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90.

ZU SENECA DE CLEMENTIA.

I 13, 2 non potest habere quisquam bonae ac fidae voluntatis ministros quibus in tormentis et eculeo et ferramentis ad mortem paratis utitur, quibus non aliter quam bestiis homines obiectat, omnibus rerum noxior ac sollicitior, ut qui homines deosque testes ac vindices facinorum timeat. in dieser lesart des Nazarianus ist der genetiv rerum vor noxior nicht zu erklären, auch nicht mit dem zusatz von omnium, das Haase nach omnibus einschiebt. als das einfachste könnte daher erscheinen, wenn man zu dem nahe liegenden und schon von Erasmus vermuteten reis statt rerum zurückkehrte, nur dasz so die verderbnis nicht erklärt wird und ein zweiter anstosz unbeseitigt bleibt, der offenbar in noxior liegt. denn nicht die gröszere oder geringere schuld der angeklagten fällt hier ins gewicht, sondern ihre angst und drangsal, weil sie die rache von göttern und menschen fürchten, und es ergibt sich vielmehr ein adjectivum als notwendig, das zu sollicitus in einem synonymen verhältnis steht. Seneca hat ohne zweifel geschrieben omnibus reis aerumnosior ac sollicitior.

I 19, 3 iracundissimae ac pro corporis captu pugnacissimae sunt apes et aculeos in volnere relinquunt: rex ipse sine aculeo est. noluit illum natura nec saevum esse nec ultionem magno constaturam petere, telumque detraxit et iram eius inermem reliquit. exemplar hoc magnis regibus ingens est. est enim illi mos exercere se in parvis et ingentium rerum documenta minima spargere (so mit Madvig advers. crit. II 427 anstatt der lesart des Naz. minima argere). hier ist zunächst die beziehung von illi auf natura sehr undeutlich, da man den vorhergehenden satz, worin exemplar subject ist, überspringen musz. weiter aber widerspricht ingens bei exemplar durchaus dem folgenden, wo gesagt ist dasz die natur gerade documenta minima, wie hier das beispiel der bienen, für res ingentes, also hier die magni reges, auszustreuen liebe. beide anstösze schwinden, wenn mit leichter veränderung ingens est in ingessit verwandelt wird. vgl. epist. 94, 68 omnia ista exempla, quae oculis atque auribus nostris ingeruntur, retexenda sunt. 101, 6 subinde nobis ingeruntur mortalitatis exempla.

SCHULPFORTE.

HERMANN ADOLF KOCH.

91.

DIE ABFASSUNG VON OVIDIUS FASTEN.)

1) P. OVIDI NASONIS FASTORUM LIBRI SEX. FÜR DIE SCHULE ERKLÄRT VON HERMANN PETER. ERSTE ABTHEILUNG, text und COMMENTAR ENTHALTEND. ZWEITE ABTHEILUNG, KRITISCHE UND EXEGETISCHE AUSFÜHRUNGEN UND ZUSÄTZE ZUM COMMENTAR ENTHALTEND. Leipzig, druck und verlag von B. G. Teubner. 1874. XII u. 276, 64 s. gr. 8.

2) HVGONEM ILBERGIVM... MISNIA DRESDAM MIGRANTEM OPTVMIS OMINIBVS VOTISQVE PROSECVNTVR COLLEGAE AFRANI. INEST HERMANNI PETERI DE P. OVIDII NASONIS FASTORVM LOCIS QUIBVSDAM EPISTVLA CRITICA. Lipsiae in aedibus B. G. Teubneri. MDCCCLXXIIII. 23 s. lex. 8.

