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wie wir oben sahen, ist nun die, das mihi iam non regia Roma placet so einzukleiden, dasz es den MScenas und seinen umgangskreis nicht beleidige; und diese aufgäbe löst er von v. 40 an. lassen wir die beiden anekdoten von Telemachos und von Vultejus Mena vorläufig bei seile (denn abgesehen von ihrem ethischen zwecke, den MScenas in heitere laune zu versetzen, haben sie logisch ja nur die bedeutung, die ansichlen des Ног. concret zu veranschaulichen und zu beweisen), so fallen zunächst die worte partum parva decent v. 44 ins gewicht: 'ich bin ein parvus' sagt also Hör. 'd. h. von herkunft, erziehung, anerzogener lebensweise bin ich ein einfacher mann; also sagt mir am meisten das einfache zu und sieht mir am besten.' damit ist denn also deutlich genug ausgesprochen, dasz Hör. die schuld, dasz ihm die regia Roma nicht gefällt, in sich selber, lediglich in seiner ihm anerzogenen und vielleicht kleinlichen und engherzigen lebensanschauung suche; zugleich liegt aber darin wiederum klar angedeutet, dasz seine neigung nicht eine vorübergehende laune, die er vielleicht dem Mäcenas gegenüber gern geopfert halle, sondern ein ausflusz des individuellsten seins und habens ist, bei welchem das nee otia divitiis Arabum Uberrima muto seine vollkommenste bcrechligung hat; und gerade diesen gedanken führt er noch deutlicher in der aus der anekdote von Mena zu ziehenden nutzanwendung (v. 96—99), wenn er sagt, das sei gerade das verum, das/, jeder sich nach seinem masze messe, sobald es sich um Vermittlung zwischen lebensanschauung und lebensweise handle — wobei denn das deininutivum modulo in rücksicht auf partium parva decent (v. 44) wieder äuszerst fein gewählt ist.

Diese letzten gedanken nun sollen veranschaulicht und bewiesen werden durch die erzählungen von Telemachos und von Mena, und da müssen wir denn festhallen dasz, wenn auch Hör. bei den werten tu me fecisli locupletem (v. 14) vielleicht nur an das Sabinum und sonstige eigentliche geschenke des Mäcenas gedacht hat, er doch (wie allilium v. 35, auch cuneta v. 34 andeutet) im allgemeinen und wesentlich die ganze lebensstellung, den Umgang mit den gebildeten, das ansehen bei hofe und der höchsten römischen aristokralie usw. usw. im auge gehabt hat, was alles er ja auch dem Mäcenas indirect verdankte, wenn also Menelaos dem Telemachos eigentliche geschenke macht, so will Hör. doch unter deren bilde jene uneigentlichen geschenke des Mäcenas wesentlich mit verstanden wissen, wie denn ja auch die geschenke, welche Mena von Philippus empfängt, für erstem eine ganz neue lebensweise bedingen, nur so versteht sich ganz der plötzliche Übergang von den die geschenke ablehnenden Worten des Telemachos zu mihi iam non regia Roma placet, so die anwendung der erzählung von Mena auf die eigne lebensanschauung und lebensweise, wobei das dimissa (v. 96) speziell auf des dichters frühere einfachheit hinweist, nach der er sich eben zurücksehnt.

Wir hallen also in unserer epistel folgenden gedankengang: 1) entschuldige dasz ich schon so lange ausgeblieben bin; furcht vor er

krankung hielt mich in der heiszen Jahreszeit von Rom fern (v. 1 —9). II) ich werde aber auch den winter Ober fortbleiben (v. 10—13): denn

1) trotz deiner gerechten anspräche auf meine dankbarkeit (v. 14—23), die mich gern deine wünsche erfüllen läszt (v. 24), gebietet mir dies schon die rücksicht auf meinen alternden körper (v. 25—28);

2) meine neigung, oder besser gesagt meine lebensanschauung — und die freiheit dieser zu folgen gebe ich um keinen preis auf (v. 29— 36), und zwar nicht aus eitlem stolze (v. 37—39) — passt nicht für die regia Roma, so dasz ich besser thue es zu machen wie Telemachos oder Mena (v. 40—98).

