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28.

ZUR ERKLÄRUNG DES ERSTEN BUCHES DER

HORAZISCHEN EPISTELN.

Dasz die epistelu des Moralins — mag man über ihren poetischen werlh denken wie man will — zur galtung der didaktischen poésie gehören, kann als unbestritten feststehend angesehen werden: ich finde sogar gerade darin einen wesentlichen unterschied derselben von den sonst vielfach mit ihnen verwandten Satiren, dasz in letzteren dem dichter sein stoff und die darlegung seiner anstellten über denselben viel mehr Selbstzweck ist, während jene direct darauf ausgehen dem lesee die uieinungen des dichters zu erklären und aufzudrängen (vgl. u. a. I 6, 67. 68. I 17, 1—5). mehr als anderswo tritt diese didaktische rieblung des Hör. in der ersten und namentlich in der dritten epistel des zweiten buches hervor: die fragen die er hier behandelt sind nicht nur ganz allgemeiner natur, sondern es fehlt für uns auch in ihnen fast jegliche spur von rücksichlnahme auf die adressaten, wenigstens von solcher rücksichtnahrae, welche die darstellung des Stoffes beeinfluszt hätte, anders steht es in dieser hinsieht mit den meisten episteln des ersten buches: nicht nur dasz einzelne ganz allein persönliche beziehungeu haben und ein allgemeines intéresse nur durch die persönlichkeit des dichters oder des adressaten gewinnen (so namentlich I 8 und 9), auch da wo der dichter Stoffe von allgemeinem intéresse behandelt, ist meistens die färbung gewählt mit rücksicht auf die persönlichkeit an welche iler brief zunächst gerichtet ist, oder doch auf eine von dieser persönlichkeit ausgegangene (mündliche oder schriftliche) anfrage, aufforderung, bitte, wünsch oder dgl. aber es geht auch bei letzleren eine freiere, so zu sagen ungefärbte behandlung des Stoffes nicht unter; ein groszer teil auch der briefe des ersten buches ist geschrieben mit rücksicht auf dessen spätere Veröffentlichung, also für das römische publicum in seiner allgemeinhcil, und wie auch die herausgeber meistens andeuten, sind manche briefe (wie I 7. 17. 18) nicht vollständig zu verstehen, wenn man nicht jene rücksichlnahme des dichters auf das ganze publicum im auge behält.

Wenn wir also auch bei den episteln des ersten buches — wenigstens bei den meisten — eine allgemeine didaktische tendenz anzuerkennen haben, so müssen wir auch hier zunächst den conflict conslatieren, in dem der Verfasser von vorn herein sich befand, und die aufgäbe präcisieren, deren lösung zu den grösten Schwierigkeiten gehörte, insofern er lehren will, verlangt von ihm der leser um so mehr eine logische anorduung des Stoffes, als derselbe ein abstracter ist; insofern er aber als dichter zugleich unterhalten und ein kunslwerk liefern will, welches mehr ist als gereimte prosa, musz er die logik zu verdecken suchen und sich scheinbar nonchalant in anmutigen Wendungen und überraschender folge seiner gedanken bewegen, so ist es denn eine weil verbreitete annähme, als ständen die gedanken des llor. in seinen episteln nur in losem

Jahrbücher für cltli. philol. 18CS h». S. 13

zusammenhange; die epistolische form eben soll ihm die freiheil gegeben haben, die einzelnen gedankcn nur an dünnem faden an einander zu reihen, dasz von solchem standpuncl aus z. h. die ars poética nur als ein Sammelsurium von regeln der poelik erscheinen kann, liegt auf der hand; aber auch in vielen episteln des ersten huches hat man diesen festen logischen Zusammenhang bisher noch vielfach verkannt, hat verkannt dasz Hör. seinem didaktischen zwecke gemäsz die logischen faden dick und fest genug nehmen und dasz er nur der dichterischen Schönheit wegen zugleich die knoten fest zu schlingen unterlassen muslo, je glücklicher aher unser (Hehler die logische trockenheit vermieden hat und je mehr seine brief« neben treffenden vergleichungen übersprudeln von glücklichem humor und treffendem witz, desto schwieriger ist es die Ordnung des ganzen — unter der wir denn allerdings nicht eine schulgemäszc disposition wie in einem primaneraufsatze verstehen dürfen — herauszufinden; es gebt uns da mit Hör. wie manchmal mit einer schönen und geistvollen dame: über dem zauber ihrer mienen, ihrer stimme und ihrer worle überhören wir ganz, was sie eigentlich sagt.

