Sidebilder
PDF
ePub

31

Horaz ist, weiter aber auch nichts. wir berufen uns auf jeden leser, der seinen Horaz kennt, ob nicht fast immer der dichter kalt und matt wird, wo ihm nicht Horaz... gedanken, empfindungen, wendungen, situationen leihet..... das bekannte Horazische duett donec gratus eram hat Kleist weit besser übersetzt.' Goethes urteil wird jeder, der Blums gedichte nur flüchtig einsieht, unterschreiben; auch musz Goethe schon damals Horaz oden genauer gekannt haben, wie ihm auch bei andern gelegenheiten deren verse sofort einfallen: als z. b. ca. 50 jahre später im september 1821 der polizeirat Grüner auf einer kahnfahrt bei Eger ihm die alberne bemerkung machte: 'Horaz hat wohl unrecht, als er über die schiffahrt herzog', weisz Goethe sofort, welche verse in den oden gemeint sind (carm. I 3, 9 ff.), und antwortet mit leisem spott: 'er hat nur das meer gemeint, mit uns wäre er schon ruhig gefahren' (Goethe u. rat Grüner, Leipzig 1853, s. 49).

33

Auch in den Weimarischen dienstjahren, in denen ihn doch das hofleben und seine berufsthätigkeit so sehr in anspruch nahmen, bat er neben der lectüre des Euripides 32, Longin 3, Quintilian3 und der griechischen anthologie Horaz keineswegs vernachlässigt. aequam memento' ruft er sich am 5 juni 1776 aus Hor. carm. II 3 zu, wie wir aus seinem tagebuch dieser zeit (herausgeg. von Keil 1875) ersehen, um in den vielfachen intriguen, in den unklaren verhältnissen sich ausdauer und energie zu sichern. Wielands nähe,

der seine übersetzung der episteln (sie erschien zuerst 1782 in Dessau) vorbereitete, muste ihn zur lectüre anregen. und so liest denn Goethe in den maiabenden 1782, während er sich die von

31 um Goethes urteil controlieren zu können, lassen wir anfang und schlusz des donec gratus eram in der Blumschen und Kleistschen übertragung folgen: bei Blum str. 1:

So lang ich allen vor in deiner liebe gieng,
und deinen weiszen hals kein anderer umfieng,
war mir an wonne nicht in seinem weiten reich
der Perser könig gleich.

bei Kleist (werke von Körte, Berlin 1803, t. 1 s. 143): Du liebtest mich: kein glück war meinem gleich; in dir hatt' ich ein irdisch himmelreich.

schlusz bei Blum:

Zwar ist am himmel nicht ein stern so schön als er,
und wütender bist du als das ergrimmte meer:
doch würde mir mit dir das leben nicht gereun,
und sterben wonne sein.

bei Kleist:

Du sollst von ihm mein herz auf ewig erben.
dein wünsch' ich nur zu leben, dein zu sterben.

22 vgl. u. a. br. an fr. v. Stein 12 sept. 1780.

33 ebd. br. v. 28 märz 1781.

34 ebd. br. v. 22 märz 1782.

frau v. Stein gesendeten spargel schmecken läszt, in Wielands Horaz, daneben auch in Schlözers briefwechsel und in Charles Duclos confessions. 35 dazwischen hat er aber doch immer an sein nächstes gedacht.' Der briefwechsel aus dem sommer desselben jahres zeigt denn auch spuren von dieser Horazlectüre. nach übernahme des kammerpräsidiums schreibt er an Merck 16 juli 1782.36 manchmal wird mirs sauer, denn ich stehe redlich aus, dann denk ich wieder: hic est aut nusquam quod quaerimus'.37 in einem andern briefe aus demselben monat an Knebel (27 juli 1882) erklärt er diesen vers für sein altes motto'. Zugleich las er in einem kleinern kreise histoire philosophique des Indes von Abbé Raynal" dreimal in der woche; in diesem cirkel scheint er auch Wielands episteln vorgetragen zu haben, wie es aus einem brief an Knebel 39 hervorzugehen scheint: 'hast du Wielands übersetzung der Horazischen episteln gesehen? ich bin neugierig, ob ihm das publicum den verdienten dank dafür abtragen wird. wenn man sie laut in gesellschaft liest, fühlt man, wie glücklich er mit dem einen fusz auf dem alten Rom und mit dem andern in unserm deutschen reiche stehet und sich angenehm hin- und herschaukelt.' er spricht weiter die befürchtung aus, dasz man sich an einige stellen hängen wird, wo ihn der gute geist verlassen; er gesteht, dasz, wenn man das lateinische dazu nimmt, man den wert der übersetzung fast zu gering angeben möchte. in derselben zeit war auch sonst durch Villoisons anwesenheit in Weimar er war seit dem 7 mai 1782 gast des herzogs vielfach anregung zu antiken studien und gesprächen; auch Tobler, candidat der theologie, ein freund Lavaters, der übersetzer des Aeschylus und einiger stücke aus der griechischen anthologie, hielt sich damals in Weimar auf und verkehrte vielfach mit dem dichter.

