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dasz die Lenaeen nur ein Theil der ländlichen Dionysien, aber zugleich der erste Tag der Anthesterien gewesen sein sollen, welcher zugleich Pithoegia und (als Theatertag von Avalov) Lenaea geheiszen hätte. Das widerspricht aber sowol der besseren Ueberlieferung der alten als dem durch Namen und Gebräuche sehr bestimmt angedeuteten Charakter jener Feste, von denen die kleinen Dionysien und Lenaeen als Weinlese und Kelterfest, und andrerseits die Anthesterien als ein Fest des Frühlings und des ersten Genusses des durch die letzte Weinlese gewonnenen Weins zwei ganz verschiedenen Jahresabschnitten entsprachen. Ich habe die ganze Untersuchung übersichtlich zusammengefaszt in der stuttgarter Realencyclop. Bd. II S. 1058 ff. und dort auch die wichtigsten Stellen so weit ausgezogen, dasz jeder den ausgesprochenen Resultaten auf eigne Hand folgen kann, vgl. überdies K. F. Hermann gottesd. Alterth. §. 57-59, wo dieselben und andere Belegstellen und Nachweisungen zu denselben Resultaten nachgelesen werden können. Von den ländlichen Dionysien ist bestimmt überliefert dasz sie in den Poseideon, von den Lenaeen eben so bestimmt dasz sie in den Gamelion, von den Anthesterien dasz sie in den Anthesterion fielen. Man erschwert sich das Urtheil, wenn man jede Stelle eines Scholiasten oder Lexikographen, unter denen es bekanntlich viele Faseler und Schwindler, dafür aber auch manche treffliche Autoritäten gibt, für gleich wichtig hält, oder wenn man örtliche Beziehungen von denen der Jahreszeit nicht zu unterscheiden weisz. So war z. B. das alte Heiligthum des Dionysos v Aluvais für Athen in solchem Grade das centrale Heiligthum vieler Gebräuche, Processionen, Opfer, dasz wol die meisten städtischen Dionysien sich dort zu thun machten und die Identität zweier Feste daraus dasz beide dort beschäftigt waren, durchaus nicht gefolgert werden darf. Zuzugeben ist dasz der ionische Lenaeon und der attische Gamelion einander vielleicht nicht genau, wenigstens nicht zu allen Zeiten entsprachen, so wie auch dieses dasz die Lenaeen ursprünglich ländliche Dionysien gewesen sein mögen, da das keltern sich doch nicht von der Weinlese trennen läszt und das Quartier Limnae in Athen immerhin in sehr alter Zeit nicht Stadt (άorv), sondern Demos gewesen sein mag. So mag es auch späterhin den letzten städtischen Abschlusz der sporadisch und zu verschiedenen gelegenen Zeiten auf dem Lande gefeierten Weinlesefeste, d. h. der ländlichen Dionysien gebildet haben, wie ich diese Vermutung auch in jenem Artikel der stuttg. Realencyclopaedie S. 1060 und sonst ausgesprochen habe. Indessen musz dabei die auf guten Zeugnissen beruhende Ueberlieferung, dasz die Lenaeen im Gamelion, nicht wie die ländlichen Dionysien im Poseideon gefeiert wurden, für die spätere Zeit doch anerkannt werden; und vollends die Anthesterien können ohne starke Willkür mit den ländlichen Dionysien und den Lenaeen nicht identificiert werden. Der Vf. sucht sich dadurch zu helfen, dasz er die allgemein angenommene Ableitung der Namen Λήναιος, Λήναια von ληνός die Kelter in Abrede stellt. Es scheint ihm prosaisch den mystischen' Beinamen

Λήναιος von ληνός abzuleiten. Wie ich Th. I S. 241 Bacchus vom weinen abgeleitet habe, so scheint mir Avalos gleichbedeutend nur eine für das griechische Ohr berechnete Umbeugung zu sein und mit der Wurzel Klage (daher Linus) zusammenzuhängen.' Das ist aber nichts anderes als starke und unerlaubte Willkür, und eben so unerhört ist S. 95 die Behauptung man habe keinen Grund die städtischen Dionysien unter den groszen zu verstehen: eben so unhaltbar auch der S. 106 hingestellte Satz dasz die Ambrosia als eine besondere dionysische Feierlichkeit betrachtet werden müsse, welche dem Monat Lenaeon (Gamelion) geblieben sei, nachdem die Lenaea in den Anthesterion verlegt worden wären: als ob sich die ganz mit der Natur und dem Cultus verwachsenen Feste von einer Jahreszeit in die andere nur so verlegen lieszen. Kurz diese ganze Entwicklung ist ein merkwürdiges Beispiel von unberufener Praetension und Rechthaberei in einer allerdings sehr schwierigen und in einzelnen Punkten auch wol zu revidierenden Untersuchung, deren Grundzüge aber doch von Böckh mit solcher Sicherheit und Meisterschaft festgestellt sind, dasz man nur unter den dringendsten Umständen davon sollte abgehen wollen.