Für die erklärung der meisten Horaziscben briefe ist es also meines crachlens nicht genug, wenn die interpreten auf eine cüberraschende' wendung aufmerksam machen oder das ganze parapbrasicren, ohne den logischen Zusammenhang im einzelnen nachzuweisen, oder den hauplinhall resümieren, ohne die teile hlosz zu legen, damit soll denn freilich nicht gesagt sein, dasz nicht schon seil längerer zeit die interpretation nach dem eigentlichen ziele immer mehr und mehr hindränge, dasz nicht von einzelnen schon länger im einzelnen tüchtig vorgearbeitet sei und dasz nicht auch schon Döderlein, der meines Wissens*) zuerst die auffindung einer art disposition versuchte, manches schätzbare material habe benutzen können, es wollen aber die folgenden Zeilen ein neuer versuch sein die briefe des Hör. in rücksicht auf den logischen Zusammenhang der einzelnen teile unter einander und ihre zusammenfügung zum ganzen zu erklären; dasz ich mir allerdings nicht versagen konnte nebenbei Specialerklärungen von einzelnen worlcn und salzen auch da einzuschieben, wo ihre auffassung den sinn des ganzen wenig oder gar nicht alienen, ist wol natürlich und verzeihlich genug.

1. Hör. ist von Mäcenas angegangen worden die lyrische dichtung wieder aufzunehmen, schon die vergleichung mit dem rudiarius und speciell die worlc donalum iam rude enthalten eine ablehnende anlworl: Mas wäre gerade eben so, als wolltest du einen rudiarius auf

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*) bei dieser gelegenhoit musz ich im voraus bemerken, dasz mir die so immense Horaz-litteratur keineswegs in ihrem ganzen umfange zu geböte stellt noch bekannt ist; möglicherweise baben die eine oder andere der folgenden bemerknngen schon andere vor mir gemacht — eine nachsieht aber die ein Döderlein sich erbat darf auch ich mir erbitten, dasz mir Döderlein sowie Düntzcr, Obbarius, Krüger zum teil wesentliche dienst« geleistet haben, erkenne ich gern und mit dank an: darf und soll eben nicht jeder erklärer ganz von vorn anfangen.

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fordern wieder in die fechtschule zu gehen — ist also ein sonderbares ansinnen.' mit v. 4 beginnt der (lichter die gründe seiner ablehnung anzugeben; er hat deren zunächst vier: erstens non eadem est aelas, non mens, d. h. 'meine Stimmung, wie sie bei meinem alter natürlich ist, passt nicht mehr für das lied'; zweitens Veianius armis . . exoret harena d.,h. 'wer weisz, wann ich dann wieder herauskomme, wenn ich mich wieder habe ins joch spannen lassen (ne totiens exoret)'; drittens: ich fürchte meinen alten rühm selbst zu ruinieren (v. 7—9); viertens: jene lyrische poésie ist doch nur ein ludicrum (v. 10). in diesem v. 10 ist nemlich beweis, schlusz und Übergang mit meisterhafter kunst vereinigt: denn nicht grammalisch werden durch et et die versus direct als ludiera prädiciert, sondern erst das cetera läszt dieselben gleichfalls als ludiera, also als einen an sich nicht gerade würdigen gegenständ des strehens erscheinen ('ich lege also das dichten und ebenso auch jedes andere spielwcrk hei seile'); das nunc itaque versus pono bildet den schlusz (1er deduction von v. 4 an; ludiera pono endlich bildet per conIrarium den Übergang zu v. 11. 12 ('ich gebe mich ernsten beschäftignngen hin, und zwar dem Studium der praktischen philosophie').

