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rend bei sich selbst, zwei Fürsten auf einem Thron? Warum mußte ich die Zweite und nicht die Erste sein? Und plöglich schwand1o, von innerem Grame verjagt, ihr schönes Licht hinweg1o. Hinweg von ihr floß es weit in die Luft und ward das Heer der Sterne. Wie eine Todte, bleich, stand Luna da, beschämt vor allen Himmlischen, und weinte: Erbarme dich 12, Vater der

Wesen, erbarme dich!"

Und Gottes Engel stand vor der Finstern da; er sprach zu ihr des heiligen Schicksals Wort: „Weil du das Licht der Sonne beneidet hast, Unglückliche, so13 wirst du künftig nur von ihrem Lichte glänzen; und wann dort jene11 Erde vor dich tritt, so stehest du15 halb oder ganz verfinstert16 da, wie jeßt. - Doch, Kind des Irrthums, weine nicht. Der Erbarmende1 hat dir deinen Fehler verziehen und ihn in Wohl verwandelt. "Geh," sprach er, „Geh,““ ""sprich der Reuenden zu19. Auch sie in ihrem Glanze sei20 Könis ginn. Die Thränen ihrer Reue werden ein Balsam sein, der als les Lechzende erquickt, der das vom Sonnenstrahl Ermattete22 mit neuer Kraft belebet.""

Getröstet wandte sich Luna; und siehe, da umfloß sie jener Glanz, in welchem sie jetzt noch glänzt. Sie trat ihn an23, den stillen Gang, den sie jetzt noch geht, die Königinn der Nacht, die Führerinn der Sterne. Beweinend ihre Schuld, mitleidig jeder Thräne24, sucht sie, wen sie erquicke; sie sucht, wen sie tröste.

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Herder.

9

Muß=

Herrliche zu überglänzen, outshine, excel in splendour the glorious one. te ich... sein, was I doomed to be. 10 Hinwegschwinden, to vanish away. 13 Therefore (fo) thou shalt

one.

12 Have mercy.

11 Heavenly ones, heavenly host. in future (künftig) shine only by her light. 14 Dort jene, yonder. 15 So stehest du... da, then thou wilt stand. 26 Halb oder ganz verfinstert, half or entirely obscured. 17 The (all) merciful One. 18 Verzeihen, to pardon. 19 Jemandem zusprechen, to speak words of comfort to any one; der Reuenden, to the penitent 20 Auch sie... sei, let her, too, be. 21 Alles Lechzende, whatever is languishing. 22 Das vom Sonnenstrahl Ermattete, lit. that by the sun-ray exhausted, i. e. that which is exhausted by the heat of the sun. This mode of construction is illustrated on page 303 Gr.; both Ermattete and Lechzende are participles used substantively. The verbs erquickt and belebet are better rendered by the future: which will quicken, which will enliven. 23 Sie trat ihn an (antreten), she entered upon it, that quiet course of hers (den stillen Gang). Mitleidig jeder Thräne, sympathizing with every tear.

24

25. Myrtil,

eine Idylle.

Bei stillem Abend hatte Mytil nech ten mendbeglänzten Sumpf besucht; die ruhige Gegend im Mondschein und das Lied der Nachtigall hatten2 ihu in stillem Entzücken aufgehalten2. Aber jeht kam er zurück3 in die grüne Laube von Reben vor seiner einsamen Hütte und fand seinen alten Vater, fauft schlummernd, im Mondenschein hingesunkens, sein graues Haupt auf den einen Arm hingelehnt. Da stellte er sich, die Arme in einander geschlungen, vor ihn hin. Lange stand er da; sein Blick ruhete unverwandt auf dem Greise, nur blickte er zuweilen durch das glänzende Rebenlaub zum Himmel auf, und Freudenthränen flossen10 dem Sohne von den Wangen.

