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Die

Pflanzendecke

der Erde.

Populäre Darstellung

der

Pflanzen geographie

für

Freunde und Lehrer der Botanik und Geographie.

Nach den neusten und besten Quellen

zusammengestellt und bearbeitet

von

Ludwig Rudolph,

ordentlichem Lehrer an der städtischen höheren Töchterschule zu Berlin.

Berlin.

Verlag der Nicolai'schen Buchhandlung.

1853.

„Nur der Geschmack genießt, was die Gelehrsamkeit pflanzt." Schiller.

„Selbst erfinden ist schön; doch glücklich von Andern Gefundnes Fröhlich erkannt und geschäßt, nennst Du das weniger Dein?"

Göthe.

1

Vorrede.

Wenn es die Aufgabe des Gelehrten von Fach ist, seine Wissen

schaft zu fördern, indem er durch sorgfältige Beobachtungen und gründliche Forschungen ihren Umfang erweitert, oder durch glückliche Ideen ein tieferes Eindringen in ihren Inhalt möglich macht: so mag es dem Schulmanne vergönnt sein, der ja ohnedies die Aufgabe hat, die Wissenschaft in das Leben einzuführen, jene Schäße der Wissenschaft zu sammeln, zu ordnen, und dieselben, befreit von dem gelehrten Apparat, dem größeren Publicum darzubieten.

Zu den Wissenschaften, welche einer allgemeinen Verbreitung fähig und in hohem Grade werth sind, gehört besonders die Pflanzengeographie. Nicht nur dem eigentlichen Gelehrten, sondern jedem Gebildeten überhaupt muß sie von hohem Interesse sein. Jeder Mensch lebt in der Natur, und aus dem Umgange mit ihr Nahrung für Geist und Gemüth zu ziehen, ist ein allgemeines Bedürfniß, das von Jedem empfunden wird, wenn es auch nur Wenigen zum klaren Bewußtsein kommt. Daß die Natur uns die edelsten Genüsse darzubieten vermag, ist allgemein anerkannt; daß fie aber auch eben so sehr im Stande ist, die edelsten Kräfte unseres Geistes in Bewegung zu sehen, und daß die Beschäftigung mit ihr eine wahrhaft humane Bildung eben so gut zu fördern vermag wie alle übrigen Studien- das ist eine Wahrheit, um deren Anerkennung die Naturwissenschaft noch fortwährend zu kämpfen hat.

Wenn der Mensch ernst und feierlich gestimmt wird, sobald er der Natur gegenübertritt: so ist dies zunächst ein bewußtloses Empfinden ihres gesetzlichen und vernünftigen Waltens; es ist das stillschweigende Anerkennen einer höheren Ordnung, die eben einem Jeden, dem Gebildeten wie dem Ungebildeten sogleich Ehrfurcht abnöthigt. Bringen wir uns aber die Geseze zum Bewußtsein, nach welchen die Natur verfährt; tritt uns aus der finnlichen Form, die uns erfreut, der Gedanke entgegen: dann fühlen wir uns höher, edler gestimmt. Und je mehr wir eindringen in den tieferen Zusammenhang aller Erscheinungen, je mehr der ganze Schöpfungsplan sich unseren geistigen. Blicken enthüllt: desto näher fühlen wir uns dem Urheber aller Dinge, welchem ähnlich zu werden ja das Endziel aller unserer Bestrebungen sein soll.

Von allen Erscheinungen, welche uns in der Natur entgegentreten, steht uns die Pflanzenwelt am nächsten. Sie bekleidet den Boden, der uns trägt; fie liefert uns unsere hauptsächlichste Nahrung; mit ihr schmücken wir die Umgebung unserer Wohnstätten. Mit sorgsamer, liebender Hand werden die Gewächse überall gepflegt; denn sie reden eine Sprache, die von Jedem verstanden wird, sie gewähren reichlichen Lohn dem, der ihrer wartet. Demnach ist die Beschäftigung mit der Pflanzenwelt so alt als das Menschengeschlecht, und die Belehrung über dieselbe ein Recht, auf welches Jeder Anspruch hat. Wie sieht es aber oft mit dieser Belehrung aus? Wenn irgendwo, so paßt hier Schillers Ausspruch über die drei Alter der Natur:

"Leben gab ihr die Fabel, die Schule hat sie entseelet,

Schaffendes Leben auf's Neu' giebt die Vernunft ihr zurück."

Wir beschreiben Pflanzen. Unsere Schüler lernen die technischen Ausdrücke kennen, deren die Botanik sich bedient; sie erfahren, welches die charakteristischen Merkmale einer Pflanze sind, sie bekommen eine Vorstellung von den wichtigsten Pflanzenfamilien, und, wenn es hoch kommt, so schließt sich hieran noch Einiges über den Bau und das Leben der Pflanzen. Zu diesem Leßten aber gelangt immer nur ein sehr kleiner Theil unserer Schüler. Und treten sie dann mit dem gewonnenen Wissen hinaus in die Natur, wie oft drängt sich ihnen dann die Wahrheit des Ausspruches auf:

"Weil du liefest in ihr, was du selber in sie geschrieben,
Weil du in Gruppen für's Aug' ihre Erscheinungen reih'st,
Deine Schnüre gezogen auf ihrem unendlichen Felde,

Wähnst du, es fasse dein Geist ahnend die große Natur?

Es weht uns noch etwas ganz Anderes aus der Natur_entgegen, als was wir gelernt; wir fühlen, daß die Summe von Einzelheiten, die wir im Gedächtniß tragen, so groß sie auch sein mag, immer nicht das Ganze ist. Und doch möchte man so gern über dieses Ganze sich Rechenschaft geben. Dazu reicht aber die erhaltene Belehrung nicht aus, denn

"Was man nicht weiß, das eben brauchte man,

Und was man weiß, kann man nicht brauchen.“

Es fehlt bei unserem Unterricht leider zu oft die Beziehung des Einzelnen auf das Ganze, die Erweiterung der Aussicht, die hinter der vorliegenden Erscheinung die ganze Fülle ähnlicher Erscheinungen ahnen läßt, die dem Gemüthe Befriedigung, der Phantasie Nahrung giebt und den Eifer zum Weiterforschen anregt. Diese Beziehung des Einzelnen auf das Ganze tritt uns aber in der Natur selbst stets entgegen, und um so schmerzlicher empfinden wir die Lücke, welche ein mangelhafter Unterricht in dieser Hinsicht gelassen. Was bleibt dem Einzelnen dann weiter übrig, als den ganzen Vorrath seines Wissens als unnüßen Ballast über Bord zu werfen, sich dem ungetrübten, wenn auch unverstandenen Genuß der Natur vollständig hinzugeben und sich mit dem Ausspruch zu begnügen:

„Grau, theurer Freund, ist alle Theorie,
Und grün des Lebens goldner Baum.“

Die oben angedeutete Lücke läßt sich indeß allerdings ausfüllen, und zwar ist es die Pflanzengeographie, welche hier zwischen der erhaltenen Belehrung und dem später sich fühlbar machenden Bedürfniß vermittelnd eintritt. Sie faßt die Pflanzen= decke der Erde als ein Ganzes auf. Sie hebt diejenigen Gewächse besonders hervor, welche einer Gegend den Charakter geben und schildert sie nach ihrer Physiognomie, wie nach ihren Beziehungen zu einander; sie beachtet ferner die wichtigsten Culturpflanzen, welche

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