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Vorrede.

Von einer theoretischen Biologie hat man bisher kaum gesprochen, wenigstens nicht als von einer zusammenhängenden Disciplin. Im Einzelnen ist zwar Theorie in die Beschreibungen der wissenschaftlichen Specialarbeiten genugsam eingestreut, und gar nicht wenige Bücher bezeichnen sich auf dem Titel als Theorie dieses oder jenes Zweiges der biologischen Wissenschaften. *) Auch in den Schriften der Philosophen seit dem griechischen Alterthum bis in die Gegenwart finden sich mancherlei Erörterungen theoretischbiologischer Fragen. Doch im Zusammenhange harrt eine Theorie des Lebens noch der Bearbeitung.

Die Ergebnisse der empirischen Biologie sind das Object der theoretischen. Es hat aber die theoretische Biologie nicht nur die Grundlagen des biologischen Geschehens. festzustellen, sondern auch die Grundlagen zu prüfen, auf denen unsere biologischen Anschauungen ruhen. Der Werth theoretisch-biologischer Erörterungen ist danach zu bemessen, dass eine Erkenntniss um so wichtiger ist, je allgemeiner sie ist, je weiter ihre Tragweite, je mehr Einzelheiten sie umspannt.

Nichts liegt mir ferner, als eine umfassende Theorie des Lebens oder ein Handbuch der theoretischen Biologie liefern zu wollen. Der Umfang eines solchen würde ein

*) Z. B. Hans Driesch, Analytische Theorie der organischen Entwickelung, Leipzig 1894.

sehr bedeutender sein, und zahlreiche Kräfte müssten sich. zu seiner Herausgabe vereinigen: Physiologen, Anatomen, Systematiker; Zoologen und Botaniker. Ein Einzelner wird eine solche Aufgabe heute schwerlich bewältigen können. Darum nannte ich dies Buch in Beschränkung seiner Aufgabe eine Einleitung, da es vielleicht der Zukunft die Anregung gibt, eine theoretische Biologie zu schaffen.

Um das mir gesteckte Ziel zu erreichen, musste ich von vorneherein darauf verzichten, die gesammte biologische Litteratur zu berücksichtigen. Ich musste mir daran genügen lassen, aus dem ungeheuren Material der empirischen Biologie Beispiele und einzelne Abschnitte herauszugreifen, um an ihnen meine Gedanken zu entwickeln. Ich musste Sorge tragen, in der Masse der in den Monographieen aufgestapelten Einzelforschungen nicht hängen zu bleiben. Dies war nur möglich, wenn ich mich der Hauptsache nach darauf beschränkte, den Niederschlag eig enen Denkens darzulegen, wie er sich in langjähriger practischer Beschäftigung mit biologischen Fragen und in der kritischen Assimilation fremder Ansichten gebildet hat. Ich suchte daher selbstständige Anschauungen zur Geltung zu bringen, zu denen ich in langem, geistigem Kampfe mit dem Object mich durchgerungen habe. Nicht fremdes, mein eigenes Garn wollte. ich spinnen. Darum bitte ich auch, wegen der Auswahl des Materials, namentlich des morphologischen, nicht mit mir zu rechten. Als Botaniker lag mir die Pflanzenwelt am nächsten; doch wo ich ihr meine Beispiele entnehme, sind es meines Dafürhaltens solche, die für den Zoologen kein geringeres Interesse besitzen dürften, als für meine engeren Fachgenossen.

Die Litteratur benutzte ich daher besonders deswegen, um mir Hülfstruppen heranzuholen oder um den meinen entgegenstehende Ansichten zu bekämpfen. Nach beiden Richtungen bin ich mit Citaten nicht sparsam gewesen und

ich denke, man wird mir deswegen nicht zürnen. Denn aus wörtlichen Citaten von hinreichendem Umfange kann man eines Autors Meinung erkennen; und wer hat heute noch die Zeit, zahlreiche in Fussnoten citirte Seitenzahlen von Büchern nachzuschlagen, die er vielleicht nicht einmal besitzt?

Ein Buch wie das vorliegende musste, nachdem seine Grundgedanken einmal feststanden, möglichst in einem Flusse niedergeschrieben werden. Ich durfte das Spinnen des Fadens nicht durch allzuviel Litteraturstudien auf den mir fremderen Gebieten der Biologie unterbrechen; darum hielt ich mich für die Gebiete der Thierphysiologie, der Thierchemie und der thierischen Zellenlehre an drei zusammenfassende Bücher, die meine wichtigste Hülfe geworden sind, da ich einerseits mit den in ihnen vertretenen Grundanschauungen weitgehend sympathisire, sie andrerseits aber so meisterhafte Darstellungen der von ihnen bearbeiteten Gebiete enthalten, dass meines Dafürhaltens die zeitgenössische Litteratur ihnen nichts Ebenbürtiges an die Seite zu stellen hat. Diese Bücher sind: Claude Bernard's Leçons sur les phénomènes de la vie, G. von Bunge's Lehrbuch der physiologischen Chemie und Edmund Wilson's The cell in development and inheritance. Allen drei Büchern ist gemeinsam, dass sie nicht nur die Thierwelt, worauf es mir in erster Linie ankam, sondern auch die Pflanzenwelt berücksichtigen.*)

Diese drei hervorragenden Werke sind nicht nur durch. Gediegenheit des Inhalts und Objectivität des Urtheils, sondern auch durch eine ebenso klare wie geistvolle Sprache ausgezeichnet, die ihre Lectüre zu einer genussreichen macht. Sie liefern den Beweis, dass Klarheit der Sprache Klarheit des Denkens bedeutet, wie wir aus Unklarheit der Sprache

*) Ueber meine Stellung zu den Anschauungen Johannes Müller's vgl. den Anhang zu Kap. 44, S. 631 ff.

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