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III.

Mittheilungen aus Algerien.

Von Dr. L. Buvry.

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Der südliche Höhenzug.

a) Das Sidi Scheikh-Gebirge.

Die Steppen Algeriens werden im Süden durch einen Höhenzug begrenzt, welcher sich von Marokko bis Tunis ausdehnt und an den einzelnen Stellen verschiedene Namen führt. Da dieser Gebirgszug, obwohl er noch dem Norden Algeriens angehört, doch bisher ebenso wenig wie seine Bevölkerung bekannt geworden ist, so will ich im Folgenden eine Beschreibung desselben geben.

Im Westen heifst derselbe das Sidi Scheikh-Gebirge und zieht sich durch die ganze Provinz Oran von SW. nach NO. hin; er beginnt auf der marokkanischen Grenze mit dem Massiv des Djebel Sfa, und dehnt, nur hin und wieder von Flufsbetten gewaltsam durchbrochen, seine Kette bis zum Djebel Nuiderat aus. Dieses Bergrevier mit seinen vielen Vorsprüngen und steilen Abhängen trägt besonders auf seiner Nordseite einen wild romantischen Charakter, der am meisten dort hervortritt, wo dasselbe an die Hochebene grenzt. Fast überall bedecken Waldungen das Gebirge; sie bestehen grofsentheils aus Morus nigra, Juniperus occicedrus, phoenicea und macrocarpa, Salix pedicellata, Quercus ballota, Ilex und corcifera, Pinus halepensis und Pistacia atlantica. Obwohl diese Waldungen auf den nördlichen Abhängen schon ziemlich dicht erscheinen, so sind sie doch in den Bergeinschnitten und Schlünden noch bedeutend dichter und vielfach mit Gebüschen, namentlich Spartium scoparium L. nebst verwandten Arten, Rubus fruticosus, und mit wildem Wein untersetzt. Die tiefsten Gründe der Longitudinal-Thäler werden von Gebirgswassern eingenommen, welche alle ohne Ausnahme einen sehr schnellen Lauf haben und von den Bewohnern dieser Gegenden zur Bewässerung der terrassenförmig angelegten Gärten verwendet werden. Diese Gärten sind daher auch überaus fruchtbar und reich an Obstarten, wie denn hier auch ausgedehnte Palmen - Pflanzungen ihre Früchte zu vollständiger Reife bringen. In diesen Thälern concentrirt sich das regste Leben der Bevölkerung, die Wohnungen der Stämme sind hier zu Ortschaften gruppirt, und der diese Gegenden besuchende Fremde sieht verwundert das lebendige geschäftige Treiben der Bewohner, die malerisch gelegenen

Zeitschr. f. allg. Erdk. Neue Folge. Bd. II.

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Ortschaften, den frischen Pflanzenwuchs, die üppig strotzenden Fruchtbäume, und glaubt sich in die blühendsten Gegenden des Tell versetzt 1). Gegen die Armuth der Steppen, die sich am Nord- und Südabhange dieses Höhenzuges ausbreiten, hebt sich der Contrast um so seltsamer hervor.

Nicht minder interessant als diese anmuthigen Thäler, wenn auch in anderer Weise, sind die Transversalschluchten dieses Gebirges. Meist sind es jähe Bergeinschnitte, welche durch die Gewalt der Wasser ausgehöhlt worden sind und deren Wände sich in überaus grotesken Formen darstellen.

Derartige Gebirgspässe werden von den Arabern bab, Thor, oder biban, Thore, genannt, und da die hindurchbrechenden Flüsse selten viel Wasser führen, so werden sie auch von den Bewohnern als Strafsen benutzt und sind deshalb strategisch sehr wichtig. Einer der wichtigsten Pässe dieser Art ist in der Provinz Constantine der Bab el Kantara, dessen ich geeigneten Ortes näher gedenken werde.