"

„O du,“ sprach er jeßt, „du, den ich nächst den Göttern am meisten ehre, Vater, wie sanft schlummerst du da! Wie lächelnd ist der Schlaf des Frommen! Gewiß ging12 dein zitternder Fuß aus der Hütte hervor12, in stillem Gebete den Abend zu feiern, und betend schliefest du ein13. Du hast auch für mich gebetet, Vater. Ach, wie glücklich bin ich! Die Götter erhören dein Gebet. Oder warum ruhet unsere Hütte so sicher in den von Früchten gebogenen Aesten14? Warum liegt der Segen auf unserer Heerde und auf den Früchten unseres Feldes? Oft15,

25.

1 Bei stillem Abend, on a calm evening. 2 Hatten ihn aufgehalten, had kept him (there absorbed) in quiet ecstacy (in stillem Entzücken). 3 Zurückkommen, to come back, to return. 4 Finden, to find. 5 Im Mondschein hingesunken, reposing in the moonlight; hingesunken, perf. part. of hinsinken, lit. to sink down. 6 His gray head (sein graues Haupt) leaning (hingelehnt) upon one arm (auf den einen Arm); the construction is the accusative absolute explained in Gr. p. 476, § 176. 7 Die Arme in einander geschlungen, with folded arms, the same construction; vor ihn hin, before him. 8 Nuhete unverwandt auf, was fixed upon. 9 Zum Himmel auf, up towards heaven. 10 Fließen, to flow; dein Sohne von den Wangen, from the cheeks of the son. 11 Am meisten, the most, adverbial superlative of viel, see Gr. p. 415, § 66 and § 68. ... hervor, did go forth. 13 Schliefest du ein, thou didst fall asleep. 14 In den Aesten, amid the boughs; von Früchten gebogen, bent, weighed down by (their load of) fruit; gebogen from biegen. On the order of these words see Gr. p. 303. 15 Often when thou dost shed (wenn du... weinest) tears of joy

12 Ging

wann du bei meiner schwachen Sorge für die Ruhe deines matten Alters Freudenthränen weinest, wann du dann gen Himmel blickest und freudig mich segnest, ach, was empfinde ich dann, Vater! Ach, dann schwillt16 mir die Brust und häufige Thränen entquillen meinen Augen. Da du1 heute an meinem Arme aus der Hütte gingest, an der wärmenden Sonne dich zu erquicken, und die frohe Heerde um dich sahest und die Bäume voll Früchte und die fruchtbare Gegend umher, da sprachst du: „Meine Haare sind unter Freuden grau geworden18. — Seid immer gesegnet, Gefilde! Nicht lange mehr19 wird mein dunkler Blick euch durchirren; bald werde ich euch mit seligeren Gefilden vertauschen."" Ach, Vater, bester Freund, bald soll ich dich verlieren. Trauriger Gedanke! Ach, dann, dann will ich einen Altar neben dein Grab pflanzen20, und dann, so oft ein seliger Tag kommt, wo ich Nothleidenden21 Gutes thun kann, dann will ich, Vater, Milch und Blumen auf dein Grab streuen.“

Jeht schwieg22 er und sah mit thränenden23 Augen auf den Greis.Wie er lächelnd da liegt und schlummert!" sprach er jezt schluchzend. — „E824 sind einige seiner frommen Thaten im Traume vor seine Stirne getreten. Wie der Mondschein sein fahles Haupt bescheint und den glänzendweißen Bart! O, daß die kühlen Abendwinde dir nicht schaden25 und der feuchte Thau!“

Jeht füßte er ihm die Stirn, sanft ihn zu wecken, und führte ihn in die Hütte, damit er sanfter auf weichen Fellen schlummere26.

Salomon Geßner.