Weit besser sind wir daran bei der Untersuchung über die Thesmophorien, zumal seitdem durch die Scholien aus Ravenna zu AristoDenn phanes Thesm. 80. 834 ein so vorzüglicher Anhalt geboten ist. vorher muste man sich auch hier mit unzureichenden oder unzuverlässigen Angaben herumschlagen, daher die Annahmen sehr schwankten. Meine Untersuchung in der Ztschr. f. d. AW. 1835 Nr. 98 hat, glaube ich, das Verdienst den Werth und den einfachen Sinn jener Scholien zuerst in das rechte Licht gestellt zu haben, und ich halte die dort gewonnenen Resultate noch jetzt für die richtigen, wie sie denn auch die volle Zustimmung K. F. Hermanns (gottesd. Alterth. S. 56) gefunden haben, obwol Fritzsche in seiner Ausgabe der Thesmophoriazusen p. 22 ff. 577 ff. auf andere Resultate gekommen war. Der Vf. weisz eben zwischen guten und schlechten Scholien nicht zu unterscheiden, wenn er die zum Theokrit denen zum Aristophanes vorzieht, welche letztere bei jener Nachricht höchst wahrscheinlich aus Didymos geschöpft haben, s. M. Schmidt Didymi Chalcenteri fragm. Lips. 1854 p. 79. Er selbst will die oft besprochene Schwierigkeit des Verses bei Aristophanes, dasz der dritte Tag der mittlere (on) genannt wird, dadurch erklären dasz das Fest zwar vier Tage lang gedauert, aber eigentlich nur aus drei Acten bestanden habe, einer Procession nach Eleusis, die mit ihrer Rückkehr am folgenden Tage für éinen Act gerechnet werden müsse, einem Fasttage (vnotɛía), welcher ausdrücklich uέon genannt wird, und einem Tage der Kalligeneia, welcher das ganze Fest beschlossen habe. Damit wäre allerdings jener auffallende Ausdruck erklärt, aber wie ist es glaublich, dasz man sich in Athen bei so einfach quantitativen Verhältnissen, wie der Zählung und Benennung von Tagen, einer solchen Confusion zwischen idealen und quantitativen Gröszen schuldig ge

