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bemerkung Welckers, wonach sich die ethische tragödie nicht durch die charakteristik der personen überhaupt von der pathetischen tragödie unterscheiden kann, ist zweifellos richtig; dagegen wird man schwerlich zugeben können, dasz die Odyssee im unterschiede von der Ilias ein ethisches epos sei, weil sie charaktere darstellt, die auf das sittliche gefühl wirken. an einer zweiten stelle desselben werkes (I s. 206 ff.) spricht Welcker von dem Peleus des Sophokles, der zu dem begriffe eines ethischen charakterdramas insbesondere durch den reichtum an gnomen passe, in einer weise die uns bei ihm von dem wesen der ethischen tragödie eine auffassung voraussetzen läszt, welche der oben angeführten ansicht Vischers sehr ähnlich ist. Welcker vermutet nemlich, dasz in den gesprächen der alten dienerin mit Peleus in dem ersten acte der tragödie 'aus dem schatze der alten gnomen eine sinnige und rührende auswahl getroffen war, um alles, was in den glänzenden sagen von Peleus lag, in bezug auf seinen gegenwärtigen zustand bedeutsam zu berühren und dadurch das menschenleben im tiefen abendlichte zu zeigen'. aber so anziehend diese erklärung ohne zweifel ist, und so treffend auch von Vischer der eindruck geschildert wird, den insbesondere die Odyssee auf ein modernes gemüt macht, wir dürfen diese moderne auffassung nicht in den Aristoteles hineintragen; der nachweis, dasz Arist. das wort nokóc in diesem sinne gebraucht habe, ist unmöglich. Susemihl (zu Ar. über die dichtkunst s. 101) nennt die ethische tragödie 'das tragische charaktergemälde', erkennt jedoch ausdrücklich die schwierigkeit an, die dadurch entsteht, dasz die Odyssee der Ilias gegenüber als 'ein charaktergemälde' bezeichnet werde, obwol sie gerade um ihrer strengen einheit der handlung willen noch vor der Ilias belobt werde. ferner steht die Ilias in bezug auf die charakteristik der personen der Odyssee nicht nach; Aristoteles rühmt es vielmehr überhaupt an Homer, dasz er alle seine personen mit ihrem bestimmten charakter vorführe (c. 24 εἰσάγει .. οὐδὲν ἄηθες, áλλ' Ĕxovτa ňen). aus dem umstande, dasz die einfache und die verwickelte tragödie sich durch die modificationen, unter denen der übergang (μETάßacic) erfolgt, unterscheiden, schlieszt endlich Vahlen (ao. s. 51 f.), dasz auch der artunterschied der pathetischen und der ethischen tragödie in der verschiedenheit des überganges begründet sei, und findet das wesen der pathetischen tragödie darin, dasz der übergang durch ein nά0оc dh. eine leidvolle that sich vollziehe, während in der ethischen tragödie der übergang ohne eine solche that sich vollziehe. während nun die pathetische tragödie dadurch einen bewegteren charakter erhalten, habe die ethische tragödie, indem sie der vermittelung jenes Tά0ос entbehrte, einen ruhigeren und gemesseneren gang genommen und sanftere gemütsstimmungen zur darstellung gebracht. als eine folge des ruhigen charakters der ethischen tragödie bezeichnet es Vahlen, wenn dieselbe eine detailliertere feinausführung der charaktere zeige, nur sei es nicht im sinne des Aristoteles, wenn man von der charakteristik aus, die aller tragödie

gemein, die ethische art derselben begreifen wolle. Vahlen verwirft also entschieden die auffassung der ethischen tragödie als eines tragischen charaktergemäldes. gegen seine eigene erklärung des begriffes der ethischen tragödie erhebt Vahlen selbst einen einwand. wenn nemlich in der ethischen tragödie und dem ethischen epos der übergang ohne ein Tά0ос erfolgen soll, so konnte die Odyssee von Aristoteles nicht als ein ethisches epos bezeichnet werden: denn gerade in ihr vollzieht sich die μετάβασις durch ein πάθος, nemlich durch die tötung der freier. mit diesem einwande wird aber ebenso sehr auch die erklärung des begriffes der pathetischen tragödie und des pathetischen epos zweifelhaft; wenn eben die Odyssee, deren μeтáẞacic unter einem Tά0ос erfolgt, nicht als ein pathetisches epos bezeichnet worden ist, so kann eine derartige μeтáßacic nicht das specifische kennzeichen des pathetischen epos sein, wofern das pathetische und das ethische epos coordinierte arten sein sollen.

