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ners fab, sagte er: Wißt ihr was, ich will euch ausweichen;" und er machte ihm alsobald Play.

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16. Der Fremdling in Memel.

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Hebel.

Oft sieht die Wahrheit wie eine Lüge aus2. Das erfuhr ein Fremder, der vor einigen Jahren mit einem Schiff aus Westindien an den Küsten der Ostsee ankam3. Damals war der russische Kaiser, Alerander I., bei dem König von Preußen, Friedrich Wilhelm III., auf Besuch. Beide Monarchen standen in gewöhnlicher Kleidung, ohne Begleitung, Hand in Hand, als zwei recht gute Freunde, bei einander am Ufer. So etwas sieht man nicht alle. Tage. Der Fremde dachte auch nicht daranR, sondern ging ganz treuherzig auf sie zuo, meinte, es seien1o zwei Kaufleute oder andere Herren aus der Gegend, und fing11 ein Gespräch mit ihnen an11, ganz begierig12, allerlei Neues zu hören, das seit13 seiner Akwesenheit sich zugetragen14 habe. Endlich, da15 die beiden Monarchen sich16 leutselig mit ihm unterhielten16, fand er Veranlassung17, den Einen auf eine höfliche Art zu fragen, wer er sei18. „Ich bin der König von Preußen," sagte der Eine. Das kam19 nun dem fremden Ankömmling schon ein wenig sonderbar vor19. Doch dachte2o er: „es ist möglich,“ und machte vor dem Könige eine ehrerbietige Verbeugung. Und das war vernünftig; denn in zweifelhaften Dingen muß man immer das Sicherste und Beste wählen21, und lieber22 eine Höflichkeit aus Irrthum begehen, als eine

16.

1 The stranger in Memel. Memel is a town of considerable commercial activity in the north of Prussia. 2 Sieht wie eine Lüge aus, has the appearance of falsehood. 3 Erfahren, to experience. 4 Vor einigen Jahren, several years ago. 5 Ankommen, to arrive. 6 Zum Besuche, on a visit. 7 Such a sight (so etwas) cannot be seen (sieht man nicht) every day. 8 Dachte auch nicht daran, did not think of such a thing (daran) either. 9 Auf sie zu, up to them; ganz treuherzig, with all imaginable frankness, lit. quite frankly. 10 (That) they were. 11 Anfangen, to begin. 12 Very desirous; zu hören, of hearing; allerlei Neues, all kinds of news. 13 During 14 Sich zutragen, to take place. 15 When. 16 Sich unterhalten, to converse. 17 He found an occasion of asking (zu fragen); see Gr. p. 474, § 170, 1st. 18 Wer er sei, who he was. 19 Vorkommen, to appear, to seem. 20 Denken, to think. 21 Muß man immer..

Grobheit. Als aber der König weiter sagte und auf seinen Begleiter deutete: Dies ist Seine Majestät der russische Kaiser,“ da war's doch dem ehrlichen Mann23, als wenn zwei lose Vögel24 ihn zum Besten haben25 wollten, und er fagte: „Wenn ihr Herren mit einem ehrlichen Mann euern Spaß haben wollt, so sucht einen Andern, als ich bin. Bin ich deßwegen aus Westindien hierher gekommen, daß ich euer Narr sei26 ? Der Kaiser wollte ihn zwar versichern, daß er allerdings derjenige sei27. Allein der Fremde gab kein Gehör mehr. "Ein russischer Spaßvogel möget ihr sein," sagte er. Als er aber nachher im Wirthshause die Sache erzählte und andern Bericht bekommen hatte, da kam28 er ganz demüthig wieder28, bat fußfällig29 um Vergebung, und die großmüthigen Monarchen verziehen3° ihm, wie natürlich31, und hatten hernach viel Spaß an32 dem Vorfall.

17. Wurst wider Wurst2.

Hebet.

Ein Reisender erzählte einsmals voller Ernsthaftigkeit2 in einer Gesellschaft, daß3 er alle fünf Welttheile durchreis't, und daß er unter andern Seltenheiten eine angetroffen habes, die noch von keis nem Schriftsteller erwähnt worden seis. Dies Wunder war nach2

wählen, one should always choose the safest and best part (das Eicherste und Beste). 22 Rather: and rather to be guilty of (begehen, lit. to perpetrate) a mistaken politeness (eine Höflichkeit aus Irrthum) than of an incivility. 23 Da war es doch dem ehrlichen Manne, lit. then it was after all (doch) to the honest man, i. e. then after all the honest man could not help feeling, &c. 24 Ein loser Vogel, a wanton wag. zum Besten haben, to make sport of. 26 Daß ich sei, that I might be, or simply to be. 27 Derjenige sei, was the same, i. e. the person he was represented to be. 28 Wiederkommen, to come back again, to return. 29 On his knees begged (bat) their pardon (um Vergebung). 39 Verzeihen, to pardon. 31 Wie natürlich, as might be expected. 32 About.

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17.