macht hätte? Ueberdies beruht die ganze Procession nach Eleusis auf keinem andern Zeugnisse als dem sehr verdächtigen bei dem Schol. zu Theokrit 4, 25, wo die Schilderung des Festes offenbar aus dem nicht mehr richtig verstandenen Ausdruck coμopógia erst gefolgert und damit eine oberflächliche Kunde von Eleusis verbunden ist. Denn die andern Stellen wo von einer Thesmophorienfeier in Eleusis die Rede ist, Justin II 8 und Aeneas Tact. 4, auch dieses spätere und in solchen Dingen unzuverlässige Schriftsteller, werden durch die älteren und besseren Zeugnisse bei Plutarch Solon 8 und Polyaen I 20 vollkommen widerlegt und beseitigt, da diese beiden Schriftsteller denselben Vorfall von welchem jene reden nach dem Vorgebirge Kolias bei Halimus verlegen, wo nach allen guten Zeugnissen auch die attische Thesmophorienfeier am 10n gehalten wurde. Ueberdies hat sich der Vf. durch den Werth den er auf jene Scholien zu Theokrit legt, zu einer falschen Auffassung der Thesmophorien überhaupt bestimmen lassen, die nach allem was wir davon wissen keineswegs ein tragen der Gesetze der Demeter durch eine Procession von Jungfrauen waren, sondern eine mystische und nächtliche Feier der Δημήτηρ Θεσμοφόρος, zu welcher nur verheiratete Frauen hinzugezogen wurden (wie in Rom zum Feste der Bona Dea), weil jene Mysterien ganz vorzugsweise das eheliche Leben und seine natürlichen und sittlichen Ordnungen betrafen, mit Beziehung auf welche auch Demeter coμopópos genannt und als solche verehrt wurde. Und eben damit stimmt nun auch wieder jene mystische Feier zu Halimus oder bei dem Vorgebirge Kolias, welche die bessern Zeugnisse in einen sehr engen Zusammenhang mit der Thesmophorienfeier zu Athen bringen, aufs schönste zusammen, da als der älteste und heiligste Cult jener Gegend die Aphrodite von Kolias bekannt ist, welche in der Umgebung sogenannter Genetyllides verehrt wurde (Paus. I 1, 3. Alciphron III 11), die anderswo Tɛvvaldes hieszen und weibliche Daemonen der Zeugung und Geburt, also des matronalen und ehelichen Lebens waren. Eben diese Aphrodite und die neben ihr verehrte Demeter Thesmophoros wurden also dann von den attischen Matronen gefeiert, beide mit Beziehung auf Erzeugung und Geschlecht, auf den άoоτos лαídov in der übertragenen allegorischen Bedeutung, der dieser Jahreszeit und diesem Saatfeste so nahe lag: so dasz in der That bei dieser ganzen Feier der attischen Thesmophorien jener Demos Halimus und seine Heiligthümer eine ähnliche Bedeutung gehabt zu haben scheinen wie bei den Eleusinien Eleusis, bei den Brauronien Brauron usw. Das alles hat der Vf. entweder nicht wissen wollen, oder er hat eben nicht die Gabe und die nöthigen Kenntnisse von den Religionen des Alterthums, um den richtigen Zusammenhang zu ergreifen wie es ihm denn auch noch sehr an den nöthigen philologischen, kritischen und antiquarischen Vorkenntnissen fehlt, um in solchen Fragen ein entscheidendes Wort mitzusprechen. So gibt er mir S. 128 Schuld, mich mit meiner Harmonistik' mit den Angaben der alten von der Zahl und selbst von den Namen der einzelnen Tage N. Jahrb. f. Phil, u. Paed. Bd. LXXI. Hft. 1.

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in geradem Widerspruch zu befinden, da ich doch in jenem Aufsatze nur die schlechteren Zeugnisse ausgeschieden, dahingegen den besseren mich ganz genau angeschlossen habe, welche letztere der Vf. freilich weder in kritischer Hinsicht zu würdigen noch in realer richtig zu deuten weisz. Ich erlaube mir deswegen auf jene Untersuchung selbst zu verweisen und bemerke hier gegen den Vf. nur noch, dasz ich die Procession von Athen nach Halimus am 10n nicht erdichtet habe, wie er sich ausdrückt, sondern dasz diese Procession, wenn man die Scholien zu Vs. 834 und Photius s. v. Erývia vergleicht und dabei die ganze Folge der Festtage wie sie zu Vs. 80 angegeben wird, ins Auge faszt, nothwendig angenommen werden musz. Ebenso unbegründet ist der Einwurf dasz die Deutung der beiden Namen avodos und závodos, die bei verschiedenen Schriftstellern für denselben Tag (den 11n), nemlich den der Rückkehr von Halimus nach Athen vorkommen, sprachlich unzulässig sei, da ich keineswegs gesagt habe dasz vodos auch Rückkehr bedeute, sondern nur dasz beide Namen für denselben Tag im Gebrauch gewesen seien. Dieses aber wird ganz ausdrücklich von den Scholien zu Vs. 585 überliefert: διὸ καὶ ἄνοδος ἡ πρώτη λέγεται, παρ ̓ ἐνίοις καὶ κάθοδος. Es musz also erklärt werden und erklärt sich von selbst dadurch dasz ein Schriftsteller, der wie Photius den Zug von Athen nach Halimus avodos nennt, die Rückkehr von dort nach Athen nicht wol anders als závodos nennen konnte, da der officielle Ausdruck für den 9n Pyanepsion vielmehr Erývia, der für den 11n "Avodos gewesen zu sein scheint. Auch passt sich dieser Ausdruck besser für den Zug von Halimus nach Athen, da die Küste weit tiefer liegt als Athen, die von der dortigen Mysterienfeier zurückkehrenden Frauen also recht eigentlich zur Stadt hinauf wallfahrteten. Der Vf. scheint aber auch von diesen örtlichen Verhältnissen nur eine sehr unklare Vorstellung zu haben, da er S. 129 die Meinung ausspricht, der Conventikel zu Halimus möge unabhängig von den Thesmophorien in der Stadt, die er erst mit dem 14n Pyanepsion beginnen läszt, vom 10n bis zum 13m dergestalt gefeiert worden sein, dasz die dortigen Frauen am 10n nach Eleusis gegangen, am 11n von dort nach Halimus zurückgekehrt wären, um dort am 12n das fasten, am 13n die Kalligeneia zu feiern : was örtlich gar nicht ausführbar ist. Halimus lag 35 Stadien von