Resigniert schreibt Reinkens (Ar. über kunst, besonders über tragödie [Wien 1870] s. 319): 'wir wissen nicht, was Aristoteles unter pathetischer und ethischer tragödie sich gedacht; am fernsten liegt das verständnis der letzteren.' danach könnte ein versuch den Aristotelischen begriff der ethischen tragödie zu erklären von vorn herein vergeblich scheinen, wenn nicht der umstand noch einige hoffnung gewährte, dasz gerade die bedeutung der begriffe, auf die es offenbar doch zunächst ankommt, bisher zu wenig berücksichtigt worden ist, nemlich die bedeutung von neukóc und лαoητikóс in ihrer gegenüberstellung. die wichtigste stelle, welche vor allem in betracht zu ziehen ist, ist die gegenüberstellung der ǹiêǹ und πaðηtiêǹ λéžic in der rhetorik III 12, weil aus dieser stelle sich ergibt, dasz die begriffe noiкóс und яаeητiкóс in dem gegensatze der ethischen und pathetischen tragödie nicht in einem andern sinne zu verstehen sind als in dem gegensatze der ἠθικὴ und der παθητικὴ λέξις. die stelle lautet: ἔτι δὲ λέξις γραφικὴ μὲν ἡ ἀκριβεστάτη, ἀγωνιστικὴ δὲ ἡ ὑποκριτικωτάτη· ταύτης δὲ δύο εἴδη· ἡ μὲν γὰρ ἠθική, ἡ δὲ παθητική. διὸ καὶ οἱ ὑποκριταὶ τὰ τοιαῦτα τῶν δραμάτων διώκουσι, καὶ οἱ ποιηταὶ τοὺς τοιούτους.

Die bedeutung des wortes noiкóc nun, wenn dasselbe von der rede überhaupt oder von ihren teilen gebraucht wird, ist von Aristoteles selbst am ausführlichsten in der rhetorik III 16 entwickelt worden. Ar. handelt dort von der ǹoiêǹ dińsηcic. wir erfahren aus dieser stelle zunächst, dasz noixóc von der rede in verschiedener bedeutung gebraucht wird; denn nachdem Ar. die erste bedeutung, über welche wir unten ausführlicher handeln werden, angegeben hat, fahrt er fort: ἄλλα ἠθικὰ τὰ ἑπόμενα ἑκάστῳ ἤθει. ethisch heiszt also hiernach die rede, wenn sie einem bestimmten charakter angepasst ist, wie Ar. rhet. III 7 schreibt: nokη.. ǹ άρμóттоucα ἑκάστῳ γένει καὶ ἕξει. λέγω δὲ γένος μὲν καθ ̓ ἡλικίαν, οἷον παῖς ἢ ἀνὴρ ἢ γέρων, καὶ γυνὴ ἢ ἀνήρ, καὶ Λάκων ἢ Θετταλός, ἕξεις δὲ καθ ̓ ἃς ποιός τις τῷ βίῳ. diese bedeutung von ἠθικός könnte

demnach die übersetzung von niên τparwdía durch charaktergemälde' rechtfertigen; aber wir haben schon oben gesehen, dasz die charakteristik der personen der pathetischen wie der ethischen tragödie und den entsprechenden arten des epos gemeinsam ist und nicht einen artunterschied begründen kann. ferner ist diese erklärung auch deshalb zu verwerfen, weil Aristoteles den unterschied der tragödienarten in den unterschieden der tragischen fabel findet, wie dies bei der sonderung der einfachen, der verwickelten und der pathetischen tragödie evident ist; bei der gegentiberstellung der pathetischen und der ethischen tragödie, wenn wir letztere als charaktergemälde ansehen wollten, hätte daher Ar. zwei verschiedene einteilungsgründe gehabt, die fabel und die charaktere.