Passend folgt nun (daher ac v. 13) die beschreibung der art und weise, wie Hör. die philosophie treibt; und da sind es zwei angaben, die er uns hierüber macht, die eine so zu sagen vom materialen, die andere vom formalen standpunet aus. erstens, sagt er, treibe ich die philosophie als eklektiker (v.'13 —19); übrigens, fährt er fort, studiere ich mit groszem eifer, wobei ich nur bedaure dasz ich zu oft gestört werde und nicht so vorwärts komme, wie ich wol möchte (v. 20—26). im folgenden verse (27) ist das his nicht ganz ohne Schwierigkeit und von ûoderlein, wie es scheint, übersehen worden, denn dasz Hör. nach der Hage v. 23. 24 fortfährt mit dem gedanken restât ut me soler elemenlis, sc. philosophiae (d. h. darüber dasz ich es in der philosophie nicht weit bringe, musz ich mich damit trösten, dasz ich wenigstens die elemente, die grundlehren mir aneigne), ist natürlich genug; und ebenso wird jeder gern zugeben, dasz in dieser Verbindung das regam für erigam und synonym mit soler zu verstehen sei, wie denn ja auch v. 32 denselben gedanken, nur mit einer feinen, aber bedeutsamen nüancierung (quadam) wiederholt oder richtiger gesagt ausführt: aber was ist dann his? offenbar hat Hör. das wort elementa doppelsinnig gebraucht, und haec elementa sind 'meine nur auf die elemente sich erstreckenden kenntnisse'; an eine rückbeziehung auf v. 12, wie Krüger will, dabei zu denken ist gar nicht nötig.

Demgemäsz steht der ganze passus v. 27—32 im engsten anschlusz an das vorhergehende: 'wenn ich zu bedauern habe, dasz ich es bei den manigfachen Störungen nicht so weit bringen kann, wie ich wol möchte, so musz ich mich damit trösten, dasz ich wenigstens über die grundlehren ins klare komme (v. 27); und dieser trost ist nicht etwa ein leidiger, sondern mit den grundlehren hat man immer doch wenigstens etwas.' schon die v. 28—31 eingeschobenen vergleichungen aber weisen auf das hin. was man selbst schon von den elementen hat: ihre wirkung ist zunächst negativ, indem sie den menschen frei machen von Übeln und mangeln des geistes, und zwar: a) von moralischen mangeln (v. 33—40); b) von intellecluellen mangeln, d. i. von falschen verurteilen und verkehrten auffassungen (v. 42—51). von dem zwischen beiden teilen stehenden v. 41 weisen auf den erstem (nur in einzelneu beispielen concret, nicht in abstracto hingestellten) salz zurück die worle virtus est prima Vitium fugere, während die worle sapientia prima est slullitia caruisse auf das folgende hinweisen; den logischen Zusammenhang macht man sich deutlich durch die Umschreibung: 'wie es demnach (nach v. 33—40) der lugend anfang ist, das lasier zu meiden, so ist es gleicherweise der Weisheit anfang, sich frei zu machen von der thorheil'; es erscheint so virtus prima als synonym mit virlutis elementa und steht prägnant für id quod elementa virtutis efficiunt. — Als beispiel der slullilia aber stellt der dichter das verurteil hin, esse exiguum censum lurpemque repulsam maxima mala, dagegen, heiszt es nun im folgenden, kann man vom philosophen (meliori v. 48) lernen, dasz diese ansieht Ihöricht (stulte miraris), dasz also a) alle die viele auf die Vermeidung der pauperies verwandle mühe unnütz sei (v. 45 — 48). es müssen also v. 49—51 notwendigerweise b) denselben oder einen ähnlichen gedanken von der Vermeidung der turpis repulsa oder von dem streben nach äuszeren ehren ausdrücken; neben der Schilderung der mühen um die äuszeren ehren müssen sie zugleich die aufforderung enthalten von diesem thörichten beginnen abzulassen, dasz aber unter dem bilde des faustkämpfers der candidat gemeint ist, der die turpis repulsa vermeiden will, liegt klar genug vor: ebenso ist die Schilderung seiner mühen selbst angedeutet in den werten circum pagos et circum compila pugnax, insofern diese nicht nur darauf, dasz die gesuchte ehre doch nur wenig werlh habe (bildlich: eine ehre sei sie nur in den äugen des lamlvolks und des pöbeis), sondern auch darauf hinweisen, dasz ein solcher gladiator überall, an vielen puneten, also auch zu wiederholten malen auftreten und seine künsle producieren musz; in letzterer beziehung ist gerade die Wiederholung des circum rcchl malerisch, die aufforderung endlich von diesem thörichten streben abzulassen liegt, gerade wie vorher v. 48, in der frageform (quis contemnal? antworl: niemand), es handelt sich in rücksicht auf Döderleins erklärung jetzt nur noch um die worlerklärung von magna Olympia und, was damit innigst Zusammenhang!, von sine pulvere: sind magna Olympia die eigentlichen olympischen spiele oder 'der tugendpreis'? und heiszt sine pulvere wörtlich 'ohne staub' oder bildlich 'ohne mühe'? dasz in rücksicht auf turpis repulsa v. 43 die beiden letzteren bedeutungen vorwiegen müssen, verlangt nach dem entwickelten zusammenhange die stelle mit notwendigkeil; aber wie Hör. den candidaten um äuszere ehren nur unter dem bilde eines fauslkämpfers, der in den dörfern auftritt, darstellt, so wird auch der äuszeren, werthloscn ehre, die jener anstrebt, der 'tugendpreis'nur unter dem bilde des olympischen siegespreises gegenübergestellt: Hör. will, meine ich, magna Olympia zunächst in rücksicht auf den pugnax von den eigentlichen olympischen spielen verstanden wissen, hat aber, wie so oft, das gleiclinis in den Hauptgedanken verwoben oder vielmehr liier das gleiclinis als wirklichen Hauptgedanken hingestellt, der sinn der stelle ist also: wie ein fauslkäuipfcr sich nicht um den heifall des dorfund gassenpublicums ahmühen wird, wenn er aussieht hat den höchsten siegespreis im fauslkampf zu Olympia und zwar sine pulvere, ohne den lästigen staub, zu erringen: chenso soll der mensch nicht trachten nach den werthlosen äuszeren ehren, da ihm höhere und schönere (dulcis v. 51) ehren zu geböte stehen ohne äuszere anstrengungen.