Zum schlusz noch einige worte über die stelle v. 55-—59. verbindet man notum mit sine crimine oder nimt man es absolut, so bleibt es in beiden fallen immer anstöszig, dasz auf das asyndeton der attributiven bestimmungen in v. 56 (zu denen natürlich esse zu ergänzen sein würde) das polysyndeton der infinitive folge und dieses hinwiederum nsyndetisch aufgenommen werde von dem attributiven gaudentem. diesem anstosze geht man nur dadurch aus dem wege, dasz man mit Pauly die infinitive in v. 57 von notum abhängig macht, so dasz zusammengehören die asyndeta Menam, praeconem, tenui censu, sine crimine, notum, gaudentem; die so entstandene concinnilät wird dann noch dadurch gehoben, dasz nun, wie von notum das polysyndeton der infinitive, so auch von gaudentem ein polysyndeton (parvisque sodalibus et lare ccrlo et ludis et campo) abhängt. — In v. 58 hat bekanntlich Döderlein sich wieder für lare curto statt des diplomatisch beglaubigteren larc certo entschieden: sicherlich mit unrecht, denn zunächst kann doch v. 57 unmöglich die 'thätigkeit' des Mena in dem sinne schildern sollen, dasz ihm v. 58 als Schilderung der 'gesinnung' desselben gegenüberstände, oder ist etwa cessare die 'thätigkeit' des Mena? und ist es etwa ein charakteristisches merkmal seiner gesinnung, dasz er an ludis et campo ebenso seine freude hat wie die Römer alle? es schildert v. 57 das treiben des Mena insofern, als dadurch seine ehrenwerthe, bürgerliche gesinnung zum ausdruck gelangt (er ist eifrig auf sein geschäft und auf seinen verdienst, aber nicht etwa aus habsucht und gewinnsucht, sondern so dasz er auch gern wieder zu seinem vergnügen ausgibt), es hat also nach v. 57 Mena auch seine Vergnügungen; unter solchen aber hat man sich nicht die lustbarkeiten und kostspieligen genüsse der vornehmen weit vorzustellen, sondern es sind eben die allereinfachsten Vergnügungen, wie z. b. kleine tischgesellschaften und ein eigenstübchen (welches für leule seines standes eben schon ein luxus war), und ebenso die gewöhnlichen erholungen des römischen burgers, ludi und campus, so will v. 58 uns zunächst die Vergnügungen aufzählen, die Mena sich in seinen Verhältnissen erlaubt; erst in zweiter linie steht, gleichsam zwischen den zeilen, dasz dies doch recht bescheidene Vergnügungen seien und dasz es für den genügsamen und in sich frohen sinn des Mena spreche, wenn er an solchen dingen eine wirkliche freude empfinde.

(der schlusz folgt im nächsten hefte.)

Jever. Friedrich Pahle.

29.

ZU CICEROS REDE FÜR SEX. ROSCIUS.

9, 26 ac primo rem differre cotidie ac procrastinare isti coeperunt, deinde alicuanto leniius [nihil] agere alque deludere, postremo, id quod facile intellectum est, insidias vitae huiusce [Sex. Roscii] parare, ñeque sese arbitran posse diu tin s alienam pecuniam domino incolumi obtinere. die in klammern geschlossenen worle sind von Halm und von du Rieu als glosseme erkannt, schon früher nahm Heusinger an dem ausdruck coeperunt anstosz, den zu streichen jedoch, worauf ebenfalls Halm bereits hingewiesen hat, die Stellung des subjects isti nicht gestaltet, auch ist die Verbindung der worte differre cotidie ac procrastinare coeperunt an und für sich unbedenklich, da ja cotidie aus logischen gründen nicht zu coeperunt gehören kann, vielmehr, wie die Stellung zeigt, ebensovvol auf differre wie auf procrastinare zu beziehen ist. wollen wir indessen in den worten ac procrastinare nicht nur eine immerhin etwas matte erläuterung des vorhergehenden allgemeinen begriffe rem differre cotidie, sondern zugleich eine dem gedanken der ganzen période sehr angemessene Steigerung erkennen, so wird diese durch folgende leichte Umstellung gewonnen: ac primo rem differre ac cotidie procrastinare isti coeperunt.