Soviel ich weifs, ist das Sidi Scheikh-Gebirge bisher von wissenschaftlichen Reisenden noch gar nicht besucht worden, daher man die darüber veröffentlichten Berichte nur mit Vorsicht benutzen darf 2). Ebensowenig ist über die positive Höhe der Bergkuppen etwas festgestellt worden und nur aus den Höhenbestimmungen der Djebel Amur und Sahari, so wie des Djebel Schelia und dem Mangel an bedeutenden Flüssen, welche auf denselben entspringen, darf man schliessen, dafs dieses Gebirge sich nicht bis zur Schneelinie erhebt, ja wohl nicht einmal die Höhe der Küstenzone erreichen mag.

Die Uled Sidi Scheikh, die Bewohner des Sidi Scheikh-Gebirges nehmen unter den Stämmen Algeriens eine sehr hervorragende Stellung ein. Ihre Seelenzahl beträgt nach den statistischen Berichten des Kriegsministeriums vom Jahre 1851: 17,533. Je nach ihrer Lebensweise, als Bewohner der zahlreichen Ortschaften des Gebirges oder unter Zelten lebend, sind sie Handelsleute oder Hirten, und theilen sich nach dem West- oder Ostbezirk des Gebirges in die (westlichen) Uled Sidi Scheikh Scheraga und die (östlichen) Uled Sidi Scheikh Raraba. Die ersteren sind an Zahl die bedeutend schwächeren; beide zusammen genommen bestehen aus siebenzehn Stämmen.

Jede dieser beiden Fractionen hat ein Oberhaupt, unter dessen Befehl gleichzeitig die Ortschaften stehen. Dieselben sind stets Scherif und stammen von dem ersten Kalifa des Propheten: Sidi Bu Bekr

') Die Araber nennen übrigens einzelne Stellen dieser Thäler auch Tell. 2) Das Bemerkenswertheste, was wir über dies Gebirge wissen, ist dem General Daumas zu verdanken, welcher seine Berichte aus dem Munde von intelligenten Arabern bekam und deren Aeusserungen nach kritischer Sonderung zusammenstellte.

Seddik ab. Bei den Arabern ist die Würde eines Scherif nächst der des Kalifa eines der höchsten Anrechte auf Ansehen, dieselbe ist erblich und wird nur durch directe Abstammung von dem berühmten Stamme „Koraïsche", zu welchem Mohammed und seine Familie gehörte, bedingt. Eigentlich ist die Bezeichnung Scherif egyptischen Ursprungs, in Algerien werden sonst die Inhaber dieser Würde Duanda genannt.

Doch nicht blos die Häupter der Uled Sidi Scheikh stehen in hohem Ansehen, sondern der ganze Stamm selbst; besonders sind die Uled Sidi Scheikh wegen ihrer Frömmigkeit und Rechtgläubigkeit weithin berühmt; der gröfsere Theil davon besteht aus Marabut, Priestern und Tolba, Gelehrten, die angesehensten und reichen Familien gehören dem militärischen Adel an und sind Djuad (Dschuad), aus denen die oberste Versammlung, Djemâa, oder der Rath der Notabeln, gewählt wird.

Seit unendlichen Zeiten haben die Religion und ihre Diener in Krieg und Frieden bei den Arabern einen sehr wichtigen Einfluss ausgeübt, deshalb zählen auch die Uled Sidi Scheikh bei ihren Glaubensgenossen anderer Stämme zahlreiche Anhänger und Verehrer und der Ruf ihrer Heiligkeit ist über ganz Algerien nach Marokko hin und durch die grofse Sahara verbreitet.