[ocr errors]

Als später Goethe im anfang seiner italienischen reise october 1786 zu Venedig weilte, schrieb er: 'wie glücklich befinde ich mich, dasz ich den alten schriftstellern wieder näher zu treten wage! denn jetzt darf ich es sagen, darf meine krankheit und thorheit bekennen. schon einige jahre her durfte ich keinen lateinischen autor ansehen, nichts betrachten, was mir ein bild Italiens erneute. geschah es zufällig, so erduldete ich die entsetzlichsten schmerzen. ... noch zuletzt hat mich die Wielandsche übersetzung der satiren höchst unglücklich gemacht; ich hatte kaum zwei gelesen, so war ich schon verrückt.'

40

Kurz vor seiner abreise nach Italien, vielleicht in Karlsbad hat Goethe also Horaz' satiren von Wieland zu lesen begonnen; diese Br. an fr. v. Stein

35 Duclos confessions du comte de ****. 1741.

d. 1 u. 2 mai 1782.

36 Wagnersche sammlung I s. 337.

37 Hor. ep. I 17, 39.

88 Raynal histoire philosophique et politique des établissements et du commerce des Européens dans les deux Indes. 1771.

39 br. an Knebel 5 mai 1782.

40 die erste auflage erschien im sommer 1786 zu Weimar.

lectüre aber nahm ihn so ein und erregte in ihm eine so lebhafte sehnsucht nach Rom, dasz er dieselbe mit absicht unterbrach, weil er, noch ungewis, ob er Italien sehen würde, sich nicht vergebliche schmerzen bereiten wollte. als er nun endlich sich von allem losgerissen hatte, den wunsch seines lebens erfüllt sah und die römische welt in Rom selbst mit eignen augen erblickte, da nahm er in Rom im november 1786 wieder Horazens satiren vor, um abends, wenn er, erfüllt von den eindrücken des neuen Rom, zurückgekehrt war, sich in das alte Rom des Horaz zu vertiefen. er schreibt an Wieland: 'die übersetzung deiner satiren lese ich hier mit dem grösten vergnügen, abends, wenn wir von unserm lauf zurückkommen' (Hempel, werke bd. 24 s. 687). jetzt bereitete ihm diese lectüre keine schmerzen mehr. Er weisz übrigens den wert, den die Wielandsche übersetzung damals hatte, wohl zu schätzen, wenn er 1796 meint", dasz Wieland dank verdiene, weil er 'die wahrscheinliche lage des alten schriftstellers, den inhalt und den zweck' jedes einzelnen gedichtes vorher auseinandergesetzt hätte. dagegen scheint Goethe den misgriff nicht empfunden zu haben, den Wieland that, als er dem Horaz das metrische gewand des fünffüszigen iambus verlieh: dadurch werden die bei Horaz dem sinne nach zusammengehörigen hexameter gewaltsam getrennt, das verständnis wird erschwert, die kürze, schlagfertigkeit der Horazischen diction wird vernichtet, wie auch oft eine entsetzliche weitschweifigkeit eintritt, die jeden witz, jede pointe des Römers den gedichten nimmt."2

