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schriftlich durchdekliniren und durchkonjugiren, und vielleicht zwei bis dreihundert Wörter auswendig lernen; damit war das mechanische im Unterricht abgetan. Sofort ging es an die Lektüre, nach etwas Apollodor gleich an Homer. Ich mußte bei jedem flexibeln Wort von der Form, bei jedem andern von der pars orationis Rechenschaft geben, übrigens meinen Autor begreifen und überseßen können. Ueberall suchte er mich anzuleiten in die Gedanken und Gefühle desselben mich hineinzuversetzen, der ganzen Entwickelung zu folgen; daß jede Uebersetzung hinken müsse, wurde mir dabei. bald handgreiflich. Genusregeln und dergleichen mir einzuprägen, hat er sich nie aufgehalten, und auch die Syntax mochte ich mir zunächst allein aus Buttmann und Billroth herauslesen. Unwissenheit von Vokabeln ward die ersten Male leicht verziehen: „was heißt das?" ,,nun was fann das heißen?" Sehr anziehend war die Fülle etymologischer Bemerfungen mit der er selber bei solcher Gelegenheit, insbesondere bei den neueren Sprachen, hervorkam. Später ließ er mich allein schriftlich überseyen, ich durfte ihn fragen so viel ich wollte, meine Aufzeichnungen hat er vielleicht nie durchgesehn, wenigstens nie korrigirt. Ich will die Methode nicht unbedingt loben: eine Menge von Grammatikalien, die mechanisch nicht schwer fest zu packen sind, kamen mir langsam und blieben lange ein sehr unsicherer Besit, und auch des Lexikons enthielt ich mich mehr als recht, meist von dem was das heißen konnte" ganz befriedigt. Dafür aber waren diese Stunden anziehend trotz manchem harten Wort; ich bekam und behielt Freude an dem Autor und an der Sprache selber. Diese erschien als großartiger Bau von systematischer Regelmäßigkeit und endloser Mannigfaltigkeit, eine Ahnung der verschiedenen Dialekte, und wieder des Zusammenhangs unter den verschiedenen Sprachen kam mir verhältnismäßig früh. Und wenn ich dabei zugleich einigermaßen logisch eingeschult wurde, so mußte ich zugleich lernen, daß damit allein doch nicht auszukommen sei es ist nun einmal keine Sprache überall logisch." Sehr verständlich ist mir, nach allem was aus diesem Unterricht haften geblieben, ein Lob das Haupt meinem Vater spendet, er habe jeden edirten Autor anders interpungirt. Als Kuriosum beiläufig wie B. im Doktoreramen bisweilen examinkrt hat: aus der Tasche wird ein zerknülltes Stück Papier gezogen, Griechisch bedruckt, ohne Ueberschriften und andere Merkzeichen, dem Kandidaten übergeben, was ist das ?", „was kann das sein?" und nun kamen Fragen nach Sprache und Inhalt, mehr als dem Gefragten oft lieb war. Zur abschließenden Ergänzung endlich noch ein Schreiben. Hermanns, das bei aller freundschaftlichen Anerkennung doch auch gerechte Desiderien andeutet:

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Wie soll man Ihnen für Ihren Homer würdig danken, der eine so

ganz einzige Erscheinung ist, und das Ergebnis von ungeheuren Studien? Aber Sie haben dadurch zugleich eine Pflicht übernommen, um deren Erfüllung ich Sie zuversichtlich im Namen aller Philologen bitten kaun und auf das inständigste bitte. Denn soll dieser Homer, was Sie doch selbst wünschen müssen, Früchte tragen, so ist dazu noch zweierlei erforderlich, daß Sie die Principien Ihrer Kritik bekannt machen, und daß Sie die abgelegenen Quellen der aufgenommenen Lesarten angeben. Beides kann, wie sie es lieben, in kurzem geschehn. Das erste kann Ihnen selbst kein unangenehmes Geschäft sein, und für uns andere würde es eine Fackel werden, die uns erst Ihr Verdienst recht klar machte. Das zweite ist für Sie eine Kleinigkeit, und bei weitem weniger mühsam als die Collationen die Sie zum Plato zu den Rednern und andern Schriftstellern gegeben haben. Wer reich ist muß nicht geizen. Lassen Sie mich keine Fehlbitte gethan haben, oder denken Sie bielmehr bag nidt blog id fonbern ἐνεάχιλοι ἐπίαχον ἢ δεκάχιλοι ἀνέρες.

Anm. 1781 auf S. 555 3. 2 v. u. als Geburtsjahr ist Druckfehler; zu lesen ist 1785, womit auch die andern Altersangaben übereinstimmen.