1 Wurst wider Wurst, measure for measure, an adage. Very soberly, with all seriousness. 3 Daß er... . durchreist habe, that he had travelled over. The subjunctive is used both in this and in subsequent sentences of the piece, because his statement is in the oratio obliqua, i. e. it is quoted indirectly, see note 12 to § 1. 4 Among. 5 Antreffen, to meet with. 6 Die noch von keinem Schriftsteller erwähnt worden sei, which had never as yet been mentioned by any author. The verb is in the perf. subj. passive of erwähnen. 7Ac

seiner Behauptung eine Kohlstaude, die so groß und hoch gewesen war, daß unter einem einzigen Blatte derselben sich fünfzig bewaffnete Reiter hättens in Schlachtordnung stellen und ihre Mas növres machen können. Jemand, der ihm zuhörte, hielt1o diese Uebertreibung keiner Widerlegung werth, sondern sagte ihm mit der größten Fassung und Kälte, daß er auch gereis't und bis nach Japan gekommen sei11, wo er zu seinem Erstaunen mehr als dreihundert Kupferschmiede an einem großen Kessel habe arbeiten sehen12; in demselben hätten sich fünfhundert Menschen befunden13, die ihn glatt gemacht hätten. Was wollte man denn14 mit diesem ungeheuern Kessel machen?" fragte der Reisende. Man wolls te die Kohlstande darin kochen, von der Sie uns eben15 erzählt haben16"

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18. Die Sterne.

Ich sehe oft um2 Mitternacht,
Wenn ich mein Werk gethan3,

Und Niemand mehr im Hause wacht,
Die Stern' am Himmel an1.

"

Wagner.

cording to. • Sich hätten stellen können, might have been able to station themselves. On the use of the infinitive fönnen, where in English we expect the participle, see Gr. p. 473, § 168. 9 Ihre Manövres machen, and to perform their evolutions. Manövres is a word from the French, and therefore its plural is in 8, see Gr. p. 400, § 42, 3d. 10 Halten, to deem, to regard. The negative in fein is best taken with the verb: did not deem this exaggeration (diese Uebertreibung) worthy of any confutation (keiner Widerlegung werth). When an adjective governs a noun, it is commonly preceded by its case, see the examples to § 73 and § 74 on page 418 Gr. 11 Cei is auxiliary both to ge= reis't and to gekommen: that he, too, had travelled and been as far as (bis nach) Japan. 12 Wo er habe arbeiten sehen, where he had seen.... working. The verb is in the subjunctive for the reason given in note 2; it is put at the end of the sentence, because it begins with the relative abverb wo, see Gr. p. 359, 4th. 13 Hätten sich... befunden, pluperf. subj. of sich be= finden, to be: (and that) in the same there had been (at work). 14 Was wollte man denn, and what did they wish, &c. 15 Just now. 16 Erzählen, properly, to relate; here and in the first sentence of this section simply to tell.

18.

1 Ansehen, to look at, gaze at. 2 Um, at. 3 Supply habe, when I have done my work. On the omission of the auxiliary compare note 1 to § 11

Sie gehn da, hin und her zerstreut,
Wie Lämmer auf der Flur,
In Rudeln auch und aufgereiht*
Wie Perlen an der Schnur;

Und funkeln alle weit und breit
Und funkeln rein und schön;
Ich seh' die große Herrlichkeit
Und kann mich satt nicht sehn.
Dann saget unter'm' Himmelszelt
Mein Herz mir in der Brust :
"Es gibt was Bess'res in der Welt
Als all ihr10 Schmerz und Lust."

Ich werf' mich auf mein Lager hin11
Und liege lange wach,

Und suche es in meinem Sinn

Und sehne mich danach 12.

Matthias Claudius.

19. Des Schäfers Sonntagslied.

Das ist der Tag des Herrn!

Ich bin allein auf weiter Flur,

Noch eine Morgenglocke nur1;

Nun Stille2 nah und fern.

Anbetend knie' ich hier.

süßes Graun, geheimes Wehn3 !

Als knieten Viele ungesehn

Und beteten mit mir.

10 Its, refer

• Strung, from aufreihen. 5 Weit und breit, far and wide. 6 And cannot look enough. Unter'm or unter dem. 8 In der, in my. 9 Es gibt, there is; was Bess'res, something better; was is used in the sense of etwas. ring to die Welt. 11 Ich werf' mich ... hin, I throw myself down. it, after it, sich sehnen, to long for.

19.

12 For

1 But one morning-bell more. The prose order would be: Nur noch eine Morgenglocke. 2 Nun Stille, then stillness. 3 Wehn and Graun for Wehen

Der Himmel nah und fern,
Er ist so klar und feierlich,

So ganz, als wollt' er öffnen sich5.
Das ist der Tag des Herrn.

Ludwig Uhland.

20. Das Schloß Boncourt1.
Ich träum' als Kind mich zurücke2
Und schüttle mein greises Haupt:
Wie sucht ihr mich heim3, ihr Bilder,
Die lang' ich vergessen geglaubt1?

Hoch ragts aus schatt'gen Gehegen
Ein schimmerndes Schloß hervor3,
Ich kenne die Thürme, die Zinnen,
Die steinerne Brücke, das Thor.

Es schauen vom Wappenschilde
Die Löwen so traulich mich ano,
Ich grüße die alten Bekannten
Und eile den Burghof hinan'.

and Grauen, see note 10 to 6, infinitives used substantively: Sweet dread, mysterious breathing. 4 Als for als ob, as if. 5 So ganz, als wollt' er öffnen sich, so wholly, as if it would open.

20.

1 The Château de Boncourt, in Champagne, was the old family residence of the poet's ancestors, where he was born in 1781. When the Revolution broke out, the castle was assailed and razed to the ground, and the impover ished family, which had ranked among the very first in France, was obliged to flee. Chamisso was brought to Germany at the age of nine, where he spent the greater part of his life, and attained to considerable eminence as a poet. No one, acquainted with the history of its author, can read this poem without being touched by the sweetness and beauty of its sentiments. 2 I dream myself back as a child, i. e. a dream wafts me back to my childhood. 3 Heimsuchen, to visit: how comes it (wie) that ye visit me? + Supply habe: which long ago I thought forgotten. 5 Hervorragen, to project, rise. 6 An= schauen, to look at ; es is not rendered. Die Löwen is the subject nomina

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