Sidebilder
PDF
ePub

Rechte und Verbindlichkeiten und die Acte der usurpatorisch ausgeübten Staatsgewalt überhaupt als gültig zu betrachten seien? so ist diese allgemeine, und jede damit zusammenhängende, speciellere Frage rein staatsrechtlicher Natur, d. h. sie muss aus dem Wesen oder dem Rechte des Staats beurtheilt und gelöst werden.

Eine wesentliche Voraussetzung dafür ist natürlich die, dass während des Interregnums wirklich ein staatlicher Zustand stattgefunden, d. h. dass zwischen dem s. g. Usurpator und den Landesbewohnern ein, in irgend einer Weise definitiv geregeltes Verhältniss von Herrschaft und Gehorsam, wie es im Staatsbegriff gegeben ist, bestanden habe, vermöge dessen die bestehende Gewalt wirklich die Rechte und Pflichten einer ordentlichen Obrigkeit im eigenen Namen ausüben wollte und die Unterthanen sich dieser Gewalt als ihrer staatlichen Obrigkeit unterworfen und die Unterthanspflichten gegen dieselbe erfüllt haben; wodurch wieder die eigentliche Zwischenherrschaft sich von einer blossen feindlichen Occupation und von einer augenblicklich dominirenden revolutionären Gewaltherrschaft unterscheidet. Dagegen ist es für die Frage von der Rechtsgültigkeit der Handlungen eines Zwischenherrschers ganz einerlei, ob die Zwischenherrschaft in Folge gewaltsamer Revolution im Innern des Staats eingetreten, oder von einer zwingenden auswärtigen feindlichen Macht eingesetzt worden ist. Auch die republicanische Regierung Frankreichs und das Regiment Napoleons war im Sinne der Restauration nur eine Zwischenherrschaft; die Bourbonen der ältern Linie sahen auch die 1830 in Frankreich eingesetzte Regierung nur als eine usurpatorische an, und wahrscheinlich würde auch der Herzog Carl von Braunschweig, wenn er einmal restaurirt werden sollte, von einer sein legitimes Herrscherrecht nur factisch beseitigt habenden Usurpation seines Bruders Wilhelm reden.

[ocr errors]

Der Hauptgrund aber, weshalb man sich im Falle einer eigentlichen Zwischenherrschaft im Allgemeinen für die Rechtsgültigkeit der an sich oder nach der bestehenden Verfassung nicht rechtswidrigen Regenten handlungen denn nur

[ocr errors]
[ocr errors]

von diesen ist hier die Rede entscheiden muss, liegt in der nothwendigen Fortdauer eines staatlichen Rechtszustandes, mit welcher die willkührliche, rückwärts wirkende Vernichtung der Regierungsacte aus der Zeit des Interregnums rechtlich als ganz unvereinbar erscheinen muss. Ist aber, wie bereits in meinem Staats- und Bundesrecht Thl. I. S. 203, mit Rücksicht auf die Behandlung der Frage im Schoosse der Bundesversammlung bemerkt ist, die Frage:

ob das rechtliche Dasein und die Fortdauer des Staats von der Ausübung der Regierungsgewalt durch das nach der bisherigen Verfassung berechtigte Subject bedingt sei?

--

[ocr errors]

zu verneinen, und kann man demgemäss auch die factische Aufhebung des Regierungsrechtes des legitimen Fürsten nicht einer Aufhebung des Staatsverbandes selbst gleichstellen ; kann auch die Rechtsverbindlichkeit der, wie der Staat selbst ununterbrochen fortdauernden, Staatsgewalt nicht von dem älteren Rechte auf dieselbe abhängig gemacht werden. Derselbe Grund, welcher den Nachfolger in der Regierung überhaupt verpflichtet, die Handlungen des Vorgängers anzuerkennen, einerlei, aus welchem Grunde er succedirt, ob er Erbe des Vorgängers ist, oder nicht wobei sich die Möglichkeit einer Abänderung für die Zukunft natürlich von selbst versteht, nöthigt auch den restaurirten legitimen Landesherrn, die gesetzoder constitutionsmässigen Acte des Interregnums, insoweit sie nicht gerade die Ausschliessung seiner Dynastie betreffen, als gültige Regierungsacte anzuerkennen, und, vorausgesetzt, dass überhaupt noch von einer Rechtsnachfolge in dieselbe Staatsgewalt die Rede sein kann, übernommene Verbindlichheiten der Zwischenregierung zu erfüllen. Dass übrigens in Republiken, in welchen z. B. eine Einherrschaft als Zwischenherrschaft bestanden hätte, nach erfolgter Restauration der alten Verfassung, derselbe Grundsatz gelten müsse, versteht sich ganz von selbst.

