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ERSTE ABTEILUNG
FÜR CLASSISCHE PHILOLOGIE

HERAUSGEGEBEN VON ALFRED FLECKEISEN.

1.

DER HISTOBISCHE URSPRUNG DES DOPPELKÖNIGTUMS IN SPARTA.

Das spartanische doppelköniglum, eine der verwunderlichsten Institutionen, die in keinem antiken gemeinwesen eine genügende parallele und die in ihrer ursprungssage nur eine symbolisierung, aber keine Erklärung findet, kann in seiner eigenart nur als ein compromise verslanden werden.

Darüber besteht unter allen competenten heute nur eine meinung: und diese jetzt allgemeine annähme faszt der jüngste geschichtschreiber der Hellenen, M. Duncker (gesch. des altertums IIP s. 345 f.) vortrefflich in folgenden Worten zusammen:

'Die fabel von den Zwillingen des Aristodemos genügt nicht, den bestand einer so eigentümlichen, weder in einem andern griechischen kantone noch in dem gesamten verlauf der geschichte wieder vorkommenden erscheinung zu erklären: das bestehen eines zwiefachen lebenslänglichen und erblichen königtums in Sparta, welches zwei dynastien gleichzeitig gehört und von ihnen gleichzeitig nebeneinander bekleidet wird, eine institution dieser art trägt am wenigsten den Charakter der ursprünglichkeit, sie ist wider die eigenste natur der heerführerschaff, aus welcher das königtum bei den Griechen hervorgieng; wider das bedürfnis einer geschlossenen, festen und einigen leitung, welches gerade die Dorer von Sparta um so entschiedener empfinden musten, je länger sich der kämpf gegen Amyklä hinzog; wider das innerste wesen der monarchischen gewalt, welche den bestimmenden willen, der dieses ihr wesen ausmacht, durch eine Zweiteilung vernichtet, es bedarf keiner Untersuchung der sage selbst, um sie als eine spätere fiction, welche einen vorhandenen zustand erklären soll, zu erkennen, die beiden königsgeschlechter, welche wir in Sparta herschend finden, werden nicht nach diesen ihren angeblichen zwillingsstammvätern, dem Eurysthenes und Prokies genannt, sondern nach dem Agis und Eurypon, von denen jener der söhn des Eurysthenes, dieser der söhn oder enkel des Prokies sein sollte, das geschlecht des Eurysthenes führt den namen der Ägiden, das

Jahrbücher für dus. philol. 1868 hfl. 1. 1

geschlecht des Prokies den namen der Eurypontiden, wodurch sehr deutlich zu tage tritt, dasz die Zwillinge den Ägiden und Eurypontiden nur als Stammväter vorangesetzt sind.'

Soweit wäre man also einig: um so mehr geht man auseinander in der beantwortung der weiteren frage, zwischen welchen einander gegenüberstehenden elementen denn dieses merkwürdige compromise getroffen sei, auf grund welcher Stellung oder welches rechtes die beiden königshäuser gleichmSszig den thron beanspruchten.

Da faszt — um nur die am schärfsten ausgeprägten Vorstellungen anzuführen —• der eine die beiden herscherhäuser nur als zwei der vornehmsten adlichen Dorerfamilien, welche nach dem aussterben des geschlechts des Âristodemos, der die Spartaner an den Eurotas geführt, miteinander um die herschaft in Sparta gerungen und je nach erfolg wechselnd ihre angehörigen auf den thron gesetzt haben '); ein anderer nimt an, die beiden königlichen familien hätten an der spitze der beiden reindorischen stamme, der Hylleer und Dymanen, gestanden und auf grund dessen das scepter beansprucht'); und ein dritter läszt das eine kdnigshaus mit den alten achäischen völkerhirten zusammenhängen, das andere mit den äolischen fürstengeschlechtern.*)

Weshalb ich keiner dieser hypothesen beistimmen kann, ziehe ich vor, statt durch negative einzelkrilik, lieber gleich durch eine kurze auseinandersetzung der einschlagenden Verhältnisse zu zeigen, wie sie sich mir bei unbefangener erwägung aller in sage, topographie und geschichte bald offen ausgesprochener bald mehr versteckler Andeutungen darstellen.

