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willen, des begeisterungsfähigen und idealen sinnes sich schmerzlich fühlbar macht, und dasz auch auf unserer hochschule die beschränkung auf banausisches berufs- und stofflernen in bedauerlichem wachstum begriffen ist. allein in vielem ist es denn doch bei uns besser bestellt, als das in diesem buche aufgerollte bild in bedauerlicher weise schauen läszt. unsere edleren elemente, welche meist noch die mehrzahl unserer mittelschulen bilden, haben und bewahren wissenschaftlichen sinn und trieb. etwa ein vierteil ihrer schüler, begabterer schüler hält sich, trotz der überbürdung, über wasser. in den gymnasien und seminarien wird deutsche litteratur und sprache, sowie die vorbereitung für philosophie, zwar nicht in dem von Paulsen verlangten, aber in dem sach- und altersgemäszen umfang behandelt. auf unserer universität sind jedenfalls die studierenden der theologie und philologie gehalten, das studium der philosophie und der allgemeinen fächer zu treiben. das realgymnasium in Stuttgart endlich hat das latein in ausgibigem masze in seinen lehrplan aufgenommen, läszt aber das griechische ganz weg, entspricht also hierin und in anderem bereits vielleicht völlig dem von unserem verf. aufgestellten ideal einer modernen mittelschule. in noch weit höherem grade wäre dies der fall, wenn es möglich gewesen wäre und überhaupt sich denken liesze, es lasse sich ein lehrund lernbetrieb bleibend verwirklichen, wie er vor hundert jahren in unserer mitte unübertroffen thatsächlich vorhanden war, in der sog. hohen Karlsschule nemlich, deren unterrichtsplan wir jetzt, (was der verf. auch nicht zu wissen scheint) dank einer trefflichen darstellung von Jul. Klaiber, zu kennen und zu bewundern gelegenheit haben. (vgl. meinen aufsatz in der deutschen warte', 1874, bd. VI, heft 6, s. 334-350). doch non omnia possumus omnes. selbst der fleiszigste schriftsteller kann nicht alles wissen.

Auch deshalb nehmen wir unser zustimmendes urteil nicht zurück, weil der verf. je und je zu verstehen gibt, dasz er die höheren schulzustände in deutschland wegen ihres blosz griechisch-humanistisch gefärbten bildungsideals mangelhaft und tadelnswert finde, und weil er offenbar dem gymnasium einen mehr christlichen charakter gewahrt sehen möchte. im gegenteil ist es gleichfalls meine meinung, dasz allerdings unsere jugend zwar einesteils die ideen des wahren, schönen und guten, wie sie vom classischen altertum in wort, schrift, kunst, in that und leben dargestellt worden sind, kennen und hochschätzen, daran als an gaben des auch dort wirkenden gottesgeistes sich erheben soll, andernteils ihr aber zu gönnen wäre, wenn sie mehr, als von dem neuen humanismus geschehen ist, die anerkennung zu hören und zu lernen bekäme, dasz uns im christentum eine noch höhere gottesoffenbarung geschenkt, dasz in den heiligen schriften des alten und neuen testaments eine weit gröszere fülle der erkenntnis über göttliche dinge, über des menschen wesen, unheil und heil geboten ist, als irgend ein griechischer oder römischer schriftsteller besessen hat und mitzuteilen vermag.