(Freudenthränen) at my feeble care (bei meiner schwachen Sorge) for the comfort (repose) of thy exhausted age (für die Nuhe deines matten Alters). 16 Schwellen, to swell; mir die Brust, my heart. 17 Da du, when thou. 18 Sind... grau geworden, have grown gray; unter, amid. 19 Nicht lange mehr, not much longer. 20 Will ich... pflanzen, will I raise, lit. plant. 21 To the poor, to those in distress, dat. pl. 22 Schweigen, to be silent. 23 Tearful. 24 Some of his charitable acts (feiner frommen Thaten) have appeared to him, or lit. have stepped before his brow (find... vor seine Stirne getreten) in a dream (im Traume). 25 Dir nicht schaden, may not injure thee. 26 Damit er .. schlummere, that he might sleep,

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Wie heißt des Sängers Vaterlands? -
Jehts über seiner Söhne Leichen,
Jeht weint es unter fremden Streichen ;
Sonst hieß es nur das Land der Eichen,
Das freie Land, das deutsche Land.

So hieß mein Vaterland!

Wass weint des Sängers Vaterland?

Daß vor des Wüthrichs Ungewittern9
Die Fürsten seiner Völker zittern,
Daß ihre heil'gen10 Worte splittern
Und daß sein Ruf kein Hören fand11.
D'rum12 weint mein Vaterland!

26.

1 The author of this spirited poem could wield the sword and the lyre equally well. He took an active part in the wars against Napoleon, was once severely wounded, and finally, when yet a young man, lost his life in the cause of his fatherland. Many of his best lyrical productions are patriotic or martial, all of them breathing the same enthusiastic love for freedom and his country. 2 Where the sparks of noble spirits flew. 3 Für das Schöne, for the beautiful, an abstract substantive, see Gr. p. 417, § 70, 2d. • Enkindled, from entbrennen; für alles Heilige, for all that is sacred 5 What calls the minstrel fatherland? lit. what is the minstrel's fatherland called? 6 Supply weint from the next line: It weeps now o'er its slaughtered sons (über seiner Söhne Leichen), lit. over the corpses of its sons. 7 Once; hieß es nur, (it was) only called; hieß from heißen. 8 Why. 9 Vor des Wüth= richs Ungewittern, before the tyrant's tempests. 10 For heiligen: that their sacred promises (Worte) are shivered, i. e. broken (splittern). 11 Kein Hören

Wem ruft des Sängers Vaterland?

Es ruft nach13 den verstummten Göttern;
Mit der Verzweiflung Donnerwettern14
Nach seiner Freiheit, seinen Rettern,
Nach der Vergeltung Rächerhand15.
Dem ruft mein Vaterland!

Was will16 des Sängers Vaterland?
Die Knechte will es niederschlagen,
Den Bluthund aus den17 Grenzen jagen
Und frei die freien Söhne tragen,
Oder frei sie betten18 unterm Sand.
Das will mein Vaterland!

Und hofft des Sängers Vaterland?

Es hofft auf die19 gerechte Sache,
Hofft, daß sein treues Volk erwache,
Hofft auf des großen Gottes Rache,
Und hat den Rächer nicht verkannt20.
D'rauf21 hofft mein Vaterland!

Carl Theodor Körner.

27. Der Sänger.

„Was hör' ich draußen vor dem Thor,

Was auf der Brücke schallen?

Laß den Gesang vor unserm Ohr

Jm Saale wiederhallen !"

Der König sprach's, der Page lief2;
Der Knabe kam3, der König rief:
„Laßt1 mir herein1 den Alten!"

fand, no hearing found. 12 For darum, therefore. 13 Es ruft nach, it calls on, or simply it calls. 14 The literal meaning of this line is: with desperation's thunderstorms, i. e. in desperation's words of thunder. 15 On retribution's (der Vergeltung) vengeful hand (Rächerhand). 16 What would? 17 Aus den, from its. 18 Oder frei sie betten, or bed them free; unterm Sand, beneath the sand. 19 Its; hofft auf in this line signifies trusts in, relies upon, and in the fourth line, hopes for. 20 und hat nicht verkannt (from verkennen), and has not mistaken. 21 For darauf, for this, or simply this.

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