Wir kehren daher zu der ersten bedeutung des wortes ǹoikóc zurück. auf die frage Tí oс πоιî; antwortet Aristoteles rhet. ΙΠ 16 ἓν μὲν τὸ προαίρεσιν δηλοῦν. zu vergleichen ist damit noch rhet. II 21 ἦθος δ ̓ ἔχουσιν οἱ λόγοι, ἐν ὅσοις δήλη ἡ προαίрecic. unter проaiρecic ist eine aus vernünftiger überlegung hervorgegangene willensentscheidung für ein bestimmtes ziel zu verstehen. eine rede nun oder erzählung, welche die willensrichtung des handelnden offenbart, welche uns die motive, von denen derselbe geleitet wird, seinen plan und die folgerichtige ausführung desselben vorführt, heiszt ethisch. es beschränkt sich hierbei die bezeichnung 'ethisch' nicht blosz auf die darstellung sittlicher dh. sittlich guter motive; die darstellung der absicht an sich ist ethisch. sagt der redner von jemandem anstatt ἔλαβεν oder επάταξεν zb. ἔκλεψεν oder üẞpicev, so ist seine rede ethisch, insofern er einе πроαíрecic mitbezeichnet: rhet. I 13 τὰ δὲ τοιαῦτα τῶν ὀνομάτων προccημαίνει τὴν προαίρεσιν, οἷον ὕβρις καὶ κλοπή.

Im gegensatz zur προαίρεσις steht nach Aristoteles das πάθος, der affect. so schreibt er rhet. I 13: άváткη пάνтα тà éɣкλýμаτα ἢ πρὸς τὸ κοινὸν ἢ πρὸς τὸ ἴδιον εἶναι, καὶ ἢ ἀγνοοῦντος καὶ ἄκοντος, ἢ ἑκόντος καὶ εἰδότος, καὶ τούτων τὰ μὲν προελομένου, τὰ δὲ διὰ πάθος. hier wird offenbar die bewuste freiwillige handlung noch nach der verschiedenheit der motivierung als eine zwiefache dargestellt. die worte neixóc, insofern so alles das genannt wird, in dem eine πроaípecic sichtbar ist, und αητiкóс bezeichnen somit auch einen unterschied jeder handlung. die handlung und ihre darstellung in der fabel ist nach Aristoteles die seele der tragödie; in ihren unterschieden fand er die arten der einfachen und der verwickelten tragödie gegeben, in ihren unterschieden musz auch der gegensatz der pathetischen und der ethischen tragödie gegründet sein, und zwar liegt hier die verschiedenheit der handlung in ihrer motivierung. in der pathetischen tragödie und in dem pathetischen epos ist das treibende in der entwicklung der handlung das πάθος, der affect, wie in der Ilias die μῆνις Αχιλλέως; in der ethischen tragödie und in dem ethischen epos dagegen ist die handlung bestimmt durch ein festes, beharrlich verfolgtes ziel; in ihnen.

herscht die πроaípecic, wie in der Odyssee. insbesondere musz sich dies in der μeтáßacic, dem kernpuncte der handlung, zeigen; in der Odyssee ist dieser übergang die tötung der freier, die eine geplante that ist, während Achilleus nur im affect handelt. das vorkommen eines Tάooс in der bedeutung einer offen geschehenden leidvollen that gibt also nicht den unterschied ab für die pathetische und ethische tragödie und für die gleichen arten des epos; in der Odyssee erfolgt der übergang unter einer solchen that, aber diese that wird mit ruhiger überlegung gewollt, vorbereitet und ausgeführt, und darum heiszt das epos ethisch. Bernhardy irrt, wenn er das wesen der ethischen tragödie darin findet, dasz der übergang in ihr 'unmittelbar aus sittlichen motiven als notwendiges ergebnis' sich vollende: es ist bereits oben erwähnt worden, dasz das wort neixóc schlechthin die darstellung der absicht bezeichnet, ohne den wert der motive mit zu bestimmen. dasz die tragödie nur sittliche motive vorführt, ist von Aristoteles schon dadurch bestimmt, dasz er die handlung als eine cπoudaía bezeichnet und als erstes gesetz für die charaktere aufstellt, dasz sie sittlich (xpηcτά) seien. aber dies ist ja gerade ein gesetz, das für die tragödie überhaupt gilt; hieraus kann kein artunterschied gewonnen werden.

Aehnlich wie in der Odyssee scheint, nach Welckers combinationen zu urteilen, die handlung im Peleus, den Aristoteles als beispiel einer ethischen tragödie anführt, sich entwickelt zu haben. Peleus ist vom throne gestoszen und wird von seinen söhnen aus erster ehe hart gehalten, bis Neoptolemos erscheint, der die königsburg von den unrechtmäszigen inhabern befreit. 'darum war er so plötzlich' schreibt Welcker 'von Ilion fortgeeilt, und der schatten des Achilleus bei Homer hatte schon diese rache vorgezeichnet.' der kampf gegen die usurpatoren, der den übergang im Peleus bildete, ist demnach wie die tötung der freier in der Odyssee eine geplante that; auch in dieser tragödie herschte in der entfaltung der handlung die πрoαíρecic, und deshalb heiszt dieselbe eine ethische.