So ist denn mit gutem grund zu sagen: der verf. hat in den fragen über gymnasialreform da und dort ganz ins schwarze getroffen, so ganz besonders auch hinsichtlich der überbürdungsfrage. es sind durchaus wahre und beherzigenswerte worte, wenn es s. 758 heiszt: 'mir kommt vor, dasz die umformung, welche unser gymnasialunterricht im lauf dieses jahrhunderts erfahren hat, in der richtung sich geltend macht, dasz zusammenhängende und freie arbeitsleistung in zusammenhangslose, aufgegebene pensenarbeit umgewandelt worden ist. die durchführung des regelmäszigen cursus, die durchführung der abiturientenprüfung, die einführung von fachgelehrten in die schule, endlich vor allem die vermehrung der unterrichtsgegenstände, welche arbeitspensa aufgeben, haben in diesem sinne gewirkt.' dies sind die quellen, aus denen unbestreitbar eine überbürdung der schüler entspringt. ihnen unterliegt jedenfalls eine gute zahl der absolut schwächer begabten es gibt bekanntlich auch scheinbar oder relativ schwach begabte, welche nach umständen in sachlichen fächern später sterne erster grösze werden — nicht sowohl infolge übertriebener lehrstundenzahl, als weil im laufe des semesters wiederholt der ganze vorgekommene stoff aller dieser pensen für schriftliche oder mündliche wiederholungsaufgaben 'eingepaukt' werden musz und dies dann schlieszlich im hinblick auf die abiturientenprüfung sich ins unerträgliche steigert. hinc illae lacrimae! aber keineswegs gilt diese klage hauptsächlich von den oberen classen. nicht nur unsere behörden haben hier das nötige angeordnet, sondern in allen guten anstalten wird oftmals in gemeinsamer beratung vorsorge getroffen, dasz das rechte masz auch häuslicher arbeit eingehalten werde und dasz die mitunter über die schnur hauenden ansprüche namentlich der fachlehrer in den gehörigen schranken bleiben. nein wenigstens in Württemberg sind es noch mehr die von dem verf. zu wenig in betracht gezogenen, unteren classen, bei welchen, vornehmlich in manchen landesschulen, trotz der amtlichen verordnungen sträfliche überbürdung des lehrers wie der schüler gegenstand stehender klagen ist. freilich tragen die schuld davon weder die behörden noch die mehrzahl der lehrer, sondern im einzelnen mitunter manche eltern und schlieszlich zumeist unser sog. landexamen, ein teilweise sehr gut wirkendes, aber eben ein durch armutei unserer mittelstände bedingtes, notwendiges übel. im allgemeinen aber ist eine hauptursache der misstand, dasz überhaupt sowohl die quantität als und noch weit mehr die qualität abstracten wissens in sprachlichen dingen, welches von dem vierzehnjährigen verlangt wird, naturwidrige anstrengungen gebieterisch auferlegt, um davon gar nicht zu reden, dasz im zusammenhang damit der beginn des unterrichts in fremden sprachen, im lateinischen zunächst, mindestens um zwei jahre zu frühe angesetzt und in unzweckmäsziger rein grammatischer lehrweise betrieben wird.

Die aufrichtige anerkennung des vielen wahren und verdienstvollen an dem besprochenen, auch im druck schön ausgestatteten

buch, dem nur auch mitunter sinnentstellende druckfehler anhaften, soll uns aber nicht abhalten, auch ebenso offen noch einige punkte namhaft zu machen, wo unseres erachtens der verf. zwar die scheibe, aber nicht deren mittelpunkt getroffen und wo er geradezu fehlgeschossen zu haben scheint.

Dasz er teils den gepflogenheiten in den unteren classen, teils unseren württembergischen schulzuständen zu wenig beachtung schenkt, hat der sonstigen vollständigkeit und weitsichtigkeit des schriftwerks eintrag gethan und manche fehlschüsse veranlaszt. vornehmlich hätte nicht nur das urteil über süddeutsche einrichtungen, in den mittelschulen wie auf der universität, sondern das eigene werk wesentlich an richtigkeit und überzeugungskraft gewonnen, wenn ihm eine genaue bekanntschaft damit, insbesondere mit dem Stuttgarter realgymnasium zu grunde läge. nicht blosz, weil gerade diese schule eine zum teil einzigartige gestaltung aufzuweisen hat, sondern weil hier nach wohldurchdachtem plan vieles von dem, was Paulsen als wünschenswert und einer verwirklichung erst harrend in aussicht nimmt, bereits ins leben getreten ist. so hätten seine gedanken und vorschläge daraus eine willkommene bestätigung entnehmen können. wie durch diese auslassungen erwächst dem buch durch eine inconsequenz noch ein weiterer mangel an vollkommenheit. folgerichtig hat nach den voraussetzungen das lateinische keine volle berechtigung mehr in dem hier geplanten umgestalteten gymnasium. es ist demselben nur notdürftig und um der herzenshärtigkeit der zeitgenossen willen noch ein platz darin zugestanden. so ist eine gewisse halbheit und unsicherheit bei darstellung und beantwortung dieser gerade sehr wichtigen schulfrage nicht zu verkennen, was bei der sonstigen schärfe der schluszfolgerungen und urteile des verf. um so auffälliger und unliebsamer erscheint.

