugnen dasz manches von dem was er vorträgt seine volle begründung hat. wir müssen es hier aber auf sich beruhen lassen und uns auf die letzten bücher beschränken. diese enthalten im ganzen 27 gleichnisse. bei seiner beurteilung geht Hoffmann von einem grundsatze aus, der wol wenig beifall finden wird. ihm erscheinen den gleichnissen mit reicher detailausführung gegenüber die kürzeren, solcher ausführung baren als die älteren, classischeren. der Homerischen poesie hat man es stets als besondern ruhm nachgesagt, dasz sie den schmuck durch ausgeführte gleichnisse in besonders treffender weise anzuwenden verstehe; nun musz man mit einem male lesen dasz, je einfacher und kürzer ein gleichnis, um so angemessener es sei. dasz auch das alte, classische epos unter gewissen bedingungen das ausgeführte gleichnis verschmähte, ist gewis, und das erste lied vom zorne thut das dar gleichwie mancher andere gröszere abschnitt, dessen einstige selbständigkeit auszer zweifel steht. aber das erste lied besteht ganz wesentlich aus reden der beteiligten personen, wer möchte da die ausgeführten gleich

nisse vermissen? dagegen die anderen lieder vom zorne haben, je älter sie sind, desto mehr und desto schönere ausgeführte gleichnisse, wozu wir nur an das zweite, dritte, vierte, zehnte erinnern und an unsere dafür beigebrachten nachweisungen. die meisten der gleichnisse dieser lieder umfassen vier und mehr verse. dem thatbestande gegenüber konnte Lachmann wol von einem liede, in welchem von 27 gleichnissen acht sich auf zwei, zehn sich auf drei verse beschränken, von dürftigkeit der gleichnisse reden, wobei er wol sicher nicht verkannte, dasz einige der gleichnisse dieser bücher vielleicht vom dichter dieses liedes aus älteren, besseren liedern entlehnt - zu den vollendetsten gleichnissen der Ilias gehören, also auch der vierte grund beruht wie die drei ersten auf richtiger wahrnehmung, wie sollten wir also das allerdings harte urteil Lachmanns über CX anzugreifen berechtigt sein?

GÜTERSLOH.

HANS KARL BENICKEN.

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87.

ZU THEOGNIS.

Hr. prof. Mähly schlägt jahrb. 1873 s. 96 bei Theognis v. 936 statt des hsl.

πάντες μιν τιμῶσιν· ὁμῶς νέοι οἵ τε κατ ̓ αὐτὸν
χώρης εἴκουσιν, τοί τε παλαιότεροι

zu lesen vor: οἵ τε κατ ̓ αὐτὸν | χώρην οἰκοῦσιν oder χώρῃ ἐνοιKOÛCIV 'und die als seine altersgenossen im lande wohnen'. aber die überlieferte lesart läszt sich nicht nur verteidigen, sondern gibt auch einen guten sinn: 'sie weichen ihm von der stelle, dh. sie machen ihm platz'. xwpn ist der angewiesene platz', wie Hom. 349 ἂψ ἐνὶ χώρῃ ἕζετο und ψ 186 θείῃ ἄλλῃ ἐνὶ χώρῃ. ich erinnere auszerdem an das ganz sinnverwandte eikeiv tηc ódoû bei Herod. II 80, wo es ebenso wie bei Theognis von den jüngeren, die den älteren beim begegnen aus ehrerbietung 'platz machen', heiszt: oi νεώτεροι αὐτέων τοῖςι πρεςβυτέροιςι συντυγχάνοντες εἴκους: τῆς ὁδοῦ, vgl. auch pseudo-Phokylides 220 f. αἰδεῖσθαι πολιοκροτάφους, εἴκειν δὲ γέρουσιν | ἕδρης καὶ γεράων πάντων und Plutarch mor. 58° (amici et adul. discr. 22) eĭkeiv ëdpac kai kλicíαc ÈПIÓντI. und ganz abgesehen davon scheint mir vor allem Mähly dén umstand übersehen zu haben, dasz dieselben verse, die hier bei Theognis stehen, sich fast in derselben fassung bei Tyrtãos fr. 12, 41 f. (Bergk) finden:

πάντες δ ̓ ἐν θώκοιςιν ὁμῶς νέοι οἵ τε κατ ̓ αὐτὸν
εἴκους ̓ ἐκ χώρης οἵ τε παλαιότεροι.

das darauf folgende distichon:

γηράσκων ἀςτοῖσι μεταπρέπει, οὐδέ τις αὐτὸν
βλάπτειν οὔτ ̓ αἰδοῦς οὔτε δίκης ἐθέλει

stimmt sogar wörtlich bei beiden überein.

BELGARD IN POMMERN.

RUDOLF Kühner.

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