Athen (die Lage ist erst durch Ulrichs in seiner Abh. über die Häfen von Athen richtig bestimmt worden) und zwar südlich an der Küste, so dasz man nach Eleusis nicht wol anders als entweder zu Wasser oder den langen Weg über Athen auf der heiligen Strasze gelangen konnte. Klagen nun schon die Mysten bei Aristophanes über den langen Weg des Iakchoszuges, da Eleusis 4 gute Stunden Wegs von Athen entfernt liegt (ich habe den Weg wiederholt hin und her gemacht): wie sollten es erst die Frauen von Halimus möglich machen, von ihrem Ort an éinem Tage bis Eleusis und am andern Tage schon wieder zurückzugehen? Abgesehen davon dasz nach dieser Anordnung dieselbe Feier zweimal hintereinander stattgefunden hätte, zu

erst vom 10n bis 13n in Halimus und Eleusis, dann vom 14n bis 17n in Athen und Eleusis.

Auf die eigentlichen Untersuchungen dieser Abtheilung folgen sehr zahlreiche Ergänzungen und Verbesserungen zum In Theile und zu der vorliegenden Hälfte des 2n, über vier Bogen, S. 255-328, darunter auch mancherlei über aegyptische Götterlehre und über die Lehre Zoroasters. Der Vf. bittet diese Nachträge als einen Beweis seines bestrebens gelten zu lassen das längst zum Druck fertige Werk durch unausgesetzte Studien seiner Vollendung näher zu bringen.' Weniger günstig gestimmte Beurtheiler könnten dagegen bemerken, dasz sie ein deutliches Symptom der Unreife seien, wie das ganze Werk, dessen gut gemeintes religiöses streben wir übrigens schon früher hervorgehoben haben, in wissenschaftlicher Hinsicht denn in der That durchgehends den Eindruck eines zwar angespannten und eifrigen, aber seiner Ziele und Wege sich durchaus noch nicht sicher bewusten Studiums macht.

10) Griechische Götterlehre von Emil Braun. In zwei Büchern. Hamburg und Gotha, Verlag von Friedrich und Andreas Perthes. 1854. XIV, IV und 732 S. 8.

Den ersten Entwurf dieses Buches hatte sein berühmter Vf. niedergeschrieben für seine Frau, welcher es deshalb gewidmet ist. Daher erklärt sich manche Eigenthümlichkeit der Form und des Inhalts. Dieser sollte nur das nothwendigste umfassen: diejenigen Erscheinungen welche dem gesamten Griechenthum etwa so geläufig gewesen sein mögen, wie die Sprache des Thukydides und Platon eine allen hellenischen Stämmen verständliche und vertraute war'; weshalb entlegnere Quellen, selbst Pausanias, vermieden sind. Die Form aber ist eine sehr elegante, wie der Vf. denn in allen seinen Werken eine schöne und gewählte Sprache liebt, künstlerisch abgerundete Perioden, deren Gedankenfügung er vielfach mit Bildern, Gleichnissen und Analogien zu schmücken pflegt.

In der Vorrede und in den letzten Paragraphen spricht er sich noch etwas näher aus. Er verzichtet auf zwei Methoden, zu deren Charakteristik bei dieser Gelegenheit manch wahres Wort gesagt wird (§. 658. 659): die eine ist bemüht, die verschiedenen Gebilde der Sage auf ähnliche Erscheinungen zurückzuführen, welche die vorgriechischen Religionssysteme darbieten. Die andere hat sich dagegen ein Geschäft daraus gemacht, die poetischen Mythengewebe aufzutrennen und die Elemente derselben zur Aufklärung der Urgeschichte der hellenischen Stämme zu benutzen.' Von beiden sei mit der Zeit noch viel gutes zu erwarten, aber vor der Hand sei es weit nothwendiger und wichtiger, auf die Sprache und den Geist der griechischen Mythen selbst einzugehen und sich damit des Hauptobjects der Untersuchung in Wahrheit zu bemächtigen, was bis jetzt vor lauter Philosophie der Mythologie, comparativer Mythologie und ethnographi

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