20, 56 anseribus cibaria publice locantur et canes aluntur in Capitolio, ut significent, si fures venerint. at fures internoscere non possunt: significant lamen, si qui noclu in Capitolium venerint, et quia id est suspiliosum, tamelsi bestiae sunt, tarnen in earn partem polius peccant, quae est cautior. in diesem, wie Halm richtig urteilt, 'etwas abgeschmackten und, weil die vergleichungspuncte nicht recht stimmen wollen, gesucht erscheinenden vergleich' der ankläger als Wächter der öffentlichen Sicherheit mit den gänsen und hunden des Capitols macht sich Cicero selbst mit den Worten al fures internoscere non possunt einen einwurf, welchen er allerdings nicht völlig widerlegen kann, dessen bedeulung er aber sofort auf das richtige masz zurückführt, indem er fortfährt: significant tarnen usw. zunächst, meine ich, fordert hier der gcdankcnzusammenhang, dasz der causalsatz quia id est suspiliosum zum vorhergehenden gezogen wird, auszerdem aber bilden die worte tametsi bestiae sunt einen schleppenden, völlig überflüssigen Zusatz, der unmöglich von dem redner selbst herrühren kann, vielmehr werden wir darin ebenso wie in den bereits von Halm und Benecke getilgten worten in suspitione und sine suspilione (g 57), welche die an und für sich schon störende breite dieser digression noch vermehren, die randbemerkung eines abschreibers zu erkennen haben, der durch dieselbe die worle significant tarnen richtig zu erklären glaubte, als dann später jener zusalz an einer falschen stelle in den text sich verirrt hatte, wird dieser umstand das nächstslehende tarnen noch zur weiteren folge gehabt haben, demnach schlage ich vor: at fures internoscere non possunt: significant tarnen, si qui noclu in Capitolium venerint, quia id est

suspitiosum, ei [tametsi bestiae sunt, tarnen] in earn partem potius peccant, quae est cautior.

27, 74 quo modo occidil? ipsene (so Fleckeisen; die hss. ipse) percussil an aliis occidendum dédit? si ipsum arguis, Romae non fuit: si per alios fecisse dicis, quaero quos, servosne an liberos? si per liberos (von Halm nach Matthias und Madvigs vorgang ergänzt), quos homines? indidemne Ameria an hosce ex urbe sicarios? si Âmeria, qui sunt ii (so Halm; die hss. Ai)? cur non nominantur? si Borna, unde eos noverat Roscius, qui Romam multis annis non venit ñeque umquam plus triduo fuit? ubi eos convenu? quicum conlocutus (so Stanger; die hss. locuius) est? quo modo persuasit? pretium dedit? (so Richter; vulg. 'pretium dedit.') cui dedil? per quem dedit? unde aul quantum dedit? nonne his vestigiis ad caput maleficii per veniri solet? obwol besonders in neuerer zeit das Verständnis der vorstehenden fragen, mit welchen Cicero den ankläger Erucius*) bestürmt, in kritischer und exegetischer hinsieht mehrfach gefördert ist, so scheinen mir doch an zwei stellen die ursprünglichen worte des redners noch nicht wieder hergestellt zu sein, einmal nemlich halte ich für unerträglich die nichtWiederholung der präposition in den werten: si per alios fecisse dicis, quaero quos, servosne an liberos? wenn es gleich nachher heiszt: si per liberos, quos homines? so ist nicht zu vergessen, dasz die ersten drei worte in sämtlichen hss. ausgefallen sind und demnach möglicherweise zugleich die präposition vor dem fragpronomen auch hier verloren gegangen ist. da indessen quaero vom redner ausgelassen, so schlieszen sich hier die worte quos homines leicht an die unmittelbar vorhergehenden si per liberos an, und die nichtwiederholung der präposition kann an dieser stelle ebenso wenig befremden wie § 79 in den worten conveniat mihi tecum necesse est . . aul ipsum sua manu fecisse, id quod negas, aut per aliquos liberos nul servos, liberosne? anders an unserer stelle, wo nicht nur das eingeschobene quaero, sondern auch die dann ohne präposition folgende gliederung servosne an liberos es sehr wahrscheinlich macht dasz Cicero geschrieben hat: si per