Gerade als ich den letzten revisionsbogen des dritten bandes meiner textesrecension des Ovidius durchgesehen hatte, kam mir Peters ausgabe der fasti in die hände, und ich konnte dieselbe daher nicht mehr benutzen.1 es ist nun diese arbeit eine recht verdienstliche, indem sie in übersichtlicher form gehalten und geeignet ist, das verständnis dieser schönen aber an vielen stellen sachlich schwierigen dichtung zu erleichtern. sie ist zunächst für die schule bestimmt, in welcher der hg. (s. V) den fasti den platz zwischen den metamorphosen einerseits und Vergilius und Horatius anderseits zu gewinnen resp. zu wahren wünscht. man kann damit wol einverstanden sein, und die angabe, dasz die schüler denen das gedicht in die hand kommt es 'gern, ja mit vorliebe' lesen, scheint mir durchaus glaublich. nur wird es sich fragen, ob das gymnasium die zeit dafür zu erübrigen weisz, wenigstens so lange es als axiom gilt, dasz die Horazischen oden mit verschwindenden ausnahmen vollständig gelesen werden sollen. für schulen, welche die zeit zu finden wissen, gibt der hg. s. VIII ff. den plan eines längern und eines kürzern auszugs aus den fasti.

Die einleitung enthält zunächst die autobiographie des dichters in form eines abdrucks der elegie trist. IV 10 mit ausführenden commentar: ein glücklicher griff, da solche selbstschilderungen wie zb. die Ciceronische im Brutus mit interesse gelesen zu werden pflegen (zu v. 1 konnte bemerkt werden, dasz ille ego qui nachbildung der Vergilischen verse vor dem anfang der Aeneis ist. zu v. 28 lies 17 statt 27). es folgt dann eine abhandlung über den inhalt und die entstehungszeit der fasti, meist an Merkel sich anschlieszend, nur dasz Peter in betreff des wertes der astronomischen kenntnisse Ovids Ideler statt dem hier zu günstig urteilenden Merkel folgt; über die entstehungszeit der fasti werde ich später genauer sprechen. zu

1 nur zu II 201. 739. III 397. 668 konnte ich danach in der praefatio noch einige kleine änderungen anbringen

Jahrbücher für class. philol. 1874 hft. 8.

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letzt folgt eine ausführliche, für schüler im vorausgesetzten alter jedenfalls zu gelehrte abhandlung über das römische jahr und seine einteilung, die aber dem lehrer und manchem andern sehr willkommen sein wird. der commentar selbst betrifft natürlich meist sachliches und ist in der richtigen ausdehnung gehalten richtig nicht etwa für die oben ins auge gefaszte stufe, für die vieles darin noch kaum verständlich wäre, sondern für diejenigen, an die in der praxis diese lectüre wol am meisten kommen dürfte, an junge studierende und an primaner in ihren privatstudien. er beruht auszer auf den früheren erklärenden ausgaben auf Merkels einleitung zu seiner gröszeren ausgabe und auf den neueren fundamentalwerken der römischen altertümer, chronologie und mythologie, welche letztere mit recht auch oft genauer citiert werden. nicht wenige stellen desselben werden im zweiten hefte genauer begründet. ich glaube das urteil über den commentar so zusammenfassen zu können, dasz er in der regel mit gutem tact, die eben genannten leser vorausgesetzt, zwischen dem zuwenig und zuviel die richtige mitte hält, in selteneren fällen dem letztern extrem sich zuneigt.2 grammatische und lexilogische bemerkungen sind seltener, und anleitungen zum übersetzen (welche aus den schulcommentaren endlich verschwinden sollten, aber leider sich statt dessen wieder mehr und mehr einzubürgern scheinen) sind nicht einmal immer richtig so V 176 comminus 'in der nähe', eine übersetzung die sich hier bei in apros comminus ire nicht verwerten läszt oder unnötig (V 514 audito Iove 'wie er «Juppiter» hört'; so wörtlich ist dies selbstverständlich, ist aber schlechtes deutsch), wie V 134 oculis 'abl. instr.'; IV 323 vitae 'lebenswandel' udgl. solches ist wol unwillkürlich dadurch entstanden, dasz der hg. sich bald eine jüngere, bald (in den sachlichen bemerkungen) eine viel reifere stufe von lesern dachte. IV 309 sollte statt 'den damen seiner zeit' stehen 'den meretrices', denn diesen war die ars amatoria bekanntlich bestimmt.