Man hat zwar dieser Lehre den Vorwurf gemacht, dass sie politisch gefährlich sei, und dem Legitimitätsprincipe ganz und gar widerspreche; insbesondere ist die Doctrin von der

Fortdauer der Staatsgewalt oder dem ewigen Staat" verspottet, z. B. in der Schrift von Schaumann, oder wohl gar als eine revolutionäre Neuerung bezeichnet worden. Namentlich hat z. B. die Hannover'sche Abstimmung im Protokoll der Bundesversammlung vom 5. Juni 1823 und die Oesterreichische Abstimmung in der Angelegenheit der westphälischen Domainenkäufer im Protokoll vom 4. December 1823, indem sie die in dem Gutachten der Reclamationscommission S. 10 vorgetragenen staatsrechtlichen Grundsätze missbilligt, über diese das Verdammungsurtheil ausgesprochen.

[ocr errors]

Allein wenn, was die politische Gefährlichkeit dieser Doctrin betrifft, z. B. in der Braunschweigischen Abstimmung vom 4. December 1823 auf die nachtheiligen Folgen davon aufmerksam gemacht wird, wenn die Dispositionen einer usurpatorischen Regierung anerkannt werden müssten, so liegt dabei theils wieder die offenbare Verwechselung der eigentlichen Zwischenherrschaft mit der gar keinen neuen staatsrechtlichen Zustand begründenden Occupation eines Landes durch den kriegführenden Feind zu Grunde, theils lässt sie unerwogen, dass den Unterthanen das Urtheil darüber, ob die frühere Regierung der gegenwärtigen gegenüber noch ein Recht habe, nicht zugemuthet werden kann, und dass der gemeine Mann selbst durch religiöse Vorschriften darauf angewiesen wird, der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat, unterthan zu sein. Hiermit würde aber die Ueberzeugung, dass man dessen ungeachtet mit der bestehenden Regierung in keine rechtsverbindliche Geschäfte eingehen könne, oder dass die Acte derselben ungültig seien, sich vernünftiger Weise gar nicht vereinigen lassen, und andererseits der Zwischenherrscher gewissermaassen autorisirt werden, nur darauf Bedacht zu nehmen, wie er seine Herrschaft möglichst zu seinem eigenen Vortheil ausbeuten könne, was natürlich nur zum allgemeinen Verderben des Landes ausschlagen würde 1). Der Eroberer würde der Gegenwart um so mehr aufbürden, je weniger er eine Anerkennung von der Zukunft zu erwarten hat,

1) Stickel, Beitrag zu den Lehren von der Rechtsbeständigkeit der Handlungen eines Zwischenherrschers, S. 44.

und deshalb z. B. keine Anlehen machen, sondern das Geld da wegnehmen, wo es sich darböte 1). Mindestens muss es demnach als höchst zweifelhaft betrachtet werden, welche von den beiden sich einander gegenüberstehenden Ansichten wirklich staatsgefährlicher sei.

[ocr errors]

