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Deutsches Lesebuch. 72

Zweiter Theil.

Handbuch

für den

Deutschen Unterricht

in

den oberen Klassen der Gymnasien.

Mit Einschlus

der Rhetorik, Poetik, Literaturgeschichte und der schriftlichen Aufsäge.

Von

Heinrich Bone,

Director am Gymnasium zu Recklinghausen.

Dritte Auflage.

Köln, 1857.

Verlag der M. DuMont-Schauberg'schen Buchhandlung.

Drud von M. DuMont-Schauberg in Köln.

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Es ist schon oft vorgekommen, daß man aus dem einen oder andern Stücke, welches ein Fescbuch mittheilt, zugleich eine Vorstellung von den Gesammtwerken des Schriftftellers fich bildet. Wenn dem so recht wäre, so würden hoffentlich alle Schriftsteller, die in diesem Buche auftreten, untadelhaft erscheinen und ohne Bedenken auch in ihren Gesammtwerken von der Jugend zur Hand genommen werden können. Dem ißt aber nicht so. Es lastet eine unsägliche Schmach auf der neueren Deutschen Literatur; oft kann man von einem ganzeu Dichter kaum das eine oder andere Stück (meißt nur die allbekannten) herausfinden, welches ohne Außtch in die Schule, oder ans reine Licht des Tages dürfte geführt werden. So haben es die alten Heiden nicht gemacht, deren Werke noch heutzutage frei und wirksam in den Händen der Jugend leben. Ja, so weit geht diese Schmach, daß Männer, die deutlich genug ihre chriftliche Ueberzeugung und Gesinnung an den Tag legen, 4 dennoch in ihren Gedichten sich oft gebärden, als ob die Muse eine Freigelassene des Christenthums und der Sittlichkeit wäre, ja, als ob sie den Freibrief hätte, der chriftlichen Strenge gegenüber eine Zuflucht alles Uuchriftlichen im Menschen zu bilden. Andere Künfte haben es darin freilich nicht viel besser gemacht. Darum Achtung und Verchrung gegen jedes Gute und Schöne, was alle diese Männer geleistet haben! und ihre Persönlichkeit erst recht wie ein unantaßbares Heiligthum betrachtet, in das allein Gott schauet! aber Mißtrauen gegen alle Gesammtwerke der einzelnen Schriftsteller, bis sie dir verbürgt find von denen, die fie kennen! Wie mit einer Wurfschaufel wird die Zeit die Tenue fegen.

Vorwort zur ersten Auflage.

Die nächste Veranlassung zur Herausgabe dieses Buches war der schon seit Jahren vielseitig geäußerte Wunsch, daß ich dem Lesebuche für die unteren und mittleren Klaffen, welches bereits in acht starken Auflagen seine Verbreitung gefunden, auch einen zweiten Theil, für die oberen Klassen, anschließen möge, der in demselben Geist und Sinne bearbeitet sei. Daher sind es auch zunächst die Freunde jenes ersten Theiles, welchen der gegenwärtige zweite fich zu gleichem Dienste erbietet. Da nun Geist und Sinn derselbe geblieben, sich überdies anderweitige Gelegenheiten gefunden, bei welchen der Verfasser sich über den Deutschen Unterricht ausführlicher auszusprechen gern Veranlassung genommen, und da endlich im Verlaufe des gegenwärtigen Werkes selbst, namentlich in den legten Abschnitten, vielfache Gelegenheit und Nothwendigkeit zu grundsäglichen Aussprüchen und Erörterungen gewesen, so bedarf es diesmal keiner umfassenden Einleitung, um den Boden zu bezeichnen, auf welchem das Ganze entsprungen, und auf dem es seine Wirksamkeit und Früchte sucht. Es ist aber ein Boden, der sowohl im Ganzen, als in manchen vielleicht minder wesentlichen Einzelnheiten einen Geist der Entschiedenheit offenbart; und da mögen diejenigen, die ich meine, es fühlen, daß ich sie meine, wenn ich die aufrichtige Bitte ausspreche, daß niemand durch folche Entschiedenheit sich verlegt fühlen möge, sondern jeder bedenken wolle, daß ohne Entschiedenheit keine Wahrheit Frucht bringt und keine Unwahrheit zu nichte wird.

Die allgemeinen Gesichtspunkte, welche bei der Abfassung leitend gewesen und in der Natur der Sache begründet fein dürften, find folgende:

1) Der sittliche und religiöse. Ohne Sittlichkeit hört die menschliche Würde auf; was der Sittlichkeit widerspricht, kann die Sinne reizen, aber nimmer dem Geiste gefallen, weil es dem Geiste selbst widerspricht. Es gibt aber keine wahre und dauernde Sittlichkeit ohne die Religion; denn der Geist der Sittlichkeit ist der Geist Gottes. Ein ganzes Volk ohne Religion ist ein Phantom; es hat keins gegeben und wird feins geben; und so ist auch der einzelne Mensch ohne Religion einem Phantome gleich zu achten; nur die Negation unterhält seine Form, sonst würde er in sich selbst zerrinnen. Eben so kann sich auch niemand ein großes Dichterwerk ohne religiöse Ideen denken; es hat keins gegeben und wird keins geben; und darum gilt dasselbe auch von jedem kleineren, wenn man zu seinen leßten Keimen zurückgeht; kurz, wie die ganze Natur, so lebt auch alles wahrhaft Schöne nur im Göttlichen; aber es 2 braucht das Göttliche nicht immer zur unmittelbaren Schau zu treten, sondern das ift oft gerade ungöttlich, und geht aus Heuchelei und seelenlosem Machwerk hervor; es soll nur heißen: was dem Sittlichen und Göttlichen widerstrebt, kann niemals der ganzen Seele wohlthun und darum auch nicht wahrhaft schön sein. Das sind die Grundsäße in fittlicher und religiöser Hinsicht; und so hoffen wir, daß in dem ganzen Bude sich kein Wörtchen vorfinde, welches dem Sittlichen und Religiösen entgegen wäre, daß sich vielmehr alles in feiner Zusammenwirkung zu dessen Verherrlichung vereinige. Insbesondere aber glauben wir, daß der Schule das höchste Zartgefühl gebühre; denn gar manches, was man ohne Bedenken von der Jugend gelesen weiß, ja, wegen seines Gesammtgehaltes gelesen wünscht, würde in der Schule, bei lautem 3 Vorlesen und auf Erklärung des Lebrers angewiesen, nicht ohne Befangung und darum auch nicht ohne Versuchung vorübergleiten. Diesem Zartgefühl entsprechend, haben wir manche, nach Werth und literarischer Stellung sonst bedeutsame Gedichte fallen lassen, und an einigen wenigen, übrigens kaum beachtenswerthen Stellen eine leichte Aenderung oder Auslassung nicht für unerlaubt gehalten.

2) Der ästhetische und literarische. Im Ganzen ist der Grundsaß befolgt worden, nur das Schöne und Bedeutsame vorzuführen, und zwar unter Manchfaltigkeit der Stoffe und der Formen. Allein die literarhistorische Rücksicht gebot, auch manches aufzunehmen, was einer ästhetischen Kritik gegenüber sich nicht bewähren dürfte, so daß wir durchaus nicht alles Aufgenommene für claffisch schön erklärt haben wollen.

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