Dasz der gegensatz der beiden königshäuser tiefer begründet liegt als in der rivalität zweier herschsüchtiger vornehmer Dorerfamilien, darauf fuhrt schon die ganze wunderliche und eigentlich widersinnige einrichlung selbst, die dualität durch erbfolge festgehalten in dem monarchischen amt, und namentlich die merkwürdige, selbst epigamie ausschlieszende4) Schroffheit, mit der die beiden geschlechter einander gegenüberstehen. ')

Verständlich finde ich wenigstens das nur, wenn der vertrag, der zu dieser seltsamen institution führte, von zwei fürstengeschlechtem abgeschlossen wurde, hinter denen zwei verschiedene gemeinden standen.

Nur bestärken kann in dieser ansieht ein blick auf das spartanische Stadtgebiet.')

1) so Duncker a. o. s. 346.

2) so K. H. Lachmann die spartanische Staatsverfassung (1836) s. 53 ff.

3) so E. Curtins griech. gesch. I s. 152.

4) dasz zwischen den beiden königlichen geschlechtem epigamie nicht bestand, lehrt die geschichte: vgl. Kopetadt de rerum Laconicarum constitutions Lycurgeae origine et indole (Gryphiae 1849) s. 69, der nur meint, auch dies sei wie das ganze doppelkönigtum aus schlauer politischer berechnnng eingeführt.

5) vgl. Herodot VI 52 xa&tovc (€орисве\еа ка! TTpoxXda).. . Xétov« (Aa.K€oatuovioi) Ьюфороис eïveu Tôv irdvTO xpóvov тг|С Zone dXXnXotct xal твое dito TOüTuuv f£vo|aévouc шесштше bumXéetv.

6) vgl. Curtius Peloponnesos II s. 220 ff. (nebst tafel X) und W. Viecher Erinnerungen und eindrücke aus Griechenland s. 375 ff.

Zwei bedeutendere erhebungen zeigt hier das terrain (wenn man von dem ziemlich flachen hügelzug längs des Enrotasthales absieht), den antiken akropolishügel mit seinen breiten rückenflächen und die höhen von Neusparta, auf und an jenem lagen die sitze der Agiaden, auf und vor diesen die der Eurypontiden.

Es gab nemlich in Sparta nach dem bestimmten zeugnis des Hesychies7) u. d. w. 'Afiobai einen nach den Agiaden benannten district; und aus Pausanias III 14, 2 geht hervor, dasz dieser district zwischen dem ikropolishügel und der Babykabrücke sich ausdehnte.8) ferner ziehen sich am fusz des akropolishügels die grabstätten der Agiaden hin, wie es auch sonst vorkommt dasz die königsgräber am burghügel angelegt wurden.*)

Der sclilusz hieraus ist einfach und sicher: der sogenannte theaterJiügel mit dem nordöstlich gelegenen strich landes wurde ursprünglich von dem teil der spartanischen bevölkerung eingenommen, an dessen spitze die Agiaden standen.

Finden wir dagegen die Earypontidengräber an den höhen des modernen Sparta, so ergibt die analogie, dasz wir hier und in der nördlich vor ihnen sich ausbreitenden niederuag das gebiet der ursprünglichen Wohnsitze derjenigen bevölkeruogsgruppe zu sehen haben, die sich dereinst um das haus der Eurypontiden zusammenschlosz.

Nun beginnt, wie ich kürzlich anderswo10) auseinandersetzte, die geschichte der meisten antiken gemeinden mit einem synökismos: so war es in Rom, so in Athen (wie dort gezeigt ist), auch in Sparta ist es nicht anders; hier ist sogar der ursprüngliche dualismus durch das doppelkönigtum gewissermaszen verewigt, und wie vielleicht in Rom und sicher in Athen, so beruht auch in Sparta der gegensatz der zwei ursprünglich in sondersiedelungen sich abschlieszenden und erst später verschmolzenen nachbargemeinden auf Stammesverschiedenheit derselben.