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Die textkritik ist von der ausgabe selbst grundsätzlich ausgeschlossen und in das zweite heft verwiesen; es liegt jener die Merkelsche textausgabe zu grunde, von welcher nur an etwa 80 stellen abgewichen ist. die auswahl unter den lesarten geschieht überall, auch wo man ihr nicht beistimmen kann, mit verständiger überlegung. P.s ansicht ist die, dasz von den erhaltenen hss. keine der wahren form des gedichtes so nahe kommt, dasz man sie geradezu zu grunde legen dürfe, sondern er empfiehlt ein mehr eklektisches verfahren. hoffentlich wird aus der in meiner ausgabe mitgeteilten collation des Reginensis saec. X hervorgehen, dasz diesem doch der

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2 erwähnen will ich hier, dasz die jetzt begünstigte lesart V 131 arserat illa (ara) Curibus die stelle undeutlich macht, indem Cures nicht Sabini ist (II 480 und III 201 ist ganz andersartig) und man bei wörtlicher auffassung einen altar in Cures erhielte, wogegen wieder v. 129 und 132 spricht. ich bleibe mit cod. Vat. bei voverat illa (signa) Curius, obgleich dieser uns unbekannt ist.

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erste platz gebührt, wenngleich auch er sehr mit vorsicht zu gebrauchen ist. über einzelne stellen will ich mich hier nicht auslassen; es sind deren teils im zweiten hefte, teils in der epistula critica von s. 14 an besprochen, in welcher I 205 f. VI 751 f. VI 43 f. als interpoliert ausgeschieden, nach II 858 eine lücke statuiert, I 245 f. vor 243 transponiert, endlich I 227 (pavidis), II 326 (tela sonora), 638 (sub sua verba), V 21 (advena clausit) und VI 736 (et geminas nexo) emendiert werden. alle diese besprechungen sind umsichtig und verständig angestellt, und doch fürchte ich, die meisten derselben beachten zu wenig den leichten flusz und die elastische biegsamkeit der Ovidischen phantasie, die sich auch in seiner sprache und anordnung äuszert. pavidis I 227 passt zb. weder zu v. 147 noch zu der ungenierten art, in der sich Ov. dann mit dem gotte unterhält (v. 165. 171. 183). V 21 glaube ich dem zusammenhang entsprechender emendiert zu haben. das distichon I 243 f. schlieszt sich causal an 241 f. an, indem es erklärt warum Janus nicht auf dem römischen ufer des Tiberis wohnte usw. sehr zu beachten ist dagegen die verbesserung II 638.

Ich gehe nun zur ausführlicheren besprechung der scharfsinnigen, von Peter s. 11 ff. neu aufgenommenen Merkelschen (s. CCLVI. der gröszern ausgabe) hypothese über, wonach uns buch II-VI in der ersten bearbeitung erhalten seien, die Ov. schon vor seiner verbannung (7 nach Ch.) an Augustus gerichtet habe, während buch I in späterer, gerade vor dem tode des dichters (17 nach Ch.) dem Germanicus gewidmeter überarbeitung überliefert sei. Ov. habe nach seiner verbannung aus entmutigung die noch unvollendeten fasti lange nicht mehr berührt, und erst als Germanicus, der fürstliche dichter, im herbste des j. 16 vom Rhein nach Asien versetzt wurde, sei ihm ein neuer hoffnungsstern aufgegangen, und er habe die umarbeitung an diesen begonnen, die aber sofort durch seinen tod unterbrochen wurde; die herausgabe sei dann gewissenhaft so geschehen, wie Ov. die einzelnen teile seines gedichtes hinterlassen habe. diese ansicht scheint mir nicht stichhaltig, was ich Merkel gegenüber in der praefatio meiner ausgabe bd. III s. VI kurz angedeutet habe und hier genauer ausführen will.