Aus diesen Gründen sind eine bedeutende Anzahl von Stämmen des südlichen Algeriens so wie der Sahara mit ihnen ein Defensivund Offensiv-Bündniss eingegangen und nennen sich ihre Kheddam, Diener. In den häufigen Fehden mit den Schamba von Metlili und Goléah machen sie gemeinschaftliche Sache, wie auch bei Razzia's; wenn es gilt, einen begangenen Mord zu rächen, stellen sich die Kheddam zur Verfügung der Uled Sidi Scheikh. Zu diesen Kheddam zählen sich die Schamba, die Bewohner Uargl'a's, von Mekhadma, Tuat, el Aruat Ksal, die Hälfte der Arba, die Uled Khelif, Uled Schaïb, Zenakha, die Stämme des Djebel Amur, die Hälfte der Harat, von Hál Engad, Hassessena, die Beni Am'r, die Hamianen, Dui Menia, Dja'fra und Uled A'iad.

Durch diese Kheddam verstärkt bilden die Uled Sidi Scheikh eine imposante Heeresmacht und hatten bis auf die neueste Zeit ihre Unabhängigkeit vollständig gewahrt. Erst der Emir Abd-el-Kader unternahm es, diesen Stamm sich tributpflichtig zu machen und besteuerte die einzelnen Individuen bei ihrem Erscheinen im Tell, namentlich beim Besuche der Stadt Tlemsen. Die an vollständige Unabhängigkeit gewöhnten Uled Sidi Scheikh sträubten sich gegen solches Verfahren und zogen es anfangs vor, ihre Vorräthe auf marokkanischem Gebiete einzukaufen. Indessen mussten sie davon zurückkommen,

da die 15-20 Tage lange Reise ihnen pecuniär zu viel Schaden brachte; sie besuchten daher wieder den Tell und unterwarfen sich einer jährlichen Abgabe, Aschur genannt. Die jetzigen Beherrscher des Tell, die Franzosen, haben dies Steuerverfahren auf alle südlichen Stämme Algeriens ausgedehnt und so dem arabischen Sprichworte Bestätigung verschafft, welches sagt: Der Tell ist die Mutter der Saharabewohner, wer sie heirathet ist unser Vater."

Die Uled Sidi Scheikh sind streng in ihren Sitten und in der Aufrechterhaltung der religiösen Gebräuche; ihre Töchter dürfen keine Ehen mit Männern anderer Stämme eingehen, wenn diese nicht Dschuad, Marabut oder Tobba sind. Der Kaiser von Marokko, Muley Abd-erRhaman, verschmähte es nicht, um ein Kind der Uled Sidi Scheikh, die wegen ihrer Schönheit berühmte Tochter des Sidi Hamza, mit dem Beinamen el Jakut, der Rubin, anzuhalten und sie als seine Gemahlin heimzuführen.

Die Uled Sidi Scheikh sind ein sehr schöner Menschenschlag, Araber vom edelsten, reinsten Blute, von hoher kräftiger Statur, schöner Gesichtsform, mit reicher Kleidung prunkend, gastfreundlich bis zum Uebermaafse, vollendete Reiter, ausgezeichnete Krieger und geübte Jäger.

Wie schon erwähnt betreibt ein Theil dieser Bevölkerung Handelsgeschäfte, die übrigen sind Nomaden. Von den letzteren haben die Uled Sidi Scheikh-Scheraga-Hirten ihre Weideplätze in den Ländereien, welche südlich von dem Uëd Zergun, nördlich von Stitten, östlich von Bu Allam und westlich von Laghuat begrenzt werden. Die Nomaden der Uled Sidi Scheikh Raraba weiden ihre Heerden auf den weiten Strecken el Biod Rarbi im Osten, Figig in Westen und in den nördlichen Gebirgen. Ihre Zelte sind aus Kamelhaar gefertigt und schwarz gefärbt. Je nach dem Reichthum oder der Würde ihres Besitzers sind dieselben mit einem mehr oder minder grofsen Büschel Straussenfedern geschmückt. Diese Eigenthümlichkeit findet sich bei keinem anderen Stamme Algeriens wieder. Obgleich ihr Reichthum an Heerden aufserordentlich ist, so besitzen sie doch weder Rindvieh noch Maulthiere.