Was nun den charakter der beiden tragödienarten betrifft, so ergibt sich auch bei der oben versuchten erklärung als selbstverständliche folge, was Vahlen nach seiner erklärung von dem charakter der pathetischen und der ethischen tragödie behauptet. wenn die handlung in der pathetischen tragödie durch den affect bestimmt ist, so musz der charakter des stückes ein erregterer, leidenschaftlicherer sein; die darstellung der handlung als einer mit überlegung gewollten und angelegten in der ethischen tragödie wird im allgemeinen eine ruhigere sein, ohne dasz dadurch das eintreten erschütternder ereignisse gänzlich ausgeschlossen wäre, und wird von selbst zur schärfern zeichnung der charaktere führen; aber weder diese noch der im allgemeinen ruhigere verlauf der handlung bezeichnen das wesen der ethischen tragödie.

BEUTHEN IN O/S.

EMIL GOTSCHLICH.

99.

ZU XENOPHONS ANABASIS IV 2.

Das zweite capitel des vierten buchs der anabasis ist, seitdem Breitenbach im j. 1868 in der zs. f. d. gw. s. 59 ff. seine bemerkungen veröffentlicht hat, auch von Schenkl (Xenophontische studien I s. 606 f.), Weissenfels (zs. f. d. gw. 1873 s. 272 f.) und Henrychowski (ebd. s. 824 f.) nach verschiedenen seiten hin besprochen worden. den meisten dort ausgesprochenen ansichten kann ich nicht beipflichten und will daher im folgenden meine gegenansicht darzulegen und zu begründen suchen.

Bei § 6, den Breitenbach und Schenkl für zum teil interpoliert halten, und bei § 15 und 20 hängt die erklärung hauptsächlich von der kenntnis des terrains ab. obgleich ich daher im allgemeinen an der in meiner ausgabe zu § 18 ausgesprochenen ansicht festhalte, dasz zum vollen, klaren verständnis die stelle des vorgangs feststehen müsse, so hat doch Xenophon über einzelheiten, namentlich über die wege, von § 6 an so klare und genaue andeutungen gegeben, dasz sich nach denselben recht gut ohne wortklauberei und hineinlegen eine skizze der örtlichkeit entwerfen läszt. ich habe mir die hier auf der nächsten seite abgedruckte skizze entworfen, dieselbe stets meinen schülern an der wandtafel vorgezeichnet und daran folgende erklärung geknüpft.

Die Griechen haben nach IV 1, 7 ff. am ersten tage ihres marsches über das Karduchengebirge die erste höhe überstiegen und die nacht in den in den thälern und schluchten der berge liegenden dörfern zugebracht. am andern morgen marschieren sie weiter, und obwol Xenophon das nicht ausdrücklich sagt, müssen wir doch annehmen, dasz sie dem hauptthale folgen, da marschierende truppen, welche eine bestimmte hauptrichtung (hier gegen norden) verfolgen, sicher nicht in gegen osten oder westen streichende seitenthäler ausbiegen werden. dieses hauptthal wird auf beiden seiten von höhenzügen begleitet, die IV 1, 14 schon einen engpass bilden.

Am dritten tage endigt dieses thal (IV 1, 21): es stöszt auf eine quer davorliegende höhe, zu der, nachdem man noch eine. schlucht passiert hat, nur ein einziger steiler weg empor führt. diese höhe ist schon von den Karduchen besetzt. Cheirisophos, der sich auf seinem marsche sicherlich nach anderen bergauf führenden seitenwegen umgesehen hat, um auf diesen die vorliegende höhe zu erreichen, hat keinen betretenen weg gefunden. gleichwol erbietet sich nach 1, 24 ein gefangener Karduche, die Griechen auf einem andern wege, auf dem selbst das zugvieh fortkommen könne, der aber von einer berghöhe beherscht werde, auf die höhe zu führen. der Karduche sagt aber mit keinem worte, dasz sein weg zur ódòc pavepά oder ř ihre; er meint einen davon verschiedenen

weg, auf

weg umgangen werden könne.

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