44

43

Von andern übersetzungen ist ihm die von Eschen 13 nicht entgangen. Schiller wenigstens schreibt ihm den 5n september 1800 von Eschens unglücklichem ende, der im Chamonixthale verunglückte. im februar 1804 schickt Goethe an Voigt einige Horazische episteln, welche der j. Voss verfertigte'. sie hätten recht viel verdienst, fügt er hinzu. auch des ältern Voss Horaz ist ihm natürlich bekannt gewesen; Zelter schreibt dem freunde in Weimar october 181145, dasz er sich mit Voss' Horaz zerquäle. an der übersetzung jedoch, die Friedr. August Wolf" im jahre 1813 von der

41 recension: Plato als mitgenosse einer christl. offenbarung. werke Hempel 29 s. 485.

42 laudet diversa sequentis (sat. I 1, 3) ist wiedergegeben: 'und jeden, der auf einem andern pfade das glück verfolgt, für neidenswürdig hält' iniussi numquam desistant (sat. I 3, 3): hingegen, wenn kein mensch sie hören mag, des singens gar nicht müde werden können' 43 Eschen Horazens lyrische ged. Zürich 1800.

[ocr errors]

u. s. f. 44 Schiller an Goethe 5 sept. 1800: 'der arme Eschen, Vossens schüler, den Sie als übersetzer des Horaz kennen, ist im Chamounithal verunglückt.'

45 des Q. Horatius Flaccus werke von Joh. Heinr. Voss, Heidelberg 1806, und Zelter an Goethe, br. v. 25 october 1811.

46 Zelter an Goethe 17 febr. 1813. Die übersetzung von Fr. Aug. Wolf, ursprünglich geschrieben für die zeitschrift die Musen' (herausg. v. Fr. baron de la Motte Fouqué und Wilh. Neumann) steht jetzt in Fr. Aug. Wolfs kleinen schriften bd. 2 s. 992 ff. sie verdient sehr gelesen

ersten satire des Horaz lieferte, hatte Zelter seine freude; Wolf wollte sie Goethe selbst senden, ob er es gethan, bleibt dahingestellt. wir lassen, um so am einfachsten zu zeigen, wie weit Goethe mit Horaz' gedichten, besonders mit den satiren und episteln sich bekannt gemacht hatte, eine reihe von citaten teils in seinen werken, teils in briefen, recensionen u. s. w., meist chronologisch geordnet, folgen:

Das par nobile fratrum (sat. II 3, 12/13) das er schon 1773 citiert, und disiecti membra poetae (sat. I 4, 63), das er 1805 citiert, gehören mit zu den allgemein bekannten stellen, wie er auch an das iurare in verba magistri (epist. I 1, 14) gewis gedacht hat, wenn er im Faust schreibt (in der scene zwischen Mephistopheles und dem schüler): wenn ihr nur einen hört und auf des meisters worte schwört.

Die Venetianischen epigramme, zuerst erschienen in Schillers musenalmanach 1796, haben als motto aus Horat. sat. I 4, 137 die

worte:

Haec ego mecum

conpressis agito labris; ubi quid datur oti,
inludo chartis. hoc est mediocribus illis
ex vitiis unum.

'mit den mottos (auszerdem noch Mart. X 4, 10) halte ich für ratsam auf die antiquität hinzudeuten.' 49 der dialog 'Rameaus neffe', den er 1804 zu übersetzen begann, trägt, jene leichtfertige spottgeburt aus dreck und feuer treffend bezeichnend, sat. II 7, 14 an der spitze: vertumnis quotquot sunt natus iniquis. 50

Die übersetzung der rede J. v. Müllers auf Friedrich den Groszen (1807 zuerst gedruckt) trägt das motto: intaminatis fulget honoribus. 51 (Horat. carm. III 2 17/18).

zu werden. Wolf hatte mit dieser übersetzung die absicht, eine nachbildung im höchsten sinne des wortes zu geben, worin stoff und form dergestalt sich durchdrängen, 'dasz dem kenner, dem altertümlichen leser des Horaz ein völlig gleicher genusz wie durch die urschrift, ohne irgend eine störung bereitet würde'. besonderes gewicht legt er auf die behandlung und nachbildung des Horazischen hexameters (vgl. seine eignen worte).