Dasz, wie die verse 45—48 auf exiguum censum, so auch die verse 49—51 auf turpem repulsam zurückweisen und die letzteren nicht etwa eine bildliche erläulerung zu den erslercn sind, dieser auffassung widerspricht auf den ersten anblick, dasz v. 52 ff. ganz entschieden allein auf exiguum censum zurückblicken, so dasz v. 49—51 störend dazwischen zu treten scheinen, aber es hat der dichter, dasz es slullilia sei sich um geld und gut zu mühen, dasz es höhere ehren als ehrenstellen gebe, v. 45 —51 eben nur behauptet: mit v. 52 tritt er für diese behauptung den beweis an. ein guter schüler würde nun freilich gewissenhaft den beweis fuhren in bezug sowol auf pecunia als auf honores; dasz Hör. sich über diese schülerhafte behandlung hinwegsetzt und im folgenden nur noch von der pecunia redet, wird ihm jeder gern verzeihen, es liegt demnach in v. 52 der hauptlou auf den neu eingeführten virlutes: ccs gibt (nemlich) etwas besseres als geld und gut, die lügend.' den beweis aber für diesen satz liefert der dichter nun scheinbar höchst indirect, indem er dem vulgären geschrei nach geld (v. 53—56) und der vulgären inisachlung des biedermannes ohne vermögen (v. 57. 58) gegenüberstellt das spiellicd der knaben; doch sehen wir genauer zu, so hat er für die werthschätzung der tilgend folgende gründe: 1) die werlhschätzung der tilgend ist in der menschlichen natur lustincliv begründet: denn o) schon die knahen singen rex cris, si recle faciès, b) die tugend ist von jeher hochgeschätzt worden (v. 64); 2) die tugend gewährt die innere ruhe des guten gewissens (v. 60. 61); 3) die tugend gewährt kraft und stärke gegenüber den schlagen des Schicksals (v. 65 — 69). dasz Hör. die beiden glieder des ersten salzcs trennte und das zweite zwischen den zweiten und dritten hauptsalz einschob und so gewissermaszen als anhängsci zum zweiten hauptsatz erscheinen licsz, geschah wol zu dem zwecke, die beiden letzteren abstraclen sätzc zu trennen und so durch die ganze beweisführung eine lebendige, concrete anschauung hindurch gehen zu lassen.

Dem so eben in wenigen drastischen zügen entworfenen bilde des tugendhaften biedermannes stellt Hör. nun — und dadurch vollendet er erst eigentlich den beweis des in v. 52 aufgestellten salzes — in satirischer weise das bild des in seinen bemühungen um geld und gut zerfahrenen publicums (v. 70—80), sowie des weiterwendischen und launenhaften individúalos aus dem publicum (v. 80—93) gegenüber, auch in dem letzteren dieser beiden bilder hat sich der dichter (wie v. 64) eine alnveichung von der schulgcmäszcn disposition der gedanken erlaubt; eine solche würde den v. 90 hinler v. 93 verlangen, gerade die einschiebung desselben in seine jetzige stelle verbietet aber in v. 91 die von

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