Derjenige Theil der Uled Sidi Scheikh, welcher Handel treibt und zu dem sich auch einige Nomaden, Rehhala genannt, gesellen, besucht wie die Hamianen den Tell und vorzugsweise den Markt der Stadt Tlemsen, um die nöthigen Bedürfnisse einzukaufen, dieselben mit Hundert vom Hundert Gewinn in den Oasen und Handelsplätzen der Beni M'zab, Metlili, Figig und Timimum zu verwerthen. Aufser Getreide führen sie als Handelsartikel noch Butter, Käse, Wollenstoffe, Teppiche (Frasch genannt), Stricke von Palmenfasern, runde mit Straussenfedern besetzte Strohhüte von colossalen Formen. Gegen diese Arti

kel tauschen sie Gewehre, Pistolen, Pulver, Kugeln, Haïk's, Burnu's, englische Baumwollenstoffe, englische Eisenwaaren, Datteln, Hennah, Taback und Saya, eine Art schwarzen Kattuns, ein, welche Gegenstände ihnen in ihrem Lande gleich hohen Gewinn bringen.

Man kann aus der Schilderung dieser Völkerschaft ermessen, von wie hoher Wichtigkeit die Unterwerfung derselben sein mufste, und die Gefangennehmung Abd-el-Kader's war für die Franzosen ein um so höherer Gewinn, als sie die Unterwerfung der Uled Sidi Scheikh im Gefolge haben musste.

Wenn auch bei dem über kurz oder lang bevorstehenden Kampfe gegen Marokko, die südlichen Stämme vielleicht nicht sollten vermocht werden können, gegen ihre Glaubensgenossen in's Feld zu ziehen, so dürfte das Beispiel ihrer Unterwerfung und schon ihre passive Haltung bei solchem Kriege von starkem moralischen Gewichte zu Gunsten Frankreichs sein.

Es wird nicht ohne Interesse für den Leser sein, nachstehend einige Bemerkungen über die Flecken und Dörfer (Ksur genannt) der Uled Sidi Scheikh zu finden, da aus denselben auch Aufklärung über die socialen Zustände dieses wichtigen Stammes erlangt wird.

Die Flecken und Dörfer dieses Gebirgsvolkes haben, wie schon oben erwähnt, alle eine höchst romantische Lage in Schluchten und Thälern oder hoch auf den Felsen. Fast alle sind von einer Mauer umgeben und diese, so wie die Häuser des Ortes selbst, ist je nach dem Terrain, auf welchem der Bau steht, entweder aus Stein oder aus Luftziegeln aufgeführt, die von Lehmerde geknetet und an der Sonne getrocknet sind. Selten haben die Häuser Fenster; kleine einander gegenüberstehende Oeffnungen bringen einen heilsamen Luftzug hervor, der namentlich im Sommer das Innere der Wohnungen sehr angenehm macht. Die Häuser haben Terrassen und da der Kalk in ganz Algerien nur ein von Frankreich eingeführter Luxusartikel ist, so besteht das Verbindungsmaterial meist aus Erde oder Gips; natürlich wird dies Material durch die im Winter niederströmenden Sturzregen fortgeschwemmt und die Terrassen sinken in Folge dessen zusammen, aber der Araber ist daran gewöhnt und ein alljährlicher Umbau des gröfsten Theils seiner Wohnung versteht sich bei ihm so zu sagen von selbst. Die Umgebung der Dörfer oder Städte bilden ausgedehnte Gärten, die in langer Reihe hinter einander liegen und von einem Gebirgsbache oder kleinen Flusse mit sehr schmackhaftem Wasser bespült werden.

Auf die Cultur dieser Gärten verwenden die Uled Sidi Scheikh grofsen Fleifs; Birnen, Aepfel, Feigen, Maulbeeren, Johannisbrod, Mandeln, Oliven, Pfirsiche und Granaten liefern reichen Ertrag.

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