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„Wohl hab' ich es gesehen3,
Das hohe Schloß am Meer,
Und den Mond darüber stehen1
Und Nebel weit umher."

Der Wind und des Meeres Wallens,

Gaben sie frischen Klang?

Vernahmst du aus hohen Hallen

Saiten und Festgesang?

„Die Winde, die Wogen alle
Lagen in tiefer Ruh',

Einem Klagelied aus der Halle
Hört'10 ich mit Thränen zu10"

Sahest du oben gehen11

- Den König und sein Gemahl,
Der rothen Mäntel Wehen,
Der goldnen Kronen Strahl?

Führten sie nicht mit Wonne
Eine schöne Jungfrau dar12,
Herrlich wie die Sonne,
Strahlend im goldenen Haar?

Wohl sah ich die Eltern beide,
Ohne der Kronen Licht,

Im schwarzen Trauerkleide;
Die Jungfrau sah ich nicht."

Ludwig Uhland.

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;

3 Wohl hab' ich es gesehen, yes, indeed, I have seen it. Drüber stehen, standing over it. In connection with the verbs sehen, to see; hören, to hear fühlen, to feel, and finden, to find, the infinitive in German is equivalent in signification to the present participle, see Gr. p. 473, 4th. 5 The undulating motion, heaving. Did they give (forth), i. e. produce. 7 Vernehmen, to perceive. 8 Lit. the strings or chords of musical instruments, here the notes of stringed instruments. 9 Liegen, to lie. 10 Hört' ich zu, I listened to; einem Kla= gelied, plaintive song. 11 Didst thou see walking above the king and his spouse, 12 May be rendered in connection with führen: forth.

&c.

13. Der reichste Fürst.
Preisend mit viel schönen Reden
Ihrer Länder Werth und Zahl1
Saßen viele deutsche Fürsten
Einst zu Worms im Kaisersaal.

„Herrlich,“ sprach der Fürst von Sachsen,
"Ist mein Land und seine Macht;
Silber hegen seine Berge

Wohl in manchem tiefen Schacht3.“

,,Seht mein Land in üpp'ger Fülle,“
Sprach der Kurfürst von dem Rhein,
Goldne Saaten1 in den Thälern,
Auf den Bergen edlen Wein!"

"

„Große Städte, reiche Klöster,“
Ludwig, Herr zu Baiern3, sprach,
„Schaffen, daß mein Land den euren
Wohl nicht steht an Schäßen nach)."
Eberhard, der mit dem Barte,
Würtemberg's geliebter Herr,

Sprach: Mein Land hat kleine Städte,
Trägt nicht Berge silberschwer.

Doch ein Kleinod hält's verborgen",

Daß in Wäldern noch so groß10
Ich mein Haupt kann kühnlich legen

Jedem Unterthan in Schoeß11."

13.

1Ihrer Länder Werth und Zahl, the value and number of their territories. If the genitive were put last, it would read: den Werth und die Zahl ihrer Länder; see note 12 to piece 10. 2 Sigen, to sit. 3 Its mountains contain (hegen) silver in full (wohl) many a deep shaft. 4 Golden cornfields. 5 Herr zu Baiern, the sovereign of Bavaria. 6 Cause (schaffen) that my territory is not likely to be inferior (wohl nicht steht... nach) in treasures (an Schäßen) to yours (den euren); nachstehen, lit. to be behind, i. e. to be inferior. 7 The one (der) with the beard. Tragen, to bear. 9 Verborgen halten, to hold concealed, or simply to conceal. 10 Noch so groß, be they never so great, however great. "Into the lap of each of my subjects. The dative is here used where the

Und es rief12 der Herr von Sachsen,
Der13 von Baiern, der13 vom Rhein :
,,Graf im Bart, ihr seid der reichste!
Euer Land trägt Edelstein.“

Justinus Kerner.

14. Einer oder der Andere.

Zur Zeit1 Heinrich's IV., Königs von Frankreich, ritt2 einmal ein Bäuerlein3 von seinem Dorfe nach Paris. Nicht mehr weit von der Stadt begegnete er einem stattlichen Reiter. Es war der König. Sein Gefolge war absichtlich in einiger Entfernung geblieben. Woher des Wegss, mein Freund? Habt ihr Geschäfte zu Paris?"

„Ja,“ antwortete der Bauer; „auch möchte ich gern einmal unsern guten König sehen®, der sein Volk so zärtlich liebt."

Der König lächelte und sagte: „Dazu kann euch Rath werden”.“ ,,Aber wenn ich nur wüßtes, welcher es ist unter den vielen Höflingen, von denen er umgeben sein wird."

Das will ich euch sagen: Ihr dürft nur Achtung geben10,

English idiom would require the genitive. 12 8 is expletive; rief, exclaimed. Rufen is here employed for ausrufen. 13 The one, or he. The conjunction und is understood; und der von Baiern und der vom Rhein.

14.