*) [beiläufig: welches ist die richtige quantität dieses namens Eruciusl in Ciceros rede kommt er bekanntlich am häufigsten im vocativ Eruci vor, und ich erinnere mich diese form von Schülern und auch von lehrern nie anders haben aussprechen zu hören als Eruci, von den letzteren vermutlich wegen des anklänge an den Horazischen vers erucas virides, hu/las ego primus amaras —. dieser anklang ist aber ein trügerischer: der eigenname Erucius hat mit der pflanze eruca (rauke) Dicht das mindeste zu schaffen, sondern er ist die lateinische form des griechischen 'брикюс, von "€puE "брикос gebildet, der ankläger des Sextue Roscius stammte wahrscheinlich aus Unteritalien: denn hier linden wir den namen Erucius noch mehrfach in inschriften erhalten — Mommsens index zu den 1KNL. weist ihn 7mal auf, 2mal den weiblichen namen Erucia — und dasz er wirklich mit dem namen des sicilischen berges zusammenhängt, ist mir darum wahrscheinlich, weil er unter jenen 7 malen 2mal in der form Herucius auftritt, gerade so wie die Venus Erucina inschriftlich auch als Herucina erscheint, also ist Erucius ein proceleusmatischer wortfusz und man hat den vocativ "Eruci zu lesen. A. F.]

alios fecisse dicis, quaero, per quos?*) servosne an liberos? wenn ferner Stanger die hsl. überlieferung quicum locutus est verändert in quicum con locutus est, so hat er mit diesem verbum gewis das ursprüngliche restituiert; doch hätte er sich nicht durch die später folgenden worte numquam cum homine quoquam conlocut um esse, numquam in oppido constitisse bestimmen lassen sollen, im vorhergehenden quicum beizubehalten. vielmehr war hier die präposition von dem fragwort abzutrennen und mit dem folgenden verbum zu verbinden. dann liegt in den vier fragen: unde eos nover at Roscius? ubi eos con venit? qui con locutus est? quo modo persuasit ? eine passende steigerung, und das zu conlocutus est und persuasit gehörige object, d. h. auch hier nicht ein einzelner, sondern die gesamtheit der angeblich in Rom gedungenen meuchelmörder, ergänzt sich aus dem zu den beiden ersten gliedern hinzugefügten object eos von selbst. 29, 80 interdum (so Ursinus; die hss. interim; Kayser ilerum) mihi videris, Eruci, una mercede duas res adsequivelle, nos iudicio perfundere, accusare autem eos ipsos a quibus mercedem accepisti. nachdem Halm früher die von allen hss. überlieferte lesart perfundere als wahrscheinlich corrupt” bezeichnet hatte, schlosz er sich in der vierten auflage (1863) der emendation pessumdare an, welche inzwischen Fleckeisen und Trojel unabhängig von einander gefunden hatten. aus der 1867 erschienenen fünften auflage dagegen ist jenes allerdings bei Cicero selbst sonst nur in einem fragment einer seiner frühesten reden (bei Quintilian VIII 6, 47; vgl. Fleckeisen in diesen jahrb. 1866 s. 550 anm.*) vorkommende wort wiederum verschwunden, ohne dasz ersichtlich ist, welche gründe hierbei für den herausgeber entscheidend gewesen sind. dieser hat jetzt selbst perfundere in pervertere geändert und dies in den text gesetzt, eine conjectur der unseres erachtens die äuszere wahrscheinlichkeit abgeht, wenngleich die wendung iudicio pervertere auch sonst sich nachweisen läszt; vgl. pro Sestio 67, 140 atque hunctamen flagrantem invidia propter interitum C. Gracchi semper ipse populus Romanus periculo liberavit: alia quaedam civem egregium iniqui iudicii procella pervertit. ceteri veroaut repentina vi per culsi ac tempestate populari per populum tamen ipsum recreati sunt atque revocati aut omnino invulnerati inviolatique vixerunt. indem wir uns, was die erklärung der stelle betrifft, an die von Kratz in diesen jahrb. 1866 s. 550 f. gegebene auseinandersetzung anschlieszen und demnach unter iudicium nicht im allgemeinen die gerichtsverhandlung“, sondern den letzten entscheidenden act, den urteilsspruch? verstehen, können wir doch der von demselben gelehrten versuchten rettung der lesart perfundere nicht beistimmen, schlagen vielmehr statt dessen vor iudicio percutere. Cicero selbst gebraucht dieses wort mehrsach in bezug auf das einschlagen des blitzes: vgl. in Cat. III 8, 19

*) [ebenso schon Halm in der Zürcher ausgabe 1854.]

*) [und Halm beiträge zur berichtigung und ergänzung der Ciceronischen fragmente (1862) s. 8, dessen behandlung jenes fragmentes mir an der oben erwähnten stelle nicht hätte entgehen sollen, A. F.]

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