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Der erste Waffengang des römischen Kirchentums mit dem preußischen Staate.

Ein Rückblick auf die Kölnische Erzbischofsfehde der dreißiger Jahre.

Obgleich das Andenken an den Kölnischen Kirchenstreit der dreißiger Jahre schon früher einmal in den Jahrbüchern erneuert ist,*) so wird es sich doch durch das flagrante Interesse, welches gegenwärtig der neu entbrennende Kampf des römischen Kirchentums mit dem modernen Staat für sich in Anspruch nimmt, vollauf rechtfertigen, wenn wir es unternehmen, an der Hand der Acten und unter Berücksichtigung der neuesten historischen Entdeckungen einen kurzen Ueberblick jenes ersten Zusammenstoßes der beiden feindlichen Mächte zu geben. Ist es doch fast zu feiner Zeit wünschenswerter gewesen, daß sich in weitesten Kreisen eine klare Einsicht in das Wesen der katholischen Kirche verbreite, wie sie nur aus der Vertrautheit mit ihrer Vergangenheit gewonnen werden kann; vor allem die Einsicht, daß die Kirche, welche vor einem Menschenalter die Kölnischen Wirren hervorrief, dieselbe ist, vor deren Oberhaupte einst ein deutscher Kaiser im Bußgewande hat erscheinen müssen; die Einsicht, daß die Principien Roms zum mindesten seit den Tagen jenes siebenten Gregor stets dieselben geblieben sind, daß es nicht gewohnt ist, auch nur Einen der Ansprüche, welche es jemals erhoben hat, aufzugeben: es kann wohl eine Forderung, ein vermeintliches Recht, aus Gründen der Zweckmäßigkeit, für den Augenblick fallen lassen (und oft hat es diese Praxis befolgt); niemals aber ist ein solches Fallenlassen ein Verzichtleisten; kommt der gelegene Zeitpunkt, so wird der alte Anspruch aus seinem, wenngleich vielhundertjährigen Schlummer erweckt, um sich geltend zu machen mit der vollen Strenge von ehemals. Die flare Erkenntniß dieser Unwandelbarkeit des katholischen Kirchentums dürfte vor Anderem geeignet sein, jener Sorglosigkeit entgegenzuwirken, welche noch keineswegs aus protestantischen Kreisen verschwunden ist. Denn in dem frohen Bewußtsein, den als finster verschrieenen Zeiten des Mittelalters entronnen

*) In Band 23 und 24, wo Dr. Nippold den ganzen Verlauf desselben auf Grund der Bunsen'schen Briefe ausführlich erzählt und aus den Papieren des preußischen Gesandten am römischen Hofe zum Teil sehr dankenswerte, neue Mitteilungen macht, welche sich in der Bunsen'schen Biographie noch nicht finden.

zu sein, sich sonnen zu dürfen in dem Glanze humaner Bildung der Gegenwart, hat die protestantische Welt sich leider einer höchst verderblichen Unterschätzung des Gegners hingegeben, einer Unterschäßung, welche

noch vor Kurzem selbst bis zu den Kreifen der leitenden Staatsmänner hinaufreichend - allein es ermöglicht hat, daß seit 1815 die Unheilsmächte des Ultramontanismus und des Jesuitismus ihren Einzug in Deutschland gehalten haben, und daß jezt das infallible Papsttum den Bau eines Jahrtausends hat krönen dürfen.