Ihr hauptsächlichster beweis ist nemlich dieser, dasz in buch I nur Germanicus, in II-VI nur 'Caesar', dh. Augustus, angeredet werde. nun ist aber auch IV 81 Germanicus angeredet; und wenn da nur so zu helfen ist, dasz gerade diese éine stelle nebst VI 666 'gelegentlich einmal binzugefügt oder hineincorrigiert' sein soll, so ist dies ein ausweg der an sich nicht eben zur empfehlung von Merkels

8 zu s. VIII anm. 4 möchte ich nur kurz fragen: wie erklärt sich Peter die discrepanz der von mir bd. II s. VIII angeführten stelle des Seneca gegen den Ovidtext der hss.? ein lapsus memoriae ist da unmöglich, das zurückgehen verschiedener lesarten auf Ov. selbst aber das einfachste erklärungsmittel.

hypothese beiträgt. aber die sache ist eindringlicher zu behandeln. wenn im 2n bis 6n buche auszer jener stelle nirgends Germanicus, öfter aber Caesar angeredet ist, so fragt es sich erstens, ob darunter jedesmal Augustus zu verstehen sei, insbesondere aber, ob die anrede irgendwo in einer solchen weise geschehe, dasz daraus auch auf eine widmung des gedichtes an den kaiser geschlossen werden kann? denn mit apostrophen ist Ov. bekanntlich sehr freigebig und zwar nach dem beispiel anderer dichter, wie denn zb. Vergilius in den georgica den Maecenas, dem er sie widmet, am anfange jedes buches (I 2. II 41. III 41. IV 2) anruft, auszerdem aber die götter, den Clitumnus, die agricolae u. v. a. und so auch den Caesar (Augustus: I 25. 503. II 170), den er aber anderseits auch (III 16. 47. 48. IV 560) in dritter person anführt. ganz ebenso verfährt Ovidius: er redet die Musen und alle götter, die stadt Rom, die coloni (1 669), den miles Paelignus und die Hernica terra (III 95. 90), sein versmasz (II 3), abstracta wie den livor, ja I 685 sogar die ameisen an. so braucht denn also auch bei ihm der vocativ Caesar die bedeutung einer widmung an den kaiser keineswegs zu besitzen, und zwar um so weniger als er einerseits auch in anderen, dem kaiser entschieden nicht gewidmeten werken diesen in derselben rhetorischen weise anredet (ars I 203 und trist. IV 2, 47 Caesar, met. I 204 Auguste; vgl. ars I 191 iuvenum princeps), anderseits auch in den fasti oft von dem kaiser in dritter person spricht (II 60. 138. 141. III 157. 419 ff. 710. IV 627. 676. 859. 949. V 568. 588. VI 455. 646. 809). dies letztere wäre entschieden unpassend, wenn dem kaiser das gedicht zugleich dediciert wäre. von den anreden an den kaiser ist nun II 63 templorum positor. . sit superis, opto, mutua cura tui entschieden rein rhetorischer art"; ebenso II 127 sancte pater patriae usw., wo schon die abwechselung in der anrede, bald an Caesar und bald an Romulus, dies deutlich zeigt. II 637, worte der Römer an den kaiser, kommt überhaupt nicht in betracht. unsicher ob an Augustus oder an Germanicus gerichtet, aber jedenfalls auch rhetorisch sind die anreden IV 20 si qua tamen pars te de fastis tangere debet, Caesar, in Aprili, quo tenearis, habes, und VI 763 non ego te, quamvis properabis vincere, Caesar, si vetet auspicium, signa movere velim. eine beziehung auf Germanicus liegt wol in den an Rom gerichteten worten IV 860 sis magno sub Caesare semper; saepe etiam plures nominis huius habe. wichtig ist aber insbesondere noch der prolog des zweiten buches, wo v. 17 f. ergo ades .. pacando si quid ab hoste vacas eigentlich besser auf den im felde (im krieg in Dalmatien 10 nach Ch.?) stehenden Germanicus passt, während bei Augustus wie in trist. II 225 ff. 233 f. (vgl. Hor. epist. II 1 aa.) auch

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4 etwas anderes ist es, wenn auch in dem dem Augustus gewidmeten 2n buch der tristia dieser einige mal (v. 8. 23. 124. 230. 335) in dritter, auszerdem aber funfzig bis sechzig mal in zweiter person bezeichnet wird. 5 auch Peter wird die verse I 645-650, in welchen Tiberius apostrophiert wird, gewis nicht anders deuten können.

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