So schlecht uns auch bekanntermaszen die Überlieferung gerade über die vorginge bei besetzung des Peloponnes durch die eindringenden Dorer unterrichtet, so genügen die erhaltenen indicien doch vollständig, diese thatsachen zu erhärten und sie bestimmt zu präcisieren.

Sehen wir zuvörderst, was sich aus einer kritischen prüfung der sagen gewinnen läszt.

Für ihre methodische ausnutzung wird als grundsatz gelten müssen, dasz geschichtlich unbrauchbar alle mit der später ersonnenen fiction eines Zwillingspaares zusammenhängende angaben sind, alles was dazu dient beide Stammhäupter als gleichberechtigte regenten zu legitimieren;

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dasz dagegen ebenso werthvoll ist jedweder rest einer mit dieser — so zu sagen — officicllen darstellung in Widerspruch stehenden version, jegliche spur einer ursprünglichen Verschiedenheit der beiden brüder in ihrer Stellung, ihren ansprüchen usw. denn hierin besitzen wir unzweifelhaft fingerzeige für den wahren thatbestand, die mit vorsieht verfolgt untrüglich sind.

Da tritt denn nun zunächst hervor, dasz Eurysthenes mit der dorischen einwanderungssage von haus aus in keinem bezuge stand, während von Prokies und seinem söhne Soos, dem vater des Eurypon, die sage mancherlei zu erzählen weisz "), ist die figur des Eurysthenes ganz schattenhaft, er ist nur Prokies bruder und vater des Agis, sonst nichts, daraus folgt, dasz Prokies eine ursprünglich in diesen sagencomplex gehörige figur ist, Eurysthenes erst später in sie eingefügt wurde, wie er diesen nachträglichen einschuh lediglich dem motiv verdankt, als Stammvater des Agis d. i. der Agiaden neben dem durch genauere tradition überlieferten Stammvater der Eurypontiden, Prokies, als ebenbürtig aufgeführt zu werden, zeigt recht deutlich der auffallende umstand, dasz er ohne Währung der gleichmäszigkeit einfach dem Agis als vater vorangesetzt ist, während Prokies doch erst als groszvater des Eurypon genannt wird.1!)

Reichen aufschlusz über das wahre Verhältnis dieser beiden geschlechtshäupter zu einander gewährt sodann die wenig beachtete erzählung bei Polyän (110): TTpoKXfjc xai Trjuevoc 'HpctKXeîbm 6ùpucGeíbaic катехоиа Tr¡v CrrápTriv enoXeiuouv ктХ.

Nach dieser eigentümlichen version der einwanderungssage, die sicher wie so vieles andere bei Polyän aus einer vortrefflichen quelle stammt, ziehen, offenbar nach dem abgang des einen hauptzweiges der dorischen scharen unter Kresphontes, die übrigen Dorer unter Führung des Prokies und Témenos weiter und zwar zunächst nach Lakonien. durch die geläufige Vorstellung, dasz erst Messenien, dann Lakonien, zuletzt erst Argos erobert wird, ist sowol die abwesenheit des Kresphontes als die an Wesenheit des Témenos vollkommen motiviert; den dritten groszen Dorerführer Aristodemos, der bei Naupaktos vom blitz erschlagen war, vertritt sein söhn Prokies, blosz Prokies? wo steckt denn Eurysthenes, sein zwillingsbruder? er fehlt: er fehlt bei der eroberung seines gebietes? unmöglich also kann nach dieser sagenwendung Eurysthenes für einen Dorer gegolten haben.

Erscheint er denn aber wirklich gar nicht in dieser erzählung? freilich ist er da; nur dürfen wir nicht bei den Dorern, sondern müssen bei

11) s. К. O. Müller Dorier I* s. 98.