Die Lehre vom ewigen Staate" aber, die natürlich dadurch nicht widerlegt wird, dass die Geschichte von vielen untergegangenen Staaten zu erzählen weiss, und die keinen andern Sinn hat, als dass jeder Staat seiner Natur und Bestimmung nach ein dauernder und unauflöslicher Verein sei, und dass die Staatsgewalt unabhängig von den wechselnden Inhabern, der Rechtsidee nach, ununterbrochen fortdauere, - ist keine neue Erfindung der speculativen Philosophie, sondern wohl so alt, wie die Staaten selbst 2). Es würde nicht schwer sein, aus dem Römischen Recht zu beweisen, dass das imperium als etwas ununterbrochen Fortdauerndes angesehen wurde. Auch die Juristen des Mittelalters (z. B. Baldus) personificiren die Staatsgewalt als die den Staat ununterbrochen repräsentirende Macht und leiten daraus die Verpflichtung jedes Nachfolgers zur Anerkennung desjenigen ab, was im Namen des Staats geschehen ist, und denselben Sinn hat in dem früher streng monarchischen Frankreich das Sprüchwort: „Le roi ne meurt pas." Mit dem Legitimitätsprincip kann aber diese Lehre deshalb gar nicht im Widerspruch stehen, weil ohne sie das Princip selbst ganz seine Basis verlieren und der rechtliche Zusammenhang auch zwischen den auf einander folgenden legitimen Throninhabern aufgehoben werden würde.

Ganz einerlei ist es übrigens für die Beurtheilung der vorliegenden Rechtsfrage, ob man den Rechtsgrund der Staatsgewalt in einem nach freier Willkühr abgeschlossenen Vertrag, oder auf irgend ein Gesetz der Nothwendigkeit gründet. Denn der Begriff und das Wesen des Staats selbst wird dadurch nicht afficirt. Auch das monarchische Princip 3) in seiner

1) K. S. Zachariä, vierzig Bücher. Band V. Seite 124.

2) Hugo Grotius, De J. B. et P. Lib. II. Cap. IX. §. 3. „Dixit Isocrates et post eum Julianus imperator civitates esse immortales.“

3) Das monarchische Princip ist blos gegen die wirkliche Theilung

strengsten Auffassung hat mit dieser Frage an sich gar nichts zu schaffen. Mit der Patrimonialitäts-Theorie, welche in dem frühern deutschen Staatsrecht allerdings für die Bestimmung der Rechte der Territorialherren sehr maassgebend gewesen ist, konnte man freilich zu der Folgerung gelangen, dass der restaurirte Fürst die Regentenhandlungen des Usurpators ebensowenig anzuerkennen brauche, als der Eigenthümer einer Sache die Verfügungen eines unberechtigten Besitzers derselben. Allein es bedarf wohl hier keines weitern Nachweises, dass das deutsche Staatsrecht, wenn es auch in gewissem Sinne ein Eigenthum des Fürsten an der Staatsgewalt anerkannte, schon längst die privatrechtlichen Analogieen vom Eigenthum an beweglichen und unbeweglichen Sachen zurückgewiesen hat. Denn man konnte nicht verkennen, dass sich ein lebendiger Staatsorganismus nicht mit einem Grundstück vergleichen lasse und dass die Bedeutung jenes staatsrechtlichen Eigenthums nur aus der Natur und dem Wesen seines Objectes, des Staates nämlich, ihre rechtliche Begrenzung erhalten könne. Daher musste man selbst bei einer vernünftigen Auffassung der PatrimonialitätsTheorie nothwendig zu dem Resultate gelangen, dass der Staat als lebendiger Organismus nicht zu existiren aufhöre, wenn auch der legitime Inhaber der Staatsgewalt von der Regierung ausgeschlossen werde, und dass das Unrecht, welches in seiner Vertreibung oder Ausschliessung liegt, nicht auch die Rechtsungültigkeit der Acte der usurpatorischen Regierung im Gefolge haben könne. Man kann es daher nur als einen auf Hallerschen Theorieen beruhenden Irrthum und als eine der fürstlichen Gewalt selbst höchst nachtheilige Uebertreibung betrachten, wenn in der Hannover'schen Abstimmung vom 5. Juni 1823 erklärt wird, dass die Lehre vom ewigen Staat „mit den Grundsätzen

dass

der Staatsgewalt zwischen Staatsoberhaupt und Volksrepräsentation gerichtet. Wer rechtmässig als Staatsoberhaupt fungire, bleibt dabei ganz ausser Frage und der Satz der Hannover'schen Abstimmung vom 5. Juni 1823 (Protokoll der Bundesversammlung §. 98. S. 240), „ ein staatsrechtlicher Zustand wegen dieses Princips unter einem eingedrungenen Regenten nicht bestehen könne“, beruht auf einer völligen Verwirrung der Begriffe.

« ForrigeFortsett »