Nun aber müssen wir noch entschiedener einsprache erheben gegen einige hauptwünsche und -vorschläge des buches, welche aus éiner quelle, aus zu groszer nachgibigkeit gegen die strömungen der gegenwart, flieszen. der zeitgeist fordert laut und lauter, dasz mittelschule und hochschule weit mehr, als noch bis auf unsere tage geschehen, sich der künftigen berufsarbeit dienstbar erweisen sollten. die stimme dieses allgewaltigen und leider so einfluszreichen zeitgeistes hat mit einschneidender ironie eine in aussicht gestellte schrift von Max Nordau: 'die conventionellen lügen der culturmenschen' trefflich zum ausdruck gebracht. in dem von Schorers familienblatt d. j. s. 358 ff. daraus mitgeteilten bruchstück läszt sich der philiströse tagesmensch, der alles nach dem maszstab des 'erfolges' bemiszt, also aus: 'die hochschulen belästigen noch immer die jugend mit vorlesungen und übungen, mit hörsälen und laboratorien, und das scheint mir von sehr fraglichem nutzen für das fortkommen der studenten. — Das gymnasium endlich ist keinen schusz pulver wert. es fördert den ihm anvertrauten künftigen bürger in keiner weise. im gegenteil es macht ihn eher noch ungeschickter für das

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ringen um den erfolg. es bedeutet eine betrübende verschwendung wertvoller lebensjahre. Der bursche lernt in seiner bildsamsten verfassung nichts von dem, was er später brauchen kann, und er wird nichts brauchen können von dem, was er lernt.' in diesem ton hält der geistreiche schriftsteller unserer tage, in der art und mit der tendenz des bekannten krebsbüchleins des alten Salzmann, gericht über den hauptfeind unserer echten, auf humanistischer grundlage ruhenden cultur, über die alles ideale der gemeinen wirklichkeit opfernde oberflächlichkeit philisterhafter lebensanschauung. es sei ferne, den verf. der geschichte des gelehrten unterrichts unter diese schreier des marktes einzureihen und als einen zu betrachten, der demselben gericht verfallen wäre. damit würde ihm groszes unrecht angethan, indem er unverkennbar nicht nur der höheren geistesbildung, sondern auch dem aus dem classischen altertum für dieselbe zu schöpfenden gewinn hohen wert zuerkennt. allein den schein, dasz er diesen gewinn denn doch nicht hoch genug anschlage und dasz er die rücksicht auf den künftigen beruf, welche in wahrheit für den humanistischen unterricht doch nur untergeordnete bedeutung hat, allzu stark ins gewicht fallen lasse, hat er nicht genug vermieden. einzelne äuszerungen über den wert der allgemeinen bildung oder vielmehr über deren unwert, wenn sie nicht im dienst des berufslebens stehe, diese klingen eben doch in bedenklicher weise, fast gleichlautend mit der begriffsbestimmung und gesinnung, welche M. Nordau seinem vertreter der tagesmeinung und des utilitätprincips in den mund legt: 'was ist der letzte zweck der schule, allen unterrichts wie aller erziehung? offenbar, das leben durch vertiefung, bereicherung und verschönerung desselben angenehmer zu machen. Alles musz darauf hinauslaufen, dem individuum das dasein angenehm zu machen. fast alle menschen streben einem einzigen ziele zu, dem äuszern erfolg in der welt.' wahrlich solch niedrigen anschauungen und gesinnungen gegenüber und sie existieren mit nichten blosz in der einbildung ironisierender schriftsteller, sondern sind leider der leibhaftige ausdruck des zeitgeistes -gilt es, dasz jeder, der in sachen der gymnasiumsreform das wort nimmt und wortführer sein will, das panier hochhalte, auf dem als erster wahrspruch geschrieben steht: die schule hat vor allem den beruf, an der hand des besten, was alte und neue zeit bietet, den geist zu bilden, den willen zu stärken, den sinn für das gute und schöne zu entwickeln und den trieb wie die fähigkeit wachzurufen, den durst nach wahrheit aus den ersten quellen zu stillen.