12) so ist die constante Überlieferun?, der gegenüber es nicht ins gewicht fällt, dasz in dem Stammbaum des Leotychidas bei Herodot VIII 131 der name des Soos fehlt d. h. wol ausgefallen ist. andere urteilt freilich Duncker a. o. 8. 345 anm. 2; aber 'erst später zur ausgleichung beider linien eingeschoben' kann Soos unmöglich sein, da durch ihn die beiden linien ja ungleich werden, Eurypon durch ihn von Proklee getrennt wird, also nicht unmittelbar vom söhne des Aristodemos stammt wie Agis; und eben wegen dieser Ungleichheit ist Soos sicher ursprünglich. ihren gegneru suchen, die Eurysthiden, die 'Sparta inne haben', wem gehören sie denn an als Eurystheiis? und Eurystheus ist ja nichts als eine nebenfurm für Eurysthenes, oder correcter zu reden, Eurystheus ist der beslbeglaubigte name des bruders des Prokies, nemlich nicht blosz Apollodor und Klearch geben ihm diesen namen"), sondern bei Afrikanos und Eusebios und den christlichen Chronographen, die aus ihnen schöpften"), ist er der ausschlieszlich herschende: was um so bedeutungsvoller ist, als die hier erhaltenen königslisten bekanntlich auf officielle àvcrfpacpai zurückgehen, die älter sind als die anfange der geschichlschreibung. denn es kann ja jetzt als allgemein bekannt und anerkannt gelten, was uns die forschungen von J. Brandis und A. v. Gutschmid") hinsichtlich der von den späteren Chronographen erhaltenen königslisten griechischer Staaten gelehrt haben; und wenn es demnach fest steht, dasz die mit der Heraklidenwanderung anfangenden listen wahrscheinlich nicht zu lange nach der einfuhrung gleichzeitiger aufzeichnung der öffentlichen beamlen entstanden sind, welche etwa mille des achten Jahrhunderts erfolgte, so beruhen auch jene spartanischen königslisten auf der autorität einer öffentlichen , etwa ausgang des achten oder anfang des siebenten Jahrhunderts aufgestellten liste.

Somit tritt in dieser erzählung das haus, dessen Stammvater Eurystheus-Eurysthenes ist, als herschendes geschlecht in Sparta zu der zeit auf, wo die Dorer erst in den Peloponnes und speciell in Lakonien einwandern; sie und die ihrigen sind die damals bereits in Sparta angesessenen, welche die dorischen eindringlinge abzuwehren suchen.

Nun bedenke man zugleich, wie die sage durchweg Eurysthenes als den älteren und geehrteren der beiden feindlichen bruder darstellt; und es wird einleuchten, dasz nicht blosz, was Duncker а. o. hervorhebt, die Agiaden als ein älteres haus, die Euryponliden als ein jüngeres gekennzeichnet sind, sondern dasz der 'ältere bruder' Eurystheus die ältere, die ursprünglicher angesessene d. i. die achäische bevölkerung Spartas repräsentiert, dasz der 'jüngere bruder' als haupt der jüngeren, der später eingewanderten d. i. der dorischen bevölkerung Spartas dasteht.

So viel lehrt die sage; betrachten wir jetzt noch einmal die ursprünglichen ansiedelungsplätze beider stamme, so finden wir auch hier bestätigt, dasz der stamm der Agiaden zuerst auf spartanischem Im.<ii Ii sasz: denn von ihm ist der beste strich oecupiert, welcher den am

13) Apollodor bei Diodor VII 6 (d. 1>. in dem armenischen Eusebios buch I s. 319 Aucher, s. 166 Zohrab), Klearch bei Diogenian I 83 (in den parömiographen von v. Leutech bd. II s. 13). die Eurysthiden kennt übrigens auch Suidas u. d. w. €opuc6cúc. das sind die einzigen stellen, die für diese namenst'orm angeführt zu werden pflegen.

14) als da sind Synkellos, Malalas, Eedrenos oder von lateinischen Hieronymns, auch die excerpta barbara Scaligere.

15) Brandis commeotatio de temporum Graecorum antiqnissimorum rationibns (Bonn 1857) und v. Outschmid in den recension dieser abhandrang in diesen Jahrbüchern 1861 s. 20 ff.; vgl. auch syrabola pbilol. Bonn. s. 103 ff.

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