47 Hempel bd. 29 s. 84.

48 rec. über Ugolino. Hempel bd. 29 s. 465.

[ocr errors]

49 brief an Schiller 17 aug. 1795. Die ausgabe letzter hand trägt auf vorschlag Riemers über d. zahmen xenien Hor. sat. II 1 v. 30: 'ille velut fidis vita senis' an der spitze. Auch die schrift über den maler Philipp Hackert (mit benutzung von dessen papieren und des reisetagebuchs von P. Knight) enthält manche wörtliche anführung Horaz. verse, so sat. II 6, 60 ff. oden III 1, 81.

50 ob der lat. vers schon in dem manuscript stand, aus dem Goethe übersetzte, bleibe dahingestellt. wir sehen ihn jedoch als motto in der ausgabe der oeuvres inédites Diderots, Paris 1821, ebenso in der neusten ausgabe von Diderots le neveu de Rameau par Gustav Isambert, Paris 1883, s. 47.

51 dies motto auch vor dem franz. original. vgl. Joh. v. Müller werke, Tübingen 1810, teil 8 s. 367.

Am schlusse einer recension einer Tieckschen novelle lesen wir (1823): tunc tua res agitur paries dum proximus ardet (ep.I18, 84). daher lesen wir auch im zweiten teil des Faust (4ract), wie der kaiser zum obergeneral sagt:

'Bedenkt ihr nicht, wenn eure rechnung voll,

dasz nachbars hausbrand euch verzehren soll?'

deutlich genug ist auch in der classischen Walpurgisnacht die hinweisung auf Hor. c. I 15 in den worten des Nereus:

"Wie hab' ich Paris väterlich gewarnt,

eh' sein gelüst ein fremdes weib umgarnt!
am griechischen ufer stand er kühnlich da,
ihm kündet' ich, was ich im geiste sah' usw.

freilich bei Goethe steht Paris am griechischen ufer, bei Horaz fährt er bereits über das meer.

In der unterredung, die Wilhelm Meister mit Melina (Wilh. Meister lehrjahre buch I cap. 4) hat, und in dem folgenden selbstgespräche Wilhelms werden wir oft an Horaz erinnert sowohl in dem gedankengange und in der beweisführung als auch in einzelnen aussprüchen. das thema des gespräches gibt Wilhelm an: 'mein herr, wie selten ist der mensch mit dem zustande zufrieden, in dem er sich befindet! er wünscht sich den seines nächsten, aus dem sich jener gleichfalls heraussehnt!' es ist die bekannte Horazische klage (sat. I 1 1 ff.):

Qui fit Maecenas ut nemo, quam sibi sortem
seu ratio dederit seu fors obiecerit, illa
contentus vivat, laudet diversa sequentis.

Bald darauf ruft Wilhelm aus: 'nichts ist im leben ohne beschwerlichkeit.' Horat. sat. I 9, 59: nil sine magno vita labore dedit mortalibus'. Wenn ferner Goethe argumentiert: 'gib einem soldaten, einem staatsmanne, einem geistlichen deine gesinnungen, und mit eben so viel recht wird er sich über das kümmerliche seines standes beschweren können -', ist das ganz im sinne der Horazischen ausführung (sat. I 1, 15 ff.), wonach die vertreter der verschiedenen stände, der soldat, der kaufmann, der staatsmann (consultus) usw., wenn sie ihre rollen vertauschen wollten, dieselben klagen wiederholen würden. endlich ist die auflösung, die Wilhelm von diesem scheinbaren rätsel der menschlichen gesellschaft in den worten gibt: 'nicht in deinem stande, sondern in dir liegt das armselige' - ganz aus der seele des Horaz gesprochen.

In 'Wilhelm Meisters wanderjahren' (1825 begann die umarbeitung, 1829 wurde die redaction abgeschlossen) zeigt der major eine ausgesprochene vorliebe für Horaz und für die römischen dichter; bei einer gelegenheit kommen ihm 52 manche gedenk- und erinnerungsbücher, auszüge beim lesen alter und neuer schriftsteller enthaltend,

52 s. Wilh. Meister wanderjahre buch II cap. 4.

« ForrigeFortsett »