Noch weniger in einklang weisz ich mich mit zwei weiteren positiv und mit starker betonung ausgesprochenen schluszfolgerungen, welche der verf. aus seinen, zum teil so wahren und gesunden voraussetzungen zieht und als wünsche und etwaige vorschläge bei umgestaltung des gymnasialen unterrichts in antrag bringt; auf der einen seite ladet er der von ihm geplanten mittelschule zu viel auf, stellt ihr teilweise eine unerfüllbare und zweckwidrige aufgabe, auf

der andern nimmt er ihr zu viel, schneidet der pflanze geradezu ihr herzblatt aus.

Als mehr denn bisher von der künftigen schule zu berücksichtigender lehrstoff wird gewünscht und beantragt: deutsche sprache und philosophische propädeutik. diese beiden fächer haben, wie schon bemerkt, in unsern württembergischen gymnasien und seminarien seit jahrzehnten bis zur stunde die vom verf. vorerst blosz gewünschte stätte bereits thatsächlich unverkümmert inne. nun sind mir aber bei vieljähriger wahrnehmung im betrieb des unterrichts gerade dieser zwei fächer mehrere mängel, misgriffe und ausschreitungen fühlbar geworden. vornweg ist es mir wiederholt als mislich erschienen, dasz es für diese lehrstoffe, so gewis sie für jede oberclasse eines mit den gehörigen lehrkräften ausgestatteten gymnasiums nahezu unentbehrlich sind, an kleineren anstalten in sehr vielen fällen an lehrern fehlt, welche nicht allein des inhalts der deutschen und philosophischen wissenschaft nach ihrem dermaligen umfang und stand, sondern auch der dafür einzig richtigen methode und mitteilungsweise so vollkommen mächtig wären, wie es durchaus erforderlich ist, wenn der unterricht wirklich fruchtbringend sein und nicht im gegenteil schädlich sein soll. wird z. b. die lektüre mittelhochdeutscher schriftwerke von einem lehrer behandelt, welcher nicht auf der höhe unserer jetzigen sprach wissenschaft steht, so dasz er stoff und form entfernt nicht mit derselben sichern meisterschaft, wie der classenlehrer sein latein und griechisch, zu handhaben und zu beherschen vermag: so bringt ein solcher deutscher unterricht nicht nur keinen nutzen, sondern hat für die ganze anstalt empfindliche nachteile im gefolge; pflanzt oberflächliches wissen und raten. ganz ebenso verhält es sich, wenn die umstände es mit sich bringen, dasz der unterricht in logik und psychologie einem der sache nicht vollkommen gewachsenen lehrer überlassen werden musz, sei es, dasz es ihm an klarem und sicherem wissen fehlt, oder dasz er einen zu hohen flug nimmt und, statt festen grund für philosophisches denken, für logik, dialektik und psychologie nach ihren elementaren bestandteilen zu legen, vor allem die lehrstunden zu geistigen übungs- und turnstunden zu machen, und sein fach in organischen zusammenhang mit der lektüre der classischen historiker, dichter und philosophen zu setzen, vielmehr die genannten lehrzweige in hochschulmäszigem ton abhandelt und über die köpfe weg dociert. darum achte ich für verfehlt, dasz man schon bisher oft und viel in diesen zwei stücken gemeint hat, allen höheren schulen müsse und könne ohne unterschied dieselbe rinde wachsen. es wäre besser gethan, es hierin nach dem muster guter kochbücher zu halten und zu verfügen: 'man nehme, so man hat;' man bescheide sich an kleineren anstalten damit, den unterricht im mittelhochdeutschen und in der philosophie nur da als stehendes und obligates unterrichtsfach gelten zu lassen, wo für dasselbe wirklich ganz ausreichende lehrkräfte vorhanden sind. halbheit straft sich nirgends empfindlicher, als im schulwesen, fast noch

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