3 The di

1 In the times, during the reign. 2 Reiten, to ride on horseback. minutive of der Bauer, the farmer, the peasant. It is here employed in preference to the usual form, for the purpose of producing an air of familiarity in the piece. A familiar, popular tone is aimed at both in this piece and in the two following. War... geblieben, had remained behind, pluperf. of bleiben. 5 Whence do you come? where are you from? 6 Auch möchte ich gern... sehen, and I would like to see too. 7 Dazu kann euch Rath werden, to that you can (easily) be helped, there will be no difficulty about that. 8 Wissen, to know. By which he will be surrounded; umgeben is the perf. part. of um= geben. It wants the usual characteristic of that participle, the prefix ge, because the verb is an inseparable compound. Verbs compounded with durch, hinter, über, um, unter, voll and wieder are inseparable, when the accent rests on the verb, and they are separable, when it rests on the particle (Gr. p. 468, § 153). 10 You need only watch, observe; wel

welcher den Hut auf dem Kopfe behalten wird, wann alle Andern fich ehrerbietig werden entblößt haben11.“

Also ritten sie mit einander in Paris hinein, und zwar12 das Bäuerlein auf der rechten Seite des Königs; denn was die liebe Einfalt13, es sei mit Absicht oder durch Zufall, Ungeschicktes thun kann, das thut sie. Der Bauer gab dem König auf alle seine Fragen gesprächige Antwort1. Er erzählte ihm Manches15 über den Feldbau, aus seiner Haushaltung und wie er zuweilen des Sonntags auch sein Huhn in dem Topfe habe16, und merkte lange nichts. Als er aber sah, wie alle Fenster sich öffneten1? und alle Straßen sich mit Menschen anfüllten", wie Jedermann ehrerbietig auswich 18, da ging ihm ein Licht auf19. Mein Herr," sagte er zu seinem unbekannten Begleiter, den er mit Aengstlichkeit und Verwunderung anschaute, entweder seid ihr der König oder ich bin's20; denn wir Beide haben allein noch den Hut auf dem Kopfe21"

Da lächelte der König und sagte: „Ich bin's. Wann ihr22 euer Rößlein in den Stall gestellt und euer Geschäft besorgt habt, so kommt zu mir auf mein Schloß; ich will euch dann mit einer Mittagssuppe aufwarten und euch den Dauphin zeigen." Johann Paul Hebel.

cher, which (of them). 11 When all the rest will reverentially (ehrerbietig) have uncovered their heads (sich werden entblößt haben). 12 And that, and as might be expected. 13 Lieb has here again that vague signification alluded to on page 23, near the bottom. This use of it is frequent in familiar style; perhaps unsophisticated, downright: for whatever awkward act (was Ungeschicktes) your downright simplicity (die liebe Einfalt) can do, be it intentionally or by accident (mit Absicht oder durch Zufall), it always is sure to do it. 14 Gab ... gesprächige Antwort, made ready answer; auf, to. 15 Many things; über den, on, relating to. 16 And how he, too (er auch), once in a while (zuweilen) would have his chicken for dinner (in dem Topfe, lit. in the pot) of a Sunday (des Sonntags). 17 These reflexives are best rendered by the passive: were opened, were filled. 18 Ausweichen, to make room, to give way. 19 Ging ihm ein Licht auf (aufgehen), lit. a light arose to him, i. e. he became aware of his situation. 20 The 8 is not translated; Gr. p. 109, obs. 21 For we two (wir Beide) are the only individuals that retain (haben allein noch). 22 The farmer is throughout the piece addressed in the second person plural, being regarded as the inferior of his fellow traveller, see Gr. p. 428, § 91.

15. Gute Geduld.

Ein Franzose ritt2 eines Tages1 auf eine Brücke zu2, die so schmal war, daß zwei Reiter einander3 kaum darauf ausweichen fonnten. Ein Engländer betrats zugleich das entgegengesette Ende derselben, und als Beide auf der Mitte waren, wollte Keiner dem Andern Platz machen. Ein Engländer geht keinem Franzosen aus dem Wege," sagte der Britte. Der Franzmann erwiederte: „Mein Pferd ist auch ein Engländer!" Aber der Engländer machte sich wenig aus diesem Einfalle9, sondern sagte: Ich kann warten; ich habe hier die schönste Gelegenheit, die heutige Zeitung zu lesen1o, bis es euch gefällt, Plaß zu machen.“ Also zog er faltblütig eine Zeitung aus der Tasche, wickelte sie auseinander12 und las13 darin eine Stunde lang, während daß14 der Franzose eine Pfeife Taback16 hervornahm15 und zu rauchen anfing Die Sonne neigte18 sich allmählig gegen die Berge hinab18 und sah nicht aus19, als ob sie die Thoren noch lange anschauen wollte. Nach einer Stunde aber, als der Engländer fertig war und die Zeitung wieder zusammenlegen wollte2o, sah21 er den Franzosen an21 und sagte: „Nun denn22 ?" Dieser aber, der nicht auf den Kopf gefallen23 war, erwiederte: Seid so gut und gebt mir jetzt das Blatt, welches ihr studirt24 habt, auch ein wenig25, auf daß ich ebenfalls darin lesen kann, bis es euch gefällt, auszuweichen.“ Als der Engländer die Geduld seines Geg

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15.

1 Eines Tages, one day; Gr. p. 405, § 51, 2d. 2 Auf etwas zureiten, to ride up towards any thing. 3 To each other, is here in the dative. 4 Upon it. 5 Betreten, to enter. 6 Neither of them. 7 Aus dem Wege gehen, to make way, to turn out. 8 A horse, whose tail is cut short, is called ein Engländer. 9 Made but little account of (machte sich wenig aus) this sally of wit (diesem Einfalle). 10 For reading, see Gr. p. 474, § 170, 1st. 11 Ziehen, to pull, to take. 12 Auseinander wickeln, to unroll. 13 Lesen, to read. 14 Während daß, whilst. 15 Hervornehmen, to take out. 16 Of tobacco; see Gr. p. 147, r. I. 17 Anfangen, to begin. 18 Sich hinabneigen, to decline. 19 And did not seem (aussehen) as if it would much longer (noch lange), &c. 20 Was about. 21 Ansehen, to look at. 22 Well now. 23 Der auch nicht auf den Kopf gefallen war, lit..who had not fallen on his head, i. e. who knew what he was about. 24 Verbs derived from foreign languages, which have the accented termination iren or ieren, do not assume the prefix ge in the perf. part.; Gr. p. 443, § 122, 4th. 25 A little while,

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