Wenn nach den Bestimmungen der Wiener Congreßmächte unter den kärglichen Entschädigungen Preußens sich auch die Rheinprovinz befand, so sollte diese ein Danaergeschenk sein. Abgesehen von der gefahrvollen Lage dieser Grenzlande des deutschen Reiches, veranschlagte man in Wien nicht gering die Schwierigkeit der Aufgabe, welche sich für das vorwiegend protestantische Preußen daraus ergab, daß infolge des neuen Zuwachses nahezu zwei Fünftel seiner Bevölkerung der katholischen Confession angehörten, darunter die ohnehin mißvergnügten Rheinländer. Desterreich, voll Neid und Mißgunst, hoffte, daß Preußen am Rhein seine offene Wunde haben werde. Indessen der edle Gerechtigkeitssinn Friedrich Wilhelm's III. handhabte die Parität in einer Weise, daß, wenn Klagen laut werden durften, nicht die Katholiken solche zu erheben hatten. Hatte der König in seiner Proclamation vom 5. April 1815 den Rheinländern versprochen, ihre Religion zu schüßen, die äußere Lage der Geistlichen zu verbessern, Anstalten des öffentlichen Unterrichts herzustellen, endlich einen bischöflichen Sit, eine Universität und Seminare zu errichten. so hat er dieses königliche Wort vollauf eingelöst. Schulen entstanden, Priesterfeminare, eine vorzügliche katholisch-theologische Facultät an der mit königlicher Munificenz ausgestatteten Universität Bonn, mehr als vierzig katholische Kirchen wurden neu gegründet; an Stelle des Bistums Aachen. trat neben Trier, indem man sich unglücklicherweise von einer romantischen Idee leiten ließ, das Erzbistum Köln. Die katholische Kirche der Rheinprovinz, bei Beginn des preußischen Regimentes einem Trümmerhaufen nicht unähnlich, durfte sich von neuem bauen, sich frei entwickeln; bald stand sie an äußerem Glanze hinter keiner in Europa zurück. Leider ging die Regierung in diesem Streben nach Parität viel zu weit. Aber sie beging gleichzeitig einen noch schlimmeren Fehler, der damals freilich gleichsam in der Luft lag. Erinnern wir uns: Die Losung der Zeit hieß Restauration der erklärliche Rückschlag gegen die Principien von 1789. Die Staaten und ihre Lenker glaubten ihre Macht nicht sicherer stügen zu können als durch die Wiedereinsetzung der Kirche in ihre früheren Rechte: mußte nicht kirchliche Devotion ein sicheres Unterpfand ab

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geben für den bürgerlichen Gehorsam? Das Bündniß der politischen Reaction mit dem Papsttum war damit vollzogen. So stellte sich denn auch die preußische Regierung auf den freundschaftlichsten Fuß mit der römischen Curie. Ohne zu ahnen, welche Saat des Verderbens sie ausstreute, begünstigte sie mit allen Mitteln jene exclusiv-römische Gesinnung, wie sie einer damals nur kleinen Partei strenger Katholiken am Rhein eignete. Jede freiere Regung ward im Heime erstickt; dagegen Wallfahrten und Processionen, diese alten Stüßen des Aberglaubens und des verderblichen Müßigganges, wurden von neuem ins Leben gerufen. Allgemeinen Dank verdiente sich das preußische Regiment damit keineswegs. Denn jene Minorität, welche die katholische Kirche von den Sklavenketten des Staates befreien wollte, legte das Verfahren der Regierung als Schwäche aus und sah sich so zu desto größerer Dreistigkeit ermutigt. Für sie waren alle die offenbaren Begünstigungen des Katholicismus kein Hinderniß, laut und lauter über Vergewaltigung zu schreien : die preußische Regierung gehe methodisch darauf aus, die katholische Religion zu vernichten. Sie wies hierfür hin auf die Menge evangelischer Beamten und Officiere, welche aus Altpreußen an den Rhein gezogen wurden, wie auf die höhere Schulbildung, die von selber einen protestantischen Charakter trug und die auf nichts anderes als auf eine „Mediatisirung der Katholiken“ abzielen sollte. Und jetzt erwachte die Propaganda! Kein ergiebigeres Feld gab es für diese als das Gebiet der gemischten Ehen. Zwar hat sich Rom von jeher den Anschein gegeben, als verab= scheue es diese Mischehen, als aus denen (um mit Görres zu reden) nur Zweischlechtige und bastardähnliche Mischlinge hervorgehen können, und oft hat es sie verdammt. Aber es war nicht bloß die Herzenshärtigkeit der modernen Welt und die thatsächliche Unmöglichkeit, ein Verbot jener Ehen durchzuführen, weshalb das Papsttum sich hütete, sie gänzlich zu verpönen; vielmehr war es eingedenk des unermeßlichen Vorteils, welchen sie für den Katholicismus mit sich bringen. Hier konnten ja fast mühelos Tausende zarter Kinderfelen noch vor ihrer Geburt gewonnen werden eine ungleich leichtere Arbeit als verstockte Kezerherzen zu erobern.

Als 1825 die Regierung ein preußisches Gesetz von 1803, wonach die Kinder aus gemischten Ehen in der Confession des Vaters erzogen werden sollten, ohne Not auf die Rheinprovinz ausdehnte und zugleich die Forderung eines Versprechens der katholischen Erziehung untersagte, so hörte diese Forderung zwar auf, aber die Geistlichen verweigerten von jezt ab die Trauung, falls ihnen nicht das Versprechen freiwillig entgegengebracht wurde. So gelangte die Propaganda doch zu ihrem Ziele, und ihre kühnsten Vorkämpfer rechneten schon aus, nach wie vielen Menschenaltern der Pro

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