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Fünfter Abschnitt.

Frachtgeschäft zur Beförderung von Reisenden.

Übersicht.

Der Überfahrtsvertrag ist im allgemeinen nach Analogie des Frachtvertrages über Stückgüter geregelt, vgl. §§ 668, 669, 670. Jedoch findet eine direkte Haftung des Verfrachters nach den für letzteren geltenden Regeln nur für das von ihm in Obhut genommene Reisegut statt (§ 673 Abs. 2). Im übrigen bestimmt sich die Haftung gegenüber den Reisenden nach den allgemeinen Vorschriften des zweiten und dritten Abschnittes (vgl. Bem. Nr. 1 zu §§ 664). Es ist der Reisende nicht berechtigt, eine andere Person für sich eintreten zu lassen, wenn er für seine Person kontrahiert hat (§ 664), dagegen aus gewissen Gründen vor Antritt der Reise zum Rücktritt gegen die Hälfte des Überfahrtsgeldes berechtigt (§ 667). Besondere Regeln gelten für den Fall, dafs die Reise durch eine notwendige Ausbesserung des Schiffes unterbrochen wird (§ 671). Der Schiffer ist berechtigt, eine Schiffsordnung zu erlassen, nach welcher der Reisende sich richten mufs (§ 665), und verpflichtet, für den Nachlafs eines Reisenden zu sorgen, der unterwegs stirbt (§ 675).

In § 676 wird die Verfrachtung eines ganzen Schiffes zur Beförderung von Reisenden besonders behandelt. Der Vertrag mit Auswanderern ist durch Reichsgesetz vom 9. Juni 1897 (siehe hinter § 678) vielfach abweichend geregelt.

§ 664.

Ist der Reisende in dem Ueberfahrtsvertrage genannt, so ist er nicht befugt, das Recht auf die Ueberfahrt an einen Anderen abzutreten.

1. Der Überfahrtsvertrag ist ein gemischter Vertrag eigener Art. Soweit das Gesetz keine Bestimmungen enthält, kommen nicht subsidiär die Regeln des vierten Abschnitts, sondern die Grundsätze des allgemeinen Vertragsrechts oder dem Gegenstande entsprechende besondere Regeln des bürgerlichen Rechts zur Anwendung, vgl. Prot. S. 2333. Gegenstand des Vertrages ist:

a. Beförderung der Reisenden und ihres Gepäckes nach dem Bestimmungshafen, insofern ähnelt er dem Fracht

vertrag,

b. mietsweise Überlassung gewisser Schiffsräume zur Wohnung und zum Aufenthalt während der Reise, insofern ist Miete vorhanden,

c. bei längeren Reisen regelmäfsig auch Beköstigung während der Reise (vgl. § 671 H.G.B. § 25 Ausw. Ges.), die dem Reisenden andernfalls zu angemessenen Preisen besonders auf dem Schiff zu gewähren ist, was einige fremde Gesetze (wie Belgien art. 121) ausdrücklich bestimmen.

Zu beachten ist nun, dafs nach den Vorschriften des dritten Abschnittes (§§ 511 ff.) der Schiffer für die Herstellung des Schiffes in einem für die Reise brauchbaren Zustand (vgl. namentlich § 513) und ordnungsmässige Ausführung derselben zu sorgen hat, nicht der Reeder. Die für den Frachtvertrag gegebenen besonderen Bestimmungen des § 559 gelten hier nicht, dieselben kommen nur in betreff des in die Obhut des Schiffers gegebenen Reiseguts, also insoweit wegen der Pflichten aus dem Receptum in Betracht.

Hieraus ergeben sich folgende Regeln:

Wenn das Schiff bis zu dem bestimmten Zeitpunkt, in welchem die Reise angetreten werden sollte, entweder gar nicht gestellt wäre, oder nicht abfahren will, oder nicht zur Ausführung derselben brauchbar hergerichtet ist, wozu nicht blofs Seetüchtigkeit, Ausrüstung, Bemannung 1), Verproviantierung (vgl. Bd. I. S. 326-329), sondern auch brauchbarer Zustand der inneren Räume, insbesondere der Schlafräume, gehört (vgl. § 536 B.G.B.), so hat der Reisende stets das Recht des sofortigen Rücktrittes, sobald ein fester Anfangstermin der Reise bestimmt ist (z. B. durch veröffentlichte Fahrpläne), da dieser als wesentlich anzusehen ist (vgl. § 542 B.G.B.)1a). Schadensersatz wegen Nichterfüllung kann aber nur auf Grund der §§ 486, 512 H.G.B. gefordert werden, also der Regel nach nur dann, wenn ein Verschulden des

1) Bei längeren Reisen müssen auch Ärzte an Bord sein.

1a) So auch Belgien (Art. 129), Spanien (Art. 697), vgl. jedoch die Specialbestimmung in § 28 unseres Ausw.Ges. § 669 H.G.B. erweitert für gewisse Fälle das Rücktrittsrecht auch für den Fall, dafs der Anfangspunkt der Reise unbestimmt gelassen war.

Schiffers bewiesen wird, und beschränkt auf das Schiffsvermögen 2). Dasselbe gilt bezüglich Ersatzes von Schäden, welche infolge eines zwar schon bei Antritt vorhandenen, damals aber von dem Reisenden nicht erkannten mangelhaften Zustandes unterwegs eintreten, namentlich von den nur deliktmässigen Ansprüchen der Hinterbliebenen auf Grund der §§ 844 B.G.B., wenn das Schiff wegen einer solchen bereits bei Antritt der Reise vorhandenen Seeuntüchtigkeit mit den Reisenden untergeht3).

Überlastung des Schiffes mit einer zu grofsen Zahl von Passagieren ist stets ein Verschulden des Schiffers, namentlich. wenn eine polizeilich festgesetzte Höchstzahl überschritten wird. Ein konkurrierendes, persönliche Haftung des Reeders begründendes eigenes Verschulden liegt vor, wenn der Reeder oder seine Landorgane die Fahrkarten ausgeben und für eine bestimmte Reise mehr als zulässig oder ordnungsmäfsig ausgegeben haben. Aus unerlaubter Handlung haftet der Reeder, wenn er in eigener Person Kenntnis von einer Überlastung hatte, die daraus entstehende Gefahr zu übersehen im stande war (was bei Übertretung eines Polizeiverbotes stets anzunehmen ist), und trotzdem das Schiff in See gehen liefs (vgl. N. 3).

Für Schäden, die unterwegs eintreten, obwohl das Schiff bei Antritt der Reise für dieselbe brauchbar hergestellt und ausgerüstet war, ist nur dann eine Haftung begründet, wenn ein Verschulden einer Person der Besatzung nachgewiesen wird. Diese Haftung ist gegen den Reeder auf das Schiffsvermögen beschränkt. Persönliche Ansprüche gegen den Reeder sind nur gemäfs 512 Abs. 4 oder aus eigenen unerlaubten Handlungen desselben zu begründen *).

2) Der Reeder haftet persönlich, wenn er selbst (oder durch seine Landorgane) kontrahierte, soweit die Herstellung nicht zu den Dienstobliegenheiten des Schiffers gehörte, vgl. Bd. I S. 223, 224, 321, 322. Zufällige Unmöglichkeit schützt ihn nur in den Fällen der §§ 668, 669, falls dieselben nach Abschluss eintreten. War der Vertrag von vornherein auf eine unmögliche oder unerlaubte Handlung gerichtet, so kommt das bürgerliche Recht zur Anwendung, vgl. Bem. Nr. 1 zu § 628, Nr. 5 zu § 629.

3) Alle solche Ansprüche setzen also regelmässig voraus, dafs der Schiffer bei Antritt der Reise den mangelhaften Zustand des Schiffes bei ordnungsmässiger Kontrolle erkennen konnte und musste oder erkannt hatte. Der Reeder haftet hier aber aus dem Vertrag persönlich in den Fällen der N. 2 Satz 1, falls er oder seine Gehülfen bei Sorgfalt die Mängel erkennen mufsten, ferner falls er oder seine Landorgane schuldhaft in die Thätigkeit des Schiffers persönlich eingreifen, § 512 Abs. 3, oder mögliche Aufsicht versäumten, § 486 Abs. 2, Bd. I S. 224. Aufserdem haftet der Reeder aus unerlaubter Handlung persönlich in dem N. 40 S. 65 erwähnten Fall und, wenn er in eigener Person wufste, dafs das Schiff in einem die Sicherheit gefährdenden Zustand mit Reisenden in See ging, vgl. Bd. I S. 224 Nr. 22. Einen besseren Schutz gewähren §§ 33 ff. Ausw.Ges., s. S. 409. Hat der Reisende selbst den mangelhaften Zustand gekannt und sich trotzdem mit dem Schiff auf die Reise begeben oder trifft ihn sonst eigenes Verschulden, so kommt § 254 B.G.B. (vgl. auch § 846 BG.B.) zur Anwendung.

4) In Frankreich und Belgien haften die Reeder für Personalschäden der Passagiere geradeso wie für Sachschäden im Fall der Verfrachtung,

2. Wird eine Mitreisende auf der Reise von einem Kind entbunden, so wird ohne Abrede für dasselbe nicht besonders Überfahrtsgeld zu zahlen sein. So 1. 19 § 7 locati Dig. 19. 2. Chile (Art. 1080).

3. Eine besondere Form ist nicht vorgeschrieben 5), es ist aber die Aushändigung von Fahrkarten (daneben Gepäckscheinen) üblich, vgl. jedoch §§ 22 ff. Ausw.Ges. § 664 spricht als Regel die Übertragbarkeit aus. Ist die Reise von einer bestimmten Person erst einmal angetreten, so ist das Recht nicht mehr übertragbar, also namentlich auch nicht für die Rückreise bei Rückfahrkarten. (Prot. S. 2504 ff.) Endlich von vornherein nicht, wenn die Fahrkarte auf eine bestimmte Person lautet 6).

4. Eine Verpflichtung zur Mitnahme von Passagieren besteht bei uns für die Passagierschiffe nicht. Die öffentliche Ankündigung der Abfahrtszeiten und Bedingungen enthält nur eine Aufforderung zur Meldung von Reisenden 7).

vgl. Jacobs Nr. 496, Lyon-Caen Nr. 835 und dieses Werk Bd. I S. 185 N. 3, S. 228 N. 22 und N. 7 a. E. zu § 606. England und Nordamerika verpflichten den Reeder im Verhältnis zu den Passagieren für die Seetüchtigkeit zu sorgen to take due care (skill and foresight), to carry a passenger safely", aber nicht hierüber hinaus für Seetüchtigkeit einzustehen, vgl. Abbott p. 206-208, Parsons I S. 641, Desty § 266, vgl. Bd. I S. 323 N. 1a. In wie weit die Haftung eine beschränkte ist s. N. I zu § 673. Ansprüche von Hinterbliebenen getöteter Passagiere (und anderer Personen) bestehen nach common law nicht, sind aber in England gegeben durch Lord Campbells Act (1845), die indessen nach Urteil der Queens Bench vom 18. Juli 1898 (Law Rep. 1898 II p. 430) auf Ausländer keine Anwendung findet.

5) In Frankreich und Belgien kann das Schiff gegenüber dem Reisenden nur durch die bürgerlichen Beweismittel den Abschlufs beweisen, der Reisende gegenüber dem Reeder (den er bei dem Handelsgericht verklagen kann) durch die in Handelssachen zulässigen Beweismittel, vgl. Jacobs Nr. 492, Lyon-Caen Nr. 833. Dagegen verlangt die englische Passengers Act von 1855 (18 und 19 Victoria c. 119) sect. 71 bei Reisen, auf die sich das Gesetz bezieht (d. h. abgesehen von wenigen Ausnahmen allein from the United Kingdom to any place out of Europe and not being within the Mediterranean Sea), Aushändigung eines der vorgeschriebenen Form entsprechenden von Reeder, Schiffer, Überfahrtsexpedienten oder von einem Vertreter derselben gezeichnetes contract-ticket für den Reisenden.

6) Nach dem holländischen H.G.B. (Art. 523) und dem belgischen Code de comm. (Art. 120) darf der Passagier in keinem Falle ohne Einwilligung des Schiffers sein Recht aus dem Transportvertrage einem anderen übertragen. Dasselbe gilt in Spanien (Art. 696), Brasilien (Art. 630), Chile (Art. 1072). Für das französische Recht ist Desjardins III S. VII f umgekehrt in jedem Falle für freie Übertragbarkeit, mit Ausnahme des Falles, wo der Passagevertrag mit Rücksicht auf eine besonders qualifizierte Person abgeschlossen ist (z. B. ein Billet zu einem ermäfsigten Preise einem fonctionaire civil ou militaire ausgehändigt ist).

7) Anders nach den Gesetzen von Ägypten (Art. 132), Türkei (Art. 136), für Post- und Packetboote, die zur Beförderung von Passagieren bestimmt sind, ebenso in England und Nordamerika, für alle Schiffe, welche regelmäfsig Passagiere befördern und dies öffentlich ankündigen (Abbott p. 209 ff, Parsons I p. 611 ff.), ebenfalls in Frankreich, vgl. N. 19 zu § 556. Dernburg, Preufs. Privatrecht II § 43 a. E. nimmt eine

$665.

Der Reisende ist verpflichtet, alle die Schiffsordnung betreffenden Anweisungen des Schiffers zu befolgen.

Die Schiffsordnung darf alles anordnen, was zur Absperrung der allein dem Schiffahrtsbetrieb gewidmeten Räume dient, was die Sicherheit des Schiffes und der Ladung, die Erhaltung der Gesundheit und Ordnung, die Benutzung der für alle Reisenden gemeinschaftlich bestimmten Räume, der Rettungsboote und Rettungsapparate betrifft. Die Befolgung der Schiffsordnung kann unmittelbar erzwungen werden. Dagegen sind Disciplinarstrafen nicht zulässig. Näheres siehe Bd. I. S. 447-448. Es ist möglich, durch ausdrücklichen Vertrag die Befugnisse des Schiffers zu erweitern, z. B. Vertragsstrafen (§§ 339 ff. B.G.B.) für den Fall der Nichtbefolgung der Schiffsordnung festzusetzen. 1)

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Der Reisende, der sich vor oder nach dem Antritte der Reise nicht rechtzeitig an Bord begiebt, hat das volle Ueberfahrtsgeld zu bezahlen, wenn der Schiffer die Reise antritt oder fortsetzt, ohne auf ihn zu warten.

Der Reisende hat sich rechtzeitig an Bord zu begeben, d. h. wenn der Termin der Abfahrt des Schiffes im voraus bestimmt ist, vor diesem; wenn dies nicht der Fall, sofort auf die Aufforderung des Schiffers oder auf die Mitteilung desselben von der Fahrbereitschaft. 1)

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Wenn der Reisende vor dem Antritte der Reise den Rücktritt von dem Ueberfahrtsvertrag erklärt oder stirbt oder durch Krank

Pflicht zur Beförderung für alle zur Beförderung konzessionierten Anstalten an (vgl. auch Reuling in Goldschmidts Zeitschr. Bd. 16 S. 672), danach müfste für Auswandererschiffe ein solcher Zwang bestehen, das Gesetz enthält hierüber keine ausdrückliche Bestimmung, eine solche kann in die Konzessionsurkunden aufgenommen werden.

1) Auf den Fahrkarten sind nicht selten diese Vertragsbedingungen aufgedruckt mit der Klausel, dafs sich der Reisende durch Annahme der Karte den Bedingungen unterwirft. Es ist stets bedenklich, dies gut zu heifsen, wenn der Reisende nicht vor dem Nehmen Gelegenheit hatte, sich mit diesen Bedingungen bekannt zu machen. Waren ihm die Bedingungen nicht bekannt, so mufs ihm wenigstens frei stehen, vor Antritt der Reise zurückzutreten und die Karte zurückzugeben. Von den gewöhnlichen abweichende (z. B. neue) Klauseln müssen besonders ersichtlich gemacht werden. Über Kontrakte mit den Auswanderern s. §§ 22 ff. Ausw.Ges.

1) Holland (Art. 522), Belgien (Art. 127), Ägypten (Art. 136), Türkei (Art. 139), Brasilien (Art. 629) enthalten die gleiche Bestimmung